Boxprofi über Olympiavorbereitung: „Man ist schnell austauschbar“

Boxerin Christina Hammer über ihren olympiabedingten Wechsel von den Profis zu den Amateuren und die damit verbundenen Schwierigkeiten.

Boxerin Christina Hammer setzt an zum Jab.

„Ich bin stolz als Frau“: Christina Hammer möchte nach Tokio zu den Sommerspielen Foto: Marijan Murat/dpa

taz: Frau Hammer, Sie sind Profiweltmeisterin und wollen Olympiagold. In dieser Reihenfolge hat es das noch nie gegeben. Wollen Sie Sportgeschichte schreiben?

Christina Hammer: Sportgeschichte ist ein großer Begriff. Aber Gold ist das oberste Ziel bei meiner ersten Teilnahme an den Olympischen Spielen. Wenn das dann die Sportgeschichte der Zukunft wird, bin ich stolz als Frau und Boxerin, diese Geschichte mitgeschrieben zu haben.

Wie sehr müssen Sie sich denn dafür boxerisch umstellen?

Profis haben einfach mehr Rundenzeiten. Die Kämpfe gehen oft über zehn bis zwölf Runden à zwei Minuten. Bei den Amateuren habe ich drei Runden à drei Minuten, da muss ich direkt durchstarten. Genauer heißt das, ich muss mit einer viel höheren Schlagfrequenz und somit auch Intensität boxen.

Auf K. o. gehen?

Nein, gerade diese Taktik nicht. Das Warten auf den entscheidenden Schlag kann ich mir da nicht erlauben, da die Zeit zum Taktieren durch weniger Runden fehlen wird. Da heißt es dann eher punkten und gut verteidigen.

Weil Sie bis zu diesem Punch nach Punkten zurückliegen würden?

Es kann sein, dass man sich als Boxerin dafür entscheidet, auf einen K. o. zu setzen, gerade wenn man nicht viel punktet und hinten liegt. Häufig ist der K. o. dann auch die letzte Möglichkeit, das Blatt zu wenden. Das trifft aber nicht auf meinen Boxstil zu. Mein Ziel ist es, von Runde eins an immer in Führung zu gehen, aber wenn ich Fehler meiner Gegnerin nutzen kann, dann will ich auch einen K. o. Ist doch klar!

Welche Rolle hat Corona bei Ihrer Entscheidung gespielt, sich auf Olympia zu konzentrieren?

Corona ist allgemein für den Sport der absolute Killer. Im Profi- und Berufsboxen gibt es immer weniger Veranstaltungen und somit auch kaum eine Möglichkeit, die eigene Leistung zu zeigen und sich auch finanziell abzusichern. Ich war total froh, als ich das Angebot vom DBV erstmals erhielt und mir somit die Chance gegeben wurde, mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.

ist 1990 in Kasachstan geboren. Ihr Profidebüt gab die deutsche Boxerin 2009, ein Jahr später wurde sie WBO-Weltmeisterin im Mittelgewicht. Bei Olympia in Tokio will sie im Boxturnier antreten. Ihr nächster Termin: der Cologne Boxing World Cup am Mittwoch.

Wie sicher sind Sie, dass die Spiele im Sommer in Tokio stattfinden?

Man darf sich nicht andauernd diese Frage stellen, ob etwas stattfindet oder nicht. Das verunsichert nur und bringt nichts. Sagen wir es so: Ich gehe aktuell davon aus, dass es kein erneutes Verschieben oder sogar eine Absage der größten Sportspiele der Welt geben wird. Ich bereite mich weiter vor. Punkt!

Nehmen wir an, alles klappt: Sie qualifizieren sich für Olympia, Sie boxen sich bis ins Finale, Sie gewinnen Gold – wie geht es dann weiter?

Dann will ich zurück ins Profigeschäft. Ich hoffe, dass ich dann auch durch diesen enormen internationalen Erfolg mehr Aufsehen für den Boxsport in Deutschland und mich als Profiboxerin gewinnen kann. Der Boxsport braucht ein anderes Gesicht und ich möchte zeigen, dass es nicht nur Frauen sind, die sich mit Boxen fit halten, sondern dass es Boxerinnen gibt, die professionell und exzellent kämpfen können – genauso wie die männlichen Sportkollegen.

Ich habe von Ihnen den Satz gelesen: „Im Profigeschäft sind nicht nur seriöse Partner unterwegs.“ Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, welche wollen Sie künftig vermeiden?

Es ist schade, dass das Boxen immer noch bei vielen Menschen ein negatives Image bekommt. Natürlich laufen bei den Profis hinter den Kulissen viele komische Gestalten rum. Gerade jetzt, wo ich neue sportliche Perspektiven habe, bekomme ich wieder viele Anrufe von Menschen, die nach meiner Niederlage in den USA nichts mehr von mir wissen wollten. Man ist in diesem Geschäft sehr schnell austauschbar und bekommt das auch so zu spüren. Sehr schade für den Sport und die aktiven Akteure.

Noch ein Zitat von Ihnen: „Wenn ich gewinne, bin ich Deutsche. Wenn ich verliere, Kasachin.“ Begegnet Ihnen das immer noch?

Das habe ich gesagt? Nein, so spiegelte mich die Presse in einigen Berichten wider. Zumindest kamen die Messages bei mir an. So krass würde ich das selber nicht sagen. Ich bin Deutsche und auch in Deutschland aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe hier meine ersten großen Boxerfolge feiern können. Ich fühle mich in Deutschland verwurzelt, aber Fakt ist auch, dass ich in Kasachstan geboren bin.

Trotzdem liest man manchmal: „die Kasachin“.

Ja, das wundert und ärgert mich. Ich fände es gut, Christina Hammer genannt zu werden. Denn das bin ich!

Auf Ihrem Weg nach Tokio haben Sie auch viel mit dem Deutschen Boxverband zu tun. Wie ist man da der „Lady Hammer“ von den Profis begegnet?

Man hat mich sehr nett und freundlich aufgenommen. Tatsächlich war ich es aber nicht gewohnt, mich in einem System wie dem Verband einzuordnen. Als Profi bin ich selbstständig, habe mein eigenes Team zusammengestellt, entscheide alles selbst für mich. Das ist bei den Amateuren etwas anders. Am Anfang hatte ich beim DBV auch mal gesagt: Das müssen wir so und so machen – ich konnte meine Gewohnheiten nicht ganz ablegen.

Sie müssen jetzt auch mit den Bundestrainern zusammenarbeiten?

Na klar, das gehört dazu. In Köln hatten wir kürzlich einen Lehrgang. Dort konnte ich eine für mich ganz neue Trainings- und Sportwelt entdecken. Solche Erfahrungen sind sehr interessant, und ich kann für mich einige Dinge mitnehmen. Zum Beispiel habe ich Sparringsmöglichkeiten mit ehemaligen Olympiateilnehmerinnen aus Brasilien nutzen können und wurde in dieser Zeit sehr gut vom Chefbundestrainer betreut.

Um zu Olympia zu kommen, müssen Sie sich ja noch gegen die Amateurboxerin Sarah Scheurich durchsetzen. Gibt es Ressentiments, dass plötzlich die Profiweltmeisterin den Amateuren Olympia­tickets wegnimmt?

Ganz ehrlich: Ein bisschen war das der Fall. Ich kann das aber auch aus sportlicher Sicht nachvollziehen. Ich wäre als Amateurin auch erst mal irritiert gewesen, wenn da eine Profiboxerin ankommt und eine Olympiaqualifikation boxen möchte. Aber das ist halt möglich, und ich freue mich darüber! Mit Sarah gab es anfangs eine normale angespanntere Konkurrenzsituation, aber wir haben miteinander gesprochen. Ich sagte ihr, dass wir beide Sportlerinnen sind und alles im Ring austragen – und abseits der Ringseile auch unkompliziert miteinander reden und umgehen können. Nun herrscht eine gute sportliche Konkurrenz zwischen uns. So sollte es auch sein im Sport.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.