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Brexit und BrüsselDas Pokerspiel kann beginnen

Die EU hofft, dass der Amtsantritt von Theresa May als Regierungschefin die Verhandlungen über einen Austritt beschleunigt. Das ist keineswegs klar.

Ganz allein: britische Flagge im EU-Parlament in Straßburg Foto: dpa

Brüssel taz | „Wenn der nächste britische Premierminister aus dem Brexit-Lager kommt, dann hat er einen Tag für den Austrittsantrag. Wenn er aus dem Remain-Camp kommt, dann sind es zwei Wochen.“ Dies sagte der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, beim letzten EU-Gipfel Ende Juni. Mit seiner launigen Bemerkung wollte der Luxemburger Druck auf die Briten ausüben, damit sie schnell für Klarheit sorgen und ihren Austrittsantrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags stellen.

Je länger die Zitterpartie um den Brexit anhält, desto größer werden die damit verbundenen Risiken: für die europäische Wirtschaft, die zweijährigen Austrittsverhandlungen, aber auch für Juncker selbst.

Der Kommissionschef drückt daher aufs Tempo. Gleich nach der offiziellen Amtseinführung am Mittwoch werde Juncker einen Brief an Theresa May ­schreiben, sagte sein Sprecher – mit Glückwünschen zum neuen Job, aber auch einer Erinnerung an die EU-Bedingungen.

Unterstützung erhält Juncker von Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. „Wir müssen so schnell wie möglich wissen, wann und wie die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich eröffnet werden“, sagte Moscovici. Da May bereits im Juli ihr Amt als neue Premierministerin antrete und nicht erst im September, könne alles zwei Monate schneller gehen.

So recht glauben will daran in Brüssel allerdings niemand. Schließlich hat May angekündigt, sich mit dem EU-Austritt Zeit zu lassen. Erst zum Jahresende will sie sich mit dem Brexit beschäftigen, vorher könnte es noch Neuwahlen geben.

Brüssel muss warten

„Der Artikel 50 sollte aktiviert werden, wenn wir dazu bereit sind“, sagte am Dienstag das Kabinettsmitglied Chris Grayling, ein Berater der neuen Regierungschefin. Die nationalen britischen Interessen hätten Vorrang, Brüssel müsse warten.

Und die EU hat keine Handhabe, um den Austrittsprozess zu beschleunigen. Zwar hatte das Europaparlament gefordert, schon den letzten Auftritt des scheidenden Premiers David Cameron beim EU-Gipfel Ende Juni als Antrag nach Artikel 50 zu werten und die Verhandlungen sofort zu beginnen.

Doch die Abgeordneten konnten sich nicht durchsetzen. Auch Juncker scheiterte mit seinem Versuch, aufs Tempo zu drücken. Vor allem Kanzlerin Angela Merkel trat auf die Bremse.

Das scheint sie nun zu bereuen: „Das Vereinigte Königreich wird rasch klären müssen, wie es in Zukunft sein Verhältnis zur Europäischen Union gestalten will“, sagte Merkel am Montag in Meseberg. Dabei müssten auch die 27 Mitgliedsstaaten ihre Interessen wahren. Wer freien Zugang zum EU-Binnenmarkt wolle, werde Grundfreiheiten wie die Freizügigkeit von Personen akzeptieren müssen.

Das möchte May vermeiden. In Brüssel ist sie aus ihrer Amtszeit als britische Innenministerin als sachkundige, aber auch harte Politikerin bekannt. Nun wird erst einmal um den Beginn der Verhandlungen gepokert. Wer dabei die besseren Karten hat, muss sich zeigen.

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2 Kommentare

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  • Theresa May wird nicht den Brexit erklären. Vielleicht wird sich Großbritannien innerhalb der EU als Sprachrohr all der EU-Regierungen in Stellung bringen, die mit der deutschen Politik in Brüssel unzufrieden sind. Das sind nicht wenige. Vielleicht deshalb redet Merkel aktuell so sehr pro Brexit. Sie ahnt, was da aus London auf sie zukommen könnte vor der bevorstehenden Bundestagswahl.

  • „Der Artikel 50 sollte aktiviert werden, wenn wir dazu bereit sind“.

     

    Das ist Diplomatensprache und bedeutet übersetzt: Wir denken nicht daran den Artikel 50 zu aktivieren.