■ Brasilien: Massaker bleibt ungesühnt: Landlose sind Freiwild
Nun ist es amtlich: Brasiliens Polizisten dürfen im Konflikt mit der Landlosenbewegung MST foltern und morden – von der Justiz haben sie wenig zu befürchten. Zwar waren die Chancen von Armen, in einer juristischen Auseinandersetzung mit staatlichen Sicherheitsorganen Recht zu bekommen, schon immer minimal. Doch dass der lang angekündigte Prozess gegen die Täter von Eldorado de Carajás bereits nach drei Tagen zur Farce verkommen würde, hatten selbst die größten Skeptiker nicht vermutet. Zu eindringlich wirken die Aufnahmen vom Blutbad nach, die den BrasilianerInnen vor drei Jahren immer wieder vorgeführt wurden.
Seither hat sich die MST zur lautstärksten Oppositionsgruppe gegen den neoliberalen Wirtschaftskurs von Präsident Hernando Henrique Cardoso entwickelt. Die schleppende Landvergabe und die unverminderte Polizei-Brutalität haben zu einer Radikalisierung der Bewegung geführt. Sie hat ihre Besetzungen wiederholt auf produktive Ländereien ausgedehnt und wirbt erfolgreich neue Mitglieder bei den perspektivlosen Menschen in den Städten an. Auch die Teilnahme an zukünftigen Wahlen hat sie bereits angekündigt. Wenn er auf die MST zu sprechen kommt, verliert der sonst so lässige Cardoso immer wieder die Fassung: Mal bezeichnet er sie als „Paramilitärs“, mal als „politische Agitatoren“, oder er wirft ihnen – wenige Stunden vor dem Urteil – „opportunistischen und unpatriotischen Umgang mit sozialen Fragen“ vor. Im ersten Jahr seiner zweiten Amtsperiode ist der Präsident unpopulärer denn je. Der Rezession begegnet er mit Durchhalteparolen. Die politische Reform, die die unverhältnismäßige Machtposition der konservativen Großgrundbesitzer im Kongress antasten müsste, bleibt ein Lippenbekenntnis. Um seine parlamentarische Basis nicht zu verprellen, verbindet er den Abbau staatlicher Strukturen auch und gerade im Sozialbereich mit klientelistischen Konzessionen an gesellschaftlich mächtige Gruppen. Die Landlosen gehören nicht dazu.
In den letzten fünfzehn Jahren wurden hunderte von Landlosen straflos umgebracht, weitgehend unbeachtet von der restlichen Gesellschaft. Denn auch die großen Medien stehen der MST und ihren Anliegen fast ausnahmslos ablehnend gegenüber. So ist ein gesellschaftliches Klima entstanden, das es der Geschworenenmehrheit in Belém erlaubt hat, keine Beweise für die Schuld der angeklagten Offiziere zu sehen. So wurde den Killern von morgen einen Freibrief ausgestellt. Gerhard Dilger
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