kritisch gesehen
: Brennen ohne zu verbrennen

Die Schuhe stehen in lodernden Flammen. Die Farben der Jacke lassen sich verändern. Und durch einen 3-D-Effekt ist es sogar möglich, durch ihre Ärmel zu blicken: Eine spezielle App macht zu einer ganz eigenen Erfahrung, was auf den ersten Blick wie eine konventionelle Ausstellung von Mode-Fotografie im Künstlerhaus Faktor Hamburg wirken könnte. Nach Installation des Programms können die aufgehängten Modeprints mit dem Smartphone gescannt werden. Ähnlich wie bei einem QR-Code erkennt die Software die Bilder und setzt sie in Bewegung.

„Virtuelles Beiwerk“ nennen die Kunst­wis­sen­schaft­le­r*in­nen Judith Brachem und Lucas Stübbe ihre Ausstellung, angelehnt an den Begriff „bewegtes Beiwerk“ des Hamburger Kunsthistorikers Aby Warburg. Ursprünglich bezeichne er damit Haare, Kleidung und Accessoires, die die Lebendigkeit und den Ausdruck der auf Gemälden abgebildeten Personen verstärken sollen, so die beiden Kurator*innen. Virtuelles Beiwerk nennen sie digitale Mode, die sich tatsächlich bewegt.

Diese wird auf unterschiedlichste Weise präsentiert: Manche Kleidungsstücke werden einzeln abgebildet, andere werden auf die Fotos von Models projiziert. Auch virtuelle Models befinden sich unter den Träger*innen.

In digitaler Mode liegt die Zukunft, erklärt mir Stübbe. Kun­d*in­nen können die Kleidungsstücke bei De­si­gne­r*in­nen kaufen und über ihre Fotos legen. „Ein simples Beispiel dafür sind Instagram-Filter, die dir erlauben, deine Haarfarbe zu verändern“, so der Hamburger Student. Nicht nur in Sachen Nachhaltigkeit, auch im Ausdruck der eigenen Identität eröffne dies ganz neue Möglichkeiten. So könnten Ak­teu­r*in­nen mittels digitaler Bearbeitung beispielsweise ohne Aufwand in ein anderes Geschlecht schlüpfen, weiß er.

„Wie ich wohl mein digitales Ich gestalten würde?“, frage ich mich, während ich ein Model mit Roboter-Kopf auf dem Catwalk beobachte. Auch hier stoße ich auf Schönheits-Ideale: So befindet sich ein Foto der Internet-Prominenz Lil Miquela in der Ausstellung, eine virtuelle 19-Jährige, die in Wirklichkeit nicht existiert. „Die Repräsentation von unerreichbaren Schönheitsidealen kann durchaus zur Gefahr werden“, weiß auch Brachem. So sei es besonders gefährlich, wenn Kon­su­men­t*in­nen nicht mehr zwischen realem Abbild und digitaler Kreation unterscheiden können. Die digitale Modewelt bietet mir die Qual der Wahl: Entscheide ich mich für den Barbiekörper oder die brennenden Schuhe?Leah Binzer

Virtuelles Beiwerk“: Künstlerhaus Faktor, Max-Brauer-Allee 229, Hamburg, bis 7. 11.