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Bremer GeographieEin paar Schiffe, die tanken

■ Wie Berliner Hauptstadt-Schüler das schnuckelige Krisen-Bremen „kartieren“

Aus dem fernen Berlin kamen sie angereist. Im Gepäck: Stift und Klemmbrett. Ihre Mission: Bremen mal so richtig ins Auge zu nehmen, sprich zu kartieren. Die Auftraggeberin, Lehrerin Zimmermann, ließ dem Geographie-Leistungskurs der Zehlendorfer John-F.-Kennedy-Schule keine Atempause. Eine der Hauptpersonen, die 19-jährige Astrid, berichtet: „Wir haben um acht Uhr gefrühstückt, und dann mussten die Gruppen raus, die Aufgaben erledigen. Abends gab's dann noch eine Arbeitsbesprechung. Wir hatten gar keine Zeit zum shoppen“. Und ihre Freundin Juliane, ebenfalls 19 Jahre jung, pflichtet ihr bei. Dabei hat doch Bremen so tolle Läden, vor allem für Schuhe, finden die modebewussten Hauptstädterinnen.

Ihre Lehrerin indes gab einen für Oberstufenschüler eher ungewöhnlichen Plan vor, wie das Thema „Strukturwandel“ angegangen werden soll. Die Schülerinnen und Schüler sollten durch „Augenschein-Kartierung“ Gebäude beurteilen. Nach dem Zustand der Gebäude, nach den Baumaterialien, nach historischen Elementen wie Stuck oder martitimen Symbolen. Damit es auch schön übersichtlich wird, wurden die Gebäude je nach Note in Farbtönen von Gelb bis Grau in einen Plan eingezeichnet.

Genaue Ortsangaben sind für Geographen im allgemeinen von nicht geringer Bedeutung. Bei den Besuchern aus Berlin gab es da noch einiges nachzuholen. „Da hinten“, gaben die Mädels an, hätten sie die Gebäude beurteilt. Gemeint war ein Straßenzug hinter der Schlachte. Vivien (20) hat aber noch genauere Vorstellungen von der Umgebung: „Es sah wertvoller aus als das, was unsere Altstadt in Berlin zu bieten hat. Ich bin beeindruckt von so kleinen Fenstern, die waren so gegliedert.“ Dafür gab es ne glatte Eins in der Karte, nein, ein Gelb. Vivien ergänzt: „Und hier ist alles so sauber, das fällt auf“. Eine Gruppe Jungs sollten sich den Hafen zur Brust nehmen. Ihr Urteil: „Da war nichts los. Ein paar rumstehende Container und Baufahrzeuge, die alles neu machen“, so Experte Benjamin. Ein Kumpel fällt ihm ins Wort. „Ein paar Schiffe, die tanken und Krähne, die ein bisschen hoch und runter machen.“

Konkreter scheinen die Ergebnisse der Umfragen zu sein. Juliane und Astrid fragten „am Wasser und an der Promenade Einheimische und Pärchen, also nicht nur Touristen“, wie denn Bremen so sei, wie viel Geld in der Hansestadt ausgegeben werde und wie es sich hier lebe. Vivien fällt die Antwort eines jungen Geschäftsmannes ein, nach dessen Meinung Bremen eine junge Stadt sei. Das sähe man am Angebot von Karstadt. Dabei findet der Hauptstädter Benjamin, dass der „Kaufhof aussieht wie am Alex. Und das Cafe hier, das heißt auch noch Alex“.

Haben die jungen Kartographen Heimweh nach Berlin? Mit den Antworten wird ein wenig gezögert. „Die Geschäfte sind hier besser. Vor allen die Schuhgeschäfte“, findet Viola. Aber leben möchte sie hier nicht. Mark (18) weiß, warum: „Hier ist nichts los. Keine Autos auf der Straße, keine Menschen unterwegs.“ Liegt das vielleicht an Marks Abendgestaltung? „Wir waren im Parkhotel was essen“. Nach Umfragen und Kartenmalen wissen Juliane und Astrid aber, was toll ist an Bremen. “Das Schnoorviertel ist so putzig. Und man kann hier alles erlaufen“. Nach Feierabend schlenderten die Mädels erstmalig ins abendliche „Viertel“, ohne Stift, ohne Karte. Nach dieser Exkursion wartete eine Klausur auf die angehenden Abiturienten. Die Frage, was Strukturwandel ist und welche Auswirkungen er hat, wird sicher auch von der Lehrerin gestellt werden, dort im fernen Berlin

Sandra Voß

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