Bramsche pflegt Gedenkstein für Nazi: Zwischen Gülle und Eichenlaub
Das niedersächsische Bramsche pflegt den Gedenkstein für Jagdflieger Walter Nowotny gut. Das freut jene, die dem willigen Star der NS-Propaganda noch heute huldigen
Es gibt Orte, die findest du nicht einfach so. Nach denen musst du suchen. Der Gedenkstein für Jagdflieger Walter Nowotny ist so ein Ort, in Epe bei Bramsche, an einer Landstraße durchs niedersächische Nirgendwo aus Feld, Wald und Wiese. Es ist ein umstrittener Ort; seit jeher Treffpunkt rechter Heldenverehrer. Zwei Eichen, zwei Findlinge, viel Immergrün, drumherum ein Jägerzaun. Inschrift: „Hier fiel am 8. 11. 1944 nach 258 Luftsiegen der Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten Major Walter Nowotny für Volk und Vaterland“. „Führer“ stand hier früher auch mal.
Oben auf dem Gedenkstein sind Trümmerteile des Düsenjägers Messerschmitt Me 262 A-1a „Weiße 8“ einzementiert, in dem Nowotny, nach einem Abfangeinsatz gegen alliierte B-17-Bomber, beim Landeanflug auf den Fliegerhorst Achmer abstürzte. Abgeschossen von einer Staffel P-51 Mustang? Nur ein Triebwerksschaden? Niemand weiß es. Das hilft bei der Legendenbildung. Nowotnys Fallschirm, heißt es, habe sich am Leitwerk verfangen. Sein letzter Funkspruch, heißt es, habe mit „Scheiße, Scheiße!“ begonnen. Im Wrack seiner Maschine, heißt es, habe ein Trümmerstück seines höchsten Ordens gelegen. Was damals wirklich geschah, verliert sich.
NSDAP-Mitglied Nowotny war als einer der erfolgreichsten, also todbringensten Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg und Leiter eines nach ihm benannten „Erprobungskommandos“ für die zur „Wunderwaffe“ stilisierte Me 262 ein williger Star der NS-Propaganda: Empfang bei Hitler, Erwähnung im Wehrmachtsbericht. Und Nowotnys Gedenkstein wird offenbar noch heute häufig besucht. Davon zeugen nicht nur die geleerten „Jägermeister“-Flaschen links vom Zaun, die aussehen wie frisch aus dem Regal. Da ist auch ein relativ neues Gesteck der „Traditionsgemeinschaft Westfalengeschwader“.
Ein alter Mann kommt vorbeigeradelt. Er hält an, schüttelt den Kopf. „Wenn es nach mir ginge: Sofort weg mit dem Ganzen!“ Und dann erzählt er. Von all den „Typen“, die sich hier treffen. „Komische Gestalten dabei. Halten dann Feiern ab. Manchmal mit Fackeln. Vor allem am Heldengedenktag.“ Pause. Räuspern. Dann, leiser: „Naja, heißt ja jetzt wieder Volkstrauertag.“ Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. „Ich sag mal: Die Leute hier reagieren bei diesem Thema etwas empfindlich.“ Was ihn besonders ärgert: „Dass die Stadt Bramsche die Pflege übernimmt! Unmöglich!“
Im Büro des Bramscher Bürgermeisters Heiner Pahlmann (SPD) sieht man das nicht als Problem: „Ja, das macht unser Betriebshof. Ein paar Mal im Jahr fahren die raus, räumen auf, kümmern sich um die Pflasterung, den Gehölzschnitt, machen alles wieder hübsch.“ Stand das mal auf den Prüfstand? „Nicht, dass ich wüsste.“ Was das kostet? „Keine Ahnung.“
Und dann ist da noch die Sache mit der Patenschaft durch das „Jagdgeschwader Dreierwalde“, von der vor Ort immer wieder die Rede ist. Gemeint ist da wohl das JG 72 „Westfalen“, einst auf dem Fliegerhorst Hopsten stationiert, nahe Dreierwalde, gar nicht weit von hier – bevor es 2002 abgeschafft wurde. Nach Recherchen, „wer Nowotny überhaupt war“, schließt Major Christian Schneider, ein Sprecher der Luftwaffe, ein Bundeswehr-Engagement aus: „Eine Patenschaft von uns gibt es nicht.“ Aber vielleicht hat es sie mal gegeben? „Sieht nicht so aus. Das wüssten wir“, sagt Schneider. Und das Gesteck der „Traditionsgemeinschaft Westfalengeschwader“?
Robert Goda, für die Grünen im Eper Ortsrat, ist der Gedenkstein „ganz klar ein Dorn im Auge“. Auch er hat die Sache mit dem Dreierwalder Geschwader schon oft gehört. „Und die Bundeswehr sagt, da ist nichts? Komisch.“ Immer wieder war der Nowotny-Gedenkstein Thema im Ortsrat. Besser alles wegräumen? Oder stehenlassen, weil das ja ein Geschichtszeugnis ist? „Einer unserer Vorschläge war, zumindest eine Hinweistafel dazuzustellen, mit dem geschichtlichen Hintergrund“, sagt Goda. „Nowotny war ja ein ziemlicher Verfechter der NS-Ideologie.“ Aber daraus wurde nichts. „Das provoziert doch nur Vandalismus“, hieß es. „Außerdem betrachten die Eper Nowotny als einen der ihren, obwohl er ja Österreicher war.“
Aber Goda gibt nicht auf: „Wenn sich da weiterhin rechtes Gesocks trifft, ist das natürlich nicht tolerabel. Dann muss das nochmal auf die Tagesordnung.“ Viel Hoffnung hat er dafür aber nicht. Im elfköpfigen Ortsrat ist er der einzige Grüne. „Und bei den anderen Parteien wird sich da wohl nicht viel bewegen.“ Warum die Stadt Bramsche den Stein pflegt? „Für die ist das wohl ein Gedenkstein wie jeder andere. Da denkt offenbar keiner so genau drüber nach“, sagt Goda.
In Wien wurde offenbar drüber nachgedacht, und es wurden Konsequenzen gezogen: Zumindest hat die Stadt Nowotnys Grabstelle 2003 auf dem Zentralfriedhof den Ehrenstatus aberkannt – auf rot-grünes Drängen. Seither stehen hier an Nowotnys Todestag keine Ehrenwachen des österreichischen Bundesheers mehr. Nowotnys Grab ist zwar noch immer Kultort rechter Aufmärsche, und Nowotny-Gegner greifen zu Farbattacken. Aber seit Gerhard Pendl, Professor der Medizinischen Universität Wien, 2006 hier als Obmann des „Vereins zur Pflege des Grabes von Walter Nowotny“ sagte, es sei „unsere Pflicht, gegen die seelischen Narben der Gutmenschen, die auch die Toten nicht in Ruhe lassen, aufzuzeigen, dass es doch noch ein Fähnlein gibt in diesen deutschen Landen, die unsere unschuldigen Soldaten und ihren furchtbaren Tod nicht vergessen oder gar herabwürdigen“, ist man vorsichtiger geworden. Konsequenz damals, für Universitätsrat Pendl: Die Uni-Leitung distanzierte sich, Abberufung.
Seither ist viel Nowotny-Verehrung ins Internet ausgewichen. Das liest sich dann etwa so: „Wir alle, denen uns Menschen mit Mut und Charakter lieb und wert sind, werden an Walter Nowotny immer denken.“ Es gibt Beiträge wie den von Gerhard Panusch, der am 20. Juni 2014 auf der Facebook-Seite „Stoppt den Frevel an Major Walter Nowotnys Grab“ schreibt: „Bitte mich zu verständigen, wann im Herbst die feierliche Kranzniederlegung stattfindet, ich gehöre dem Kameradschaftsbund an und es wollen mehrere Kameraden dabei sein.“
Es gibt Seiten, die jeden einzelnen Luftsieg auflisten, mit Uhrzeit, Typ des abgeschossenen Flugzeugs und Abschusshöhe. Es gibt Seiten, die befördern den Krieger schnell auch mal vom Major zum Oberst. Und auch Gamer elektrisiert Nowotnys letzter Feindflug: Auf PlayStation- und Xbox ist es möglich, den angeblichen Fight der Mustangs gegen Hitlers Helden in „Birds of Steel“ nachzuspielen.
Manchmal landet das Ergebnis dann auf Youtube. Bei Pops Brink zum Beispiel. 3 Minuten, 52 Sekunden lang. Zu dräuender Musik aus Brian G. Huttons Kriegsfilm „Where Eagles Dare“. „I was fortunate enough to shoot down the jet“, kommentiert Brink, „must remember it’s only a game.“ Okay, die Landschaft, über der sein Dogfight mit Nowotny stattfindet, hat nichts mit dem wirklichen Achmer zu tun. Aber egal: Feuer frei!
Echte Nowotny-Jünger rümpfen da wohl die Nase. Die zieht es an den realen Schauplatz, und das nicht nur wegen ihrer Leidenschaft für Lost Places oder, um den Schauder des Schlachtfelds zu spüren. Sie kommen, sagt Goda, „offenbar eben auch aus Heldenverehrung“.
Die ganze Region um Bramsche ist voller NS-Relikte. Da ist der Fliegerhorst Achmer, Deckname „Ahnenkult“, von dem Nowotny am 8. 11. 1944 aufstieg: Wer nicht genau hinsieht, bemerkt hier heute nur die Segelflugzeuge des „Osnabrücker Vereins für Luftfahrt“ und die Maschinen des „Modellflugclubs Osnabrück“. Aber wer weiß, wonach er suchen muss, findet rund um das gewaltige Dreieck seiner heute überwachsenen Startbahnen Reste der einstigen Nutzung – vom Bunker bis zum Bordwaffen-Einschießstand. Bei den nahegelegenen Einsatzhäfen Vörden, Deckname „Villa“, und Hesepe, Deckname „Hostentor“, ist das genauso.
Früher, sagt Goda, da sei am Eper Gedenkstein noch viel mehr los gewesen als heute. „Ich dachte, das stirbt jetzt so langsam aus.“ Aber die Blumen sind frisch. Und auch der Kranz, auf dessen Schleife „Flori und Rudi“ steht, wirkt wie neu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland