: Bossi attackiert Schnoor scharf
Verteidigung: Angeklagten wurde die Fortsetzung der Geiselnahme „aufgezwungen“ / Quick-Reporter flog raus / Versteckte Kamera im Feuerzeug / Sicherheitsauflagen verschärft ■ Aus Essen Walter Jakobs
Der Münchener Anwalt Rolf Bossi hat am Rande des Essener Prozesses gegen die Gladbecker Geiselnehmer den Düsseldorfer Innenminister Herbert Schnoor erneut scharf angegriffen und den von Schnoor erhobenen Vorwurf, Bossi betreibe eine Politisierung des Strafprozesses, entschieden zurückgewiesen. Da den Geiselnehmern „durch sachfremde Erwägungen seitens der Einsatzleitung eine Fortdauer der Geiselnahme aufgezwungen wurde“, sei es Plicht der Verteidigung, auf diesen Umstand hinzuweisen, der „zumindestens für die Strafzumessung von wesentlicher Bedeutung“ sei. In einer in Essen am Dienstag verteilten neuerlichen Stellungnahme für den Düsseldorfer U-Ausschuß, weist Bossi darauf hin, daß Innenminister Schnoor bei einem Besuch der freigelassenen Geiseln in Holland gegenüber dem ZDF erklärt habe, der Schutz des Lebens der Geiseln habe absoluten Vorrang vor dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch. Angesichts dieser Erklärung des Innenministers gäbe es „keine Rechtfertigung dafür“, daß in Gladbeck der freie Abzug verweigert und den ersten Geiseln Blecker und Alles damit „die Gefährdung ihrer Gesundheit“ auferlegt worden sei. Von dem vorrangigen Schutz der Geiseln zu sprechen, gleichzeitig aber freies Geleit zu verweigern, sei „menschenverachtender Zynismus“. Innenminister Schnoor trägt für Bossi deshalb die „alleinige moralische Schuld am Tod der Geisel Silke Bischoff“. Die Aussagen der zweiten Geisel, Ines Voitle, im Spiegel-TV belegten, daß ihre Freilassung kurz vor der Rambo-Aktion auf der Autobahn unmittelbar bevorgestanden hätte. Daß die von der Polizei gemachten Tonbandaufzeichnungen über diese Phase des Einsatzes wegen schlechter Qualität nicht mehr auswertbar sind, begründet für Bossi den Verdacht der „bewußten Manipulation“. Gleichzeitig behauptet Bossi in seiner Stellungnahme, daß der Zugriffsbefehl, der ausdrücklich auch die Inkaufnahme des Todes der Geiseln beinhaltete, aus sachfremden Erwägungen erfolgt sei. Bossis Vermutungen, wonach die Geiselnahme auf Befehl von oben unbedingt in NRW beendet werden sollte, konnte schon bei der Beweisaufnahme vor dem Düsseldorfer U-Ausschuß nicht erhärtet werden. Der wichtigste Polizeizeuge in dieser Sache hatte seine ursprüngliche Behauptung zurückgezogen.
Im Gerichtssaal selbst ging es am Dienstag zunächst um die vom Gericht angeordnete verschärfte Bewachung der Angeklagten. Den Protest der Anwälte von H. J. Rösner, die durch die nun unmittelbar neben Rösner sitzenden Polizeibeamten den „freizügigen Informationsaustausch“ zwischen Mandant und Verteidigung gefährdet sahen, wies das Gericht zurück. Der Vorsitzende des Gerichtes, Rudolf Esders, begründete diese Maßnahme mit der Veröffentlichung eines Fotos von Rösner in mehreren Boulevardzeitungen. Das Foto war offenbar während des ersten Prozeßtages heimlich in der Vorführzelle gemacht worden. Um solche „illegalen“ Aktionen zu unterbinden, sei die Verschärfung unumgänglich, befand das Gericht.
Um Fotos im Gericht machen zu können, werden alle Tricks angewandt: Ein 'Quick'-Reporter wurde am Dienstag des Saales verwiesen, weil man bei ihm eine in einem Feuerzeug versteckte Miniaturkamera fand. Am Mittwoch wird der Prozeß mit der Erörterung der vor der Geiselnahme von den Angeklagten begangenen Straftaten fortgesetzt.
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