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Brasilien vs. SchweizFavoritenauftritt zum Fremdschämen

Die Topfavoriten der WM tun sich schwer: Brasilien patzt gegen die Schweiz, und selbst Neymar konnte es nicht richten. Woran liegt's?

Enttäuschung auch beim Brasilianer Roberto Firmino Foto: dpa

Es war eine Blamage. Ja, die Auswahl der Schweiz kann einen ganz passablen Fußball spielen, das Team ist fleißig und zeigt die Körperlichkeit, die es braucht für große Verteidigungsschlachten, gegen die Großen des Fußballbusiness. Und doch war von der ersten Minute des Spiels an zu sehen, dass auf jeder einzelnen Position das Team Brasiliens besser aufgestellt ist als das der Schweizer.

Die Brasilianer haben in den ersten 20 Minuten des Spiels gezeigt, wie ihr schönes Spiel aussehen könnte, dass sie eben spielen können, während die Schweizer Fußball eher arbeiten. Am Ende stand ein 1:1. Brasilien hat aus seinen Möglichkeiten so wenig gemacht, dass man das getrost als verheerend bezeichnen kann. Es war wieder so ein Favoritenauftritt zum Fremdschämen.

Das lag gewiss zum Teil auch daran, dass Brasiliens Superdupermann Neymar, auf dem das Team für gewöhnlich die meiste Verantwortung ablagert, nicht gerade fit wirkte. In den letzten Testspielen vor der WM, vor allem bei seinem Zaubertor gegen Österreich sah es so aus, als habe er seine Mittelfußverletzung überwunden, wegen der er seit Ende Februar kein Spiel mehr für seinen Klub Paris Saint Germain mehr bestreiten konnte. Im Wettkampfspiel sah es so aus, als müsse er noch einmal in orthopädische Behandlung.

Dass er vor allem in der zweiten Hälfte von den Schweizern gedoppelt worden ist, hat ihn genervt. Auch dass er zehn Mal gefoult wurde, hat ihm offensichtlich gestunken. Verständlich, aber warum er bei beinahe nach jedem Anspiel den Gegenspieler mit dem Ball am Fuß anläuft, auf dass er ihn publikumswirksam ausspielen kann, das bleibt dann doch ein Rätsel – vor allem wenn es so selten klappt. Spielwitz sieht anders aus.

Unharmonische Formation

Neymar konnte es also nicht richten. Und Philippe Coutinho, der als einer der Lieblingsspieler von Trainer Tite gilt, hat er ihn doch beinahe immer in die Startelf gestellt, fand sich bei Anpfiff auf einer in der Nationalmannschaft für ihn ungewohnten Position wieder.

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Statt außen anzugreifen, fand er sich im zentralen Mittelfeld wieder, die vordere Dreierreihe bildeten nun Neymar, Gabriel Jesus und Willian. Coutinho sollte sie ins Spiel bringen. So spektakulär sein Treffer zum 1:0 nach 20 Minuten auch war, als Spielmacher war er doch eher unauffällig. Die neue Formation wirkte nicht wirklich harmonisch.

Und weil Casemiro und Paulinho im dem hinteren Mittelfeld meistens gar nicht wussten, wie sie das Spiel eröffnen sollten, kann man durchaus von einem systemischen Versagen im brasilianischen Team sprechen. Da hat nicht viel funktioniert. Es war nicht zu erwarten, dass Trainer Tite so etwas auf der Pressekonferenz nach der Partie eingestehen würde, dass er die Verantwortung für die Punkteteilung aber dem Videoschiedsrichter in die Schuhe schieben wollte, war dann eben auch Teil eines blamablen Auftritts der Brasilianer in der Rostow Arena.

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Tatsächlich hatte der Schweizer Fabian Schaer vor seinem Kopfballtor in der 65. Minute Brasiliens Miranda ein wenig von sich weg geschubst. „Ich möchte über nichts reden, was offensichtlich ist“, meinte Trainer Tite, „das war ein Foul.“ Der Schiedsrichter hatte dennoch auf den Anstoßpunkt gezeigt und auch aus dem Kontrollraum der Videoschiedsrichter kam kein Widerspruch. Und so redeten die Brasilianer beinahe schon eine Verschwörung herbei. Über ihr Spiel haben sie kaum gesprochen. Vielleicht war es ihnen einfach nur peinlich.

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1 Kommentar

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  • Dieser Kommentar ist auch einer zum „fremdschämen“, finde ich.

     

    Was soll das für ein „Spiel“ sein, bei dem es nur darum geht, den „Gegner“ „platt“ zu machen?

     

    Ich sehe ein: Es geht nicht mehr um 1000 Mark und einen Schwarzweißfernseher. Es geht um richtig viel Geld. Vor allem für die Sponsoren. Aber muss ein Sport-Reporter nicht auch noch andere Maßstäbe haben? Die Schweizer für ihren brutalen Rumpelfußball zu feiern, nur weil er letztlich den ersehnten Punkt gebracht hat, kann es ja wohl auch nicht sein.

     

    Sogar mein – ansonsten selten durch übermäßige viel Empathie auffallender – Lebensabschnittsehemann hat festgestellt, dass „Brasiliens Superdupermann Neymar“ so unfair behandelt wurde, dass er sein Potential gar nicht entfalten konnte. Wir haben unabhängig von einander (und natürlich nur im Scherz) die These aufgestellt, der Schiri und die Linienrichter würden sich ihre Aufwandsentschädigung womöglich auf ein Schweizer Nummernkonto zahlen lassen. Es wäre sonst entschiedener durchgegriffen worden gegen diejenigen, die „die Körperlichkeit“ gezeigt haben, die es angeblich „braucht für großen Verteidigungsschlachten gegen die Großen des Fußballbusiness“.

     

    Spiele ohne Fairness sind keine Spiele. Spiele ohne Fairness sind Beschiss. Und Beschiss mit dem Ziel, sich einen Vorteil zu verschaffen, wird nicht umsonst geahndet im richtigen Leben. Überall auf der Welt. Weil keine Gesellschaft, die überleben will, so was auf Dauer durchgehen lassen darf.

     

    Nein, die Rolle des David rechtfertigt unfaires Verhalten nicht. Fußballer sind auf einen funktionsfähigen Körper angewiesen. Wer die Funktionsfähigkeit bedroht, löst existenzielle Ängste aus. Die Schweizer wussten das vermutlich. Deswegen haben sie gespielt, wie sie gespielt haben. Ob Rüttenauer weniger „genervt“ reagiert hätte, wäre er an Neymars Stelle gewesen, werden wir nie erfahren. Er hat es ja vorgezogen, vom virtuellen Spielfeldrand aus eine dicke Lippe zu riskieren. Kritiker!