piwik no script img

Bremer Web-TV-Projekt Y-KollektivVon der Garage in die Mediathek

Radio Bremens Reportagenetzwerk Y-Kollektiv ist in die ARD-Mediathek aufgestiegen. Der spontane und subjektive Charakter soll aber erhalten bleiben.

Reißerischer Titel: Dass es um Chinas Untergrundpolizei in Europa geht, muss man sich dazudenken Foto: Radio Bremen

Bremen taz | Sie wollen die Welt zeigen, „wie wir sie erleben. Und nicht anders!“ So heißt es in der Selbstdarstellung des Y-Kollektivs. Das ist ein Reportagenetzwerk, das die Bremer Sendefähig GmbH und Radio Bremen seit 2016 entwickelt haben. Das Kollektiv produziert wöchentlich erscheinende Reportagen und Dokus, die online veröffentlicht werden – bislang im Rahmen von „funk“, dem „jungen“ Angebot von ARD und ZDF.

Als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks will sich das Y-Kollektiv dem Weltgeschehen aus der Perspektive der Jour­na­lis­t*in­nen widmen. Vor drei Monaten hatte Y eine „Kreativpause“ verkündet. Nun ist das Format zurück: mit einer neuen Reportage und einem festen Platz in der ARD-Mediathek.

„Nicht immer objektiv, aber immer ehrlich“ ist ein Leitspruch des Kollektivs. Zuletzt wurde das Format in Kommentarspalten und von anderen Medienschaffenden häufig kritisiert. Matthias Schwarzer, Redakteur beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, wirft dem Y-Kollektiv wie auch anderen Reportageformaten von „funk“ vor, dass sie eher Einzelschicksale thematisierten. Andrej Reisin hinterfragt in einem Artikel für das medienkritische Portal „Übermedien“, wie viel Raum die Re­por­te­r*in­nen selbst in den Beiträgen einnehmen. Die eigene Community bemängelt vor allem das schwankende Qualitätsniveau.

Eine Million Abonnements auf YouTube

Der Kritik zum Trotz feierte das Y-Kollektiv zum Jahresende eine Million Abonnements auf Youtube. Die Pause habe das Team dazu genutzt, die letzten sechs Jahre Revue passieren zu lassen, sich zusammenzusetzen und zu fragen: „Okay, was haben wir da gemacht und was wollen wir jetzt anders machen?“, sagt Redaktionsleiterin Lea Semen.

Seinen Zu­schaue­r*in­nen will das Kollektiv Gehör schenken und seine Anregungen beherzigen. „Wir nehmen den Dialog ernst“, bestätigt auch Marcello Bonventre, Redaktionsleiter von Radio Bremens Entwicklungsredaktion „Digitale Garage“, in der das Y-Kollektiv entstanden ist. Gleichzeitig hält Y an seinem Konzept fest und wird weiterhin Re­por­te­r*in­nen vor der Kamera zeigen, zumindest sofern es inhaltlich Sinn ergibt, sagt Semen. Das solle aber nicht in Selbstdarstellung ausufern. „Unsere Leute vor der Kamera sind auch keine Hosts, sondern Reporter*innen, Journalist*innen.“

„Funk“ und alle dazugehörigen Formate werden aus dem monatlichen Rundfunkbeitrag finanziert. Die Mediengruppe verfügt über ein jährliches Budget von rund 45 Millionen Euro – ein Drittel davon kommt vom ZDF, zwei Drittel von der ARD. Der öffentlich-rechtliche Charakter erlaube den einzelnen Formaten Unabhängigkeit von politischen und finanziellen Einflüssen ohne Werbung und Produktplatzierung, wie auf der „funk“-Website betont wird.

Sechs Jahre hatte das Y-Kollektiv quasi durchproduziert, jetzt erscheinen bis April Video-Inhalte im Zwei-Wochen-Rhythmus. Mehr Zeit für Themenfindung, Akquise, Recherche, Produktion – mehr Geld: „Das fühlt sich jetzt schon richtig an“, so Bonventre.

Fraglich ist, wie unabhängig Formate wie das Y-Kollektiv tatsächlich in ihrer Produktion sind. Sie unterliegen schließlich den redaktionellen Strukturen der dahinterstehenden Sender. Wie wird Qualität dort bewertet, woran Erfolg gemessen?

Auf Youtube tragen die letzten Y-Kollektiv-Videos Titel wie: Ich will keine Kinder, „Hättest du abgetrieben?“ und „Morgen bringe ich dich um!“

Für Semen ist klar: „Im Fokus stehen für uns immer die Geschichte und die Recherche und nicht die Zahlen.“ Dass dennoch nicht ganz egal ist, wie viel geklickt wird, ist logisch. Zum einen, weil das Angebot dem jüngerem Publikum bestenfalls entsprechen soll. Zum anderen, weil Öffentlich-Rechtliche durch die Verbreitung auf Plattformen wie Youtube automatisch mit privaten Rundfunkanbietern konkurrieren.

Eine gewisse Anpassung an den Wettbewerb ist auch beim Y-Kollektiv nicht von der Hand zu weisen. Die letzten Youtube-Thumbnails ihrer Videos tragen Titel wie: „Ich will keine Kinder“, „Hättest du abgetrieben?“ und „Morgen bringe ich dich um!“

In der neu erschienenen Reportage widmen sich die Re­por­te­r*in­nen Jan Stremmel und Toria Laurel der illegalen „Übersee-Polizei“ in Deutschland – eine Gruppe von Menschen, die von der chinesischen Regierung beauftragt wurde, im Exil lebende Re­gime­kri­ti­ke­r*in­nen zu überwachen. Die Anschlussfrage in den Kommentaren lautet: „Denkt ihr, dass China eine Gefahr für unsere Demokratie ist?“

Was will die Redaktion mit dieser Suggestivfrage? Generell wolle man zum Nachdenken anregen, sodass Anschlusskommunikation entsteht. Manchmal auch durch Provokation, so Semen. Warum sich die Ma­che­r*in­nen unter der neue Doku für diese Frage entschieden haben, weiß sie nicht.

Auch Bonventre weiß keine Antwort. Man sei in der Vergangenheit besser damit gefahren, so etwas im Nachgang zu diskutieren und „von der Erfahrung zu profitieren“.

Das Y-Kollektiv hat einen hohen Stellenwert, der Radio Bremen als kleinster Landesrundfunkanstalt der ARD im Senderverbund Anerkennung verschafft. Schon mehrfach wurde die Arbeit des Formats ausgezeichnet. Neben dem Sportsatire-Kanal „Wumms!“ ist Y eines der bremischen „funk“-Formate, das kontinuierlich Erfolge erzielt. Das spricht auch für die Arbeitsweise der Redaktion und der Sendefähig GmbH, der Radio Bremen überraschend freie Hand lässt.

Die feste Aufnahme in die ARD Mediathek sei ein Sprung auf das „next Level“, jubelt Radio Bremen. Welche Veränderungen genau das bedeutet, ist auch für Semen noch nicht absehbar. Die Videos würden auf jeden Fall länger – und die Recherche intensiviert. Das Y-Kollektiv präsentiert sich als Hoffnungsträger. Sein Umzug in die Mediathek sei ein „fantastisches Lob an die Arbeit, die unser ganzes Team geleistet hat“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!