Bowie ist ausstellungsreif: Warten auf David
In den frühen 80ern hofften alle in Berlin auf eine Rückkehr der Popikone. Auch unsere Autorin.
Anfang der 80er Jahre verbrachte ich meine Tage im Café Mitropa – ab 1986 Café M. – in Schöneberg und wartete auf David Bowie. Ständig ging das Gerücht um, er sei gerade in der Stadt und würde ganz sicher hier aufkreuzen. Das Café M. entsprach meinem Lebensgefühl in Westberlin: Es war grau, ungemütlich und verraucht. Die Musik von Bowie war der Sound dazu, seine Stimme klang verloren, orientierungslos und einsam. Ich war sein Fan und wollte ihn unbedingt sehen. Da ich nicht studierte, hatte ich viel Zeit, dort zu sitzen und auf ihn zu warten.
Meine Eltern schickten jeden Monat Geld fürs Studium. Aber angesichts des bevorstehenden Atomtods – davon war ich total überzeugt – schien mir die Beschäftigung mit Metonymien und Poststrukturalismus sinnlos. Zu den Stammgästen des Cafés gehörten auch die Krachmacher von den Einstürzenden Neubauten und Manna Machine. Die hingen fast jeden Tag in der gleichen Ecke ab. Ich war mir sicher, die haben irgendwas mit Bowie zu tun, und ging selten vor denen nach Hause.
Hinter der Theke standen junge Frauen, die ich bewunderte. Obwohl sie den ganzen Tag nur schlechten Milchkaffee in hässliche Tassen füllten, benahmen sie sich wie Diven auf Abruf. Meine Bestellung wurde immer vollkommen wort- und regungslos entgegengenommen. Ich war gerade der Kleinstadt entflohen, wo jeder ständig mit einem „Grüß Gott“ belästigt wurde, und war fasziniert. Und ich nahm mir vor, genauso abweisend zu reagieren, sollte Bowie endlich auftauchen.
Dazu kam es aber nie, denn Bowie kam erst im Sommer 1983 nach Berlin. Nicht ins Café M, sondern in die Waldbühne. Nach diesem Konzert gab es keinen Grund mehr, auf ihn zu warten. Er trug einen hässlichen gelben Anzug, die Haare ordentlich gekämmt und sang „Let’s Dance“. Für mich war das Disco und damit Verrat.
Am Dienstag ist es so weit. Dann öffnen sich im Martin-Gropius-Bau die Türen zu der David-Bowie-Ausstellung, die auch schlicht so heißt: "David Bowie". Bis zum 10. August hat jeder in der multimedialen Schau mit 300 Objekten - Originalkostüme, Fotos, Videos und sonstige denkwürdige Schaustücke - die Möglichkeit, sich seinen Lieblings-Bowie herauszupicken: sei es Ziggy Stardust, den Thin White Duke oder den mit Geschlechterrollen spielenden Künstler.
Dieser Text ist Teil des aktuellen Themenschwerpunkts "David Bowie" in der Wochenendausgabe der taz.berlin. In Ihrem Briefkasten und am Kiosk.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott