piwik no script img

Bremer Unternehmen und KlimaschutzSie wollen ja, können aber nicht

Auf Einladung der Klimaschutzagentur energiekonsens diskutierten Bremer Unternehmer*innen , was nach dem Verfehlen der Klimaziele 2020 auf sie zukommen könnte.

Bremens Klimabilanz ist mies – obwohl die Stahlwerke als größter Emittent rausgerechnet werden Foto: dpa

Bremen taz | Provozierend und zugespitzt spricht Holger Rogall zu seinem Publikum. Er warnt vor Dürren, dem Untergang der Küstenstädte und einer dritten Völkerwanderung. „Die ersten zwei haben die Zivilisationen ja bekanntlich nicht überstanden.“ Ein unsicheres Lachen geht durch die Reihen der rund 40 Bremer Unternehmer*innen, die dem Berliner Professor für nachhaltige Ökonomie am Mittwochabend zuhören. Sie sind der Einladung der Klimaschutz­agentur „energiekonsens“ gefolgt, um das Verfehlen der Klimaschutzziele 2020 zu diskutieren.

Die Frage des Abends: Was kommt nun auf die Unternehmen zu? Rogall sieht die Verantwortung beim Staat. Er müsse eine „Leitplanke“ schaffen, die Unternehmen und Individuen dazu anregt, nachhaltige Produkte zu produzieren und zu konsumieren. Auf Unternehmen warte also Regulierung, beispielsweise durch Steuern oder Bonuszahlungen. Das Hoffen auf Selbstregulierung bringe nichts. „Vielleicht treffen wir uns im Ökohimmel wieder und klopfen uns auf die Schulter – aber als gesellschaftliche Strategie ist das eine Nullnummer.“

Und wie finden die Unternehmer*innen das? Auf dem Podium, welches auf den Vortrag von Rogall folgt, ist man sich einig: Regulierung sei immer schwierig, aber wenn, dann doch bitte deutschland- und europaweit. Franca Reitzenstein, Regionalvorsitzende des Vereins „Die Familienunternehmer“, und Björn Becker, Gesellschafter der „Becker-Holding“ und Erbauer des ersten Passiv-Bürohauses in Bremen, befürchten andernfalls einen Wettbewerbsnachteil.

Knud Vormschlag, der im Energiemanagement der Deutschen See tätig ist, sieht in seinem Betrieb erhebliches Einsparpotenzial. Es brauche unbürokratische Anreizmechanismen wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das sei aber nach der Novellierung grandios gescheitert, was auch ein Unternehmer aus dem Publikum erleben musste. Er hatte für seine Firma eine Holzschnitzel-Heizanlage gebaut und wegen des niedrigen Gaspreises wieder geschlossen.

Selbstregulierung ist eine Nullnummer

Holger Rogall, Professor für Nachhaltigkeitsökonomie

Umweltstaatsrat Ronny Meyer hatte in seinem Grußwort zuvor sein Ressort kritisiert. „Wir fühlen uns mitschuldig, weil die Klimaziele so ekla­tant verfehlt wurden.“ Das hatte der grüne Umweltsenator Joachim Lohse bereits im Dezember im Gespräch mit der taz zugegeben und den fehlenden Kohleausstieg des Bundes sowie das Bevölkerungswachstum als Gründe dafür genannt. Trotz des konsequenten Ausklammerns der Stahlwerke aus seiner Umweltbilanz liegt Bremen mit knapp 20 Prozent CO2-Einsparungen gegenüber 1990 unter dem Bundesschnitt, der 32 Prozent beträgt.

Der Staatsrat wirft ein, dass radikale Nachhaltigkeitspolitik, die Rogall fordert, eine Wiederwahl gefährden würde. Für diesen ist das keine Ausrede. Wenn die Klimaerwärmung nicht aufgehalten wird, liege das nicht an fehlenden technischen Mitteln, so der Ökonom. „Es wäre ein Politikversagen.“

Meyer ermutigt seinerseits die Unternehmer*innen zu mehr Klimaschutz. „Unternehmen haben heute mehr Macht als Staaten. Nie war die Erwartung an sie so hoch, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.“ Das ändere für Rogall aber nichts daran, dass es absolute Einsparungen brauche, die bisher fehlen.

Welche Rolle spielt individuelles Verhalten?

Es scheint so, als müsse letztlich das Individuum, welches gerade in Deutschland als umweltbewusst gilt, für Veränderung sorgen. Der Glaube daran sei aber eine „Lebenslüge“, mahnt der Professor. Studien würden belegen, dass mehr Umweltbewusstsein zu einer schlechteren Umweltbilanz führt: „Das geht oft mit einer höheren Bildung einher, mit einem besseren Job, mehr Geld und Konsum.“

Problematisch sei auch, dass ökologische Kosten nicht auf die Produktpreise umgelegt werden, sagt Rogall. Außerdem sei es schlicht nicht rational, sich als Einzelperson nachhaltig zu verhalten. „Wenn ich den Flieger nicht buche, ist der Platz am Ende ja trotzdem besetzt.“

Das Grundproblem des Themas zeigt sich auch an diesem Abend: Alle wollen, keiner scheint zu können. Die Unternehmen meinen, einen staatlichen Rahmen zu brauchen, der ihre Verluste auffängt. Die Politiker*innen, die diesen schaffen könnten, wollen ihre Wähler*innen nicht vergraulen. Und der Professor, der die augenscheinlich sinnvollsten Maßnahmen fordert, hat sich selbst vor langer Zeit aus der aktiven Politik verabschiedet. „Wenn das alles leicht wäre, wäre ich schon längst Nobelpreisträger und Präsident der Welt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wenn mehr Umweltbewusstsein mit einer höheren Bildung, mit einem besseren Job, mehr Geld und Konsum "einhergeht", ist das zunächst nur eine statistische Korrelation und kein Kausalzusammenhang. Daraus zu folgern, das zweite "folge" aus dem ersten, ist Unsinn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Rogall das so gesagt hat.

    Andererseits: Auch der Satz "Wenn ich den Flieger nicht buche, ist der Platz am Ende ja trotzdem besetzt" ist ziemlicher Unsinn. Selbst wenn das im Einzelfall mal so sein sollte, wird sofort klar, was für ein Quatsch es ist, wenn man es in der Gesamtheit betrachtet: Ginge die Nachfrage nach Flügen um 10% zurück, würde natürlich auch nach kurzer Zeit das Angebot zurückgehen.

    Wenn Rogall also den zweiten Satz so gesagt hat, hat er mglw. auch den ersten so gesagt. Hoffen wir, dass beides nicht der Fall ist...