piwik no script img

Brasilianischer Fußballrebell Afonsinho„Aufmüpfigkeit ist notwendig“

Afonsinho, der sanfte Rebell des brasilianischen Fußballs, über den Spielstil der Seleção, seinen Kampf gegen die Vereinsbosse und sein Fußballteam in den 70er Jahren.

„Für mich ist Widerspenstigkeit ein wichtiger menschlicher Wert“, sagt Afonsinho – „Arena Amazonia Soccer Stadium“ in Manaus Bild: reuters
Interview von Ole Schulz

taz: Herr Afonsinho, was für ein Fußballer waren Sie?

Afonsinho: Ich war ein Spielmachertyp, der Chancen für die Stürmer kreiert hat und Pässe in die Tiefe des Raums spielen konnte. Ich habe den Rhythmus des Spiels bestimmt, je nach Situation und Gegner. Wobei das von mir bevorzugte Spieltempo schon einen langsameren Rhythmus hatte.

Anthropologen Ihrer Heimat sehen gerade in dem langsamen Rhythmus das Besondere des brasilianischen Fußballs, bei dem man nicht so viel rennt, im Gegensatz zum europäischen Kraftfußball.

Das stimmt. Was ich am Fußball jedenfalls am meisten mag, ist es, mit dem Ball zu spielen, ihn in der Luft zu halten, Tricks zu machen, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Das faszinierte mich ich schon als Kind, und darum bin ich auch Fußballer geworden.

Auch abseits des Platzes haben Sie für Furore gesorgt. In einer Zeit, als Fußballer in Brasilien noch wie Leibeigene behandelt wurden, haben Sie sich für die Rechte der Spieler eingesetzt.

Es gab den Spielerpass. Durch den waren die Fußballer an ihren Verein gebunden – man könnte auch sagen „gekettet“. Mehr noch: In der Regel erhielt ein Spieler, wenn er verkauft wurde, nur 15 Prozent der Transfereinnahmen, der Verein dagegen die restlichen 85 Prozent. Ich war der Erste, der sich vor Gericht das Recht erkämpft hat, frei über seinen eigenen Spielerpass bestimmen zu können. Das bedeutete, dass ich mir meinen Verein nun selber suchen konnte. In Europa ist es dazu erst viel später gekommen, durch das Bosman-Urteil von 1995.

Bild: archiv
Im Interview: Afonso Celso Garcia Reis

Der 66-Jährige ist eigentlich nur unter dem Namen Afonsinho bekannt. Er begann seine Fußballkarriere 1962 bei Esporte Clube XV de Novembro in Jaú (São Paulo). Später spielte er für den Klub Botafogo de Futebol e Regatas in Rio de Janeiro.

Afonsinho hat einen Namenvetter, Affonso Guimarães da Silva, Jahrgang 1914, der es im Gegensatz zu Reis bis ins brasilianische Nationalteam schaffte. Über Reis gibt es sogar einen Dokumentarfilm: „Passe livre“ aus dem Jahr 1974.

Warum haben Sie diesen schwierigen Kampf gegen die allmächtigen „Cartolas“, die Vereinsfunktionäre, auf sich genommen?

Es begann damit, dass es bei Botafogo einen Trainerwechsel gab. Vorher war ich Stammspieler, doch ich passte nicht ins Konzept des neuen Trainers. Das war der zweifache Weltmeister Mário Zagallo, und er stellte mich nicht mehr auf. Aber ich wollte weiter spielen und darum den Verein wechseln. Mir lagen auch mehrere gute Angebote vor, doch wegen des Spielerpasses durfte ich Botafogo nicht verlassen.

Spielten die damaligen Zeitumstände auch eine Rolle, die Jahre um 1970 waren ja die Hochzeit der Militärdiktatur?

Natürlich. Überall in der Welt gab es Studentenunruhen, während in Brasilien weiter das Militär herrschte. Die sozialen Beziehungen waren daher sehr autoritär geprägt, was sich auch im Fußball widerspiegelte. Ich trug damals lange Haare und einen Bart, zudem studierte ich Medizin an der Universität, das alles sah man gar nicht gern. Ein Spieler sollte sich um Fußball kümmern und sonst nichts.

Brasiliens Fußballrebellen

In drei Monaten beginnt die Fußball-WM in Brasilien. Dann wird besonders deutlich, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse im Fußball spiegeln. Auch die neuere brasilianische Geschichte lässt sich anhand des Fußballs erzählen. Es hat immer wieder Fußballer gegeben, die sich sowohl gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten wie auch dem Militär widersetzt haben – von Fausto dos Santos, dem ersten dunkelhäutigen Fußballer, der in den 1930er Jahren zum Idol der Massen wurde und Zeit seines Lebens um eine angemessene Bezahlung kämpfte, über Reinaldo, der in den 70er Jahren seine Tore in Anlehnung an die Black Panther mit ausgestreckter Faust zelebrierte bis zum „Doutor" Sócrates: In seinem Verein Corinthians São Paulo setzte er sich mit Mitspielern für demokratische Strukturen ein und forderte freie Wahlen. Einer der fraglos wichtigsten brasilianischen „Fußballrebellen" war Afonsinho.

Wurde es ein langer Prozess?

Die ganze Auseinandersetzung zog sich fast drei Jahre hin, von Ende 1968 bis März 1971. Aber am Ende gewann ich den Prozess. Allerdings hatte ich danach zunächst Schwierigkeiten, bei anderen Mannschaften einen Vertrag zu erhalten. Erst habe ich bei dem kleinen Verein Olaria gespielt, einem industriellen Vorort Rio de Janeiros, anschließend aber auch bei großen Mannschaften wie Santos, Flamengo und Fluminense. Es dauerte schließlich noch fast 30 Jahre, bis 1998 von Pelé, als er Sportminister war, ein Gesetz erlassen wurde, durch das die restriktiven Regelungen des Spielerpasses in Brasilien endgültig abgeschafft wurden.

1967 und 1968 haben Sie mit Botafogo zweimal die Stadtmeisterschaft von Rio de Janeiro gewonnen. Es waren Ihre besten Jahre als Fußballer, als die Auseinandersetzung um Ihren Spielerpass begann. Ihre Karriere hat darunter zweifellos gelitten. Bereuen Sie das heute manchmal?

Nein. Es war sowohl eine Zeit der politischen Unterdrückung wie auch des Aufbruchs. Und im Nachhinein hat sich auch gezeigt, dass ich mit meiner Forderung im Recht war, freie Verfügung über meinen Spielerpass erlangen zu wollen.

Inwiefern?

Nach dem Sieg bei der WM 1970 in Mexiko hat Brasilien 24 Jahre keinen wichtigen Titel mehr gewonnen. Mein Verhalten war eine Reaktion auf die verkrusteten Strukturen, die zu der langen Erfolglosigkeit der brasilianischen Nationalmannschaft geführt haben. Vielleicht hätte ich als Spieler mehr erreichen können. Aber dafür habe ich Dinge erfahren, die wichtiger im Leben sind, von seinen Mitmenschen mit Respekt behandelt zu werden zum Beispiel. Obwohl ich meine Karriere vor über 30 Jahren beendet habe, werde ich immer noch auf der Straße mit den Worten angesprochen: „Glückwünsche, Herr Afonsinho!“

Ein Preis, den Sie dafür bezahlt haben, ist, dass Sie nie im Nationalteam gespielt haben?

Es gab mit Sicherheit Momente in meiner Karriere, wo ich einer der besten Mittelfeldspieler Brasiliens war, gerade in der Zeit nach der WM 1970. Mein Trainer bei Botafogo, Mário Zagallo, wurde ja auch Trainer der Seleção, nachdem die Militärs dafür gesorgt hatten, dass sein Vorgänger João Saldanha abgesetzt wurde, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei Brasiliens war.

Pelé antwortete damals auf die Frage, wer im Fußballgeschäft wirklich frei sei: „Ich kenne nur einen Einzigen, Afonsinho.“ Sie sahen seinerzeit mit Ihrem langen Bart aus wie ein Che Guevara des Fußballplatzes, und in Ihrer Heimat wurden Sie oft als „Rebell“ bezeichnet. Mögen Sie diesen Ehrentitel?

Für mich ist Widerspenstigkeit ein wichtiger menschlicher Wert. Die Gesellschaft verändert, entwickelt sich und muss sich verändern. Darum ist Aufmüpfigkeit manchmal notwendig. Ich denke schon, dass ich mich selbst als Rebellen bezeichnen kann, denn ich habe mich gegen gewisse Dinge zur Wehr gesetzt. Nur verbindet man mit dem Wort rebellisch häufig etwas Aggressives – und das bin ich nicht, im Gegenteil: Ich halte die Fahne der Sanftheit hoch.

Einer, mit dem Sie zu Karrierebeginn bei Botafogo noch zusammengespielt haben, war der legendäre Garrincha. Wegen seines unsteten Lebenswandels stand der Dribbelkünstler immer wieder in der Kritik.

Für mich war Garrincha kein umstrittener Spieler. Als Fußballer war er ein Genie. Und auch als Mensch hatte er eine unglaubliche Sensibilität. Deshalb haben wir die Mannschaft, die ich mit Freunden gegründet habe, „Trem da Alegria“, „Zug der Freude“, genannt, als Hommage an ihn. Denn Garrincha wurde von vielen „Alegria do Povo“ gerufen, die „Freude des Volkes“. Das zeigt die grenzenlose Bewunderung für Garrincha, nicht nur für den Fußballer, sondern auch für den liebenswürdigen Menschen, der er war.

Der „Zug der Freude“, was war das für eine Mannschaft?

Mitte der 70er Jahre, als wir den Trem da Alegria gegründet haben, gab es viele junge Spieler, die arbeitslos wurden. Zusammen mit einigen anderen, die wie ich Verfügung über ihren Spielerpass erkämpft hatten oder am Ende ihrer Karriere standen, formierten wir den „Zug der Freude“. Wir nahmen zwar nicht am Ligabetrieb teil, spielten aber professionell und verdienten Geld damit. Zwischen 1976 und 1979 tourten wir nicht nur durch ganz Brasilien, sondern sogar bis nach Angola.

Es gibt ein Foto von Ihnen und Sócrates, einem anderen „Rebellen“, mit dem Sie gemeinsam Bier trinken.

Wir waren Brüder im Geiste. Sócrates war ja Mediziner wie ich auch, und wir beide haben uns für Dinge außerhalb des Fußballs interessiert und engagiert. Im Übrigen stimmt es nicht, dass Sócrates so viel Alkohol getrunken hat, wie es immer heißt.

Unbestritten ist aber, dass Sócrates eine wichtige Rolle in der Bewegung „Democracia Corinthiana“ gespielt hat, die am Ende der Militärdiktatur 1982 freie Wahlen forderte. Nach seinem Tode 2011 haben Sie Sócrates’ Kolumne in der Zeitschrift Carta Capital übernommen. Dort haben Sie vorgeschlagen, dass der WM-Ball nicht „Brazuca“ heißen solle, sondern …

„Menina“, Mädchen. Ich dachte dabei an den großen Mittelfeldstrategen Didí, der über den Ball gesagt hat, man müsse ihn liebevoll behandeln.

1982 haben Sie Ihre Karriere beendet. Was machen Sie seitdem?

Ich habe mein Medizinstudium schon während der aktiven Zeit als Fußballer abgeschlossen und arbeite seither als Arzt. Viele Jahre war ich in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses tätig, heute in der öffentlichen Gesundheitsstation auf der Insel Ilha de Paquetá in der Bucht von Rio de Janeiro. Vielleicht kehre ich irgendwann auch als Trainer in den Profifußball zurück.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • sorry - ich weiß nach Uli die Wurst

    haben alle die Schnauze von

    Ex-Balltretern voll -

     

    aber der Mann - ist Klasse

     

    ps - das Foto inne papertaz

    fehlt ernsthaft