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Boom in der Brandenburger UckermarkDie Hoffnung kommt aus Polen

Bisher steht die Uckermark für Leere, Einöde, Ruhe. Seit einiger Zeit wird sie zur Heimat für polnische Familien. Sie bringen wieder Leben in die Region.

Das Alte Zollhaus in Mescherin ist heute ein Hotel und Restaurant mit deutsch-polnischer Küche Foto: Uwe Rada

Es ist schon etwas ungewohnt für Brandenburger Verhältnisse, was da über der Tür in der Kleinen Klosterstraße 153 in roten Lettern auf weißem Blech steht: „Brandenburg-Vorpommersches Amt Gartz (Oder)“. Frank Gotzmann weiß um die Besonderheit. „Historisch sind wir ein Teil Pommerns. Als aber vor 25 Jahren Brandenburg als Bundesland entstand, haben sich die Bewohner in einer Volksabstimmung für Brandenburg und gegen Mecklenburg-Vorpommern entschieden.“

Doch die alte Beziehung zu Stettin, der historischen Hauptstadt Pommerns, ist nie abgerissen, erzählt Gotzmann. „Nach Berlin und Potsdam sind es mehr als hundert Kilometer, in Stettin sind wir in weniger als einer halben Stunde.“

Dzień dobry in Gartz

Frank Gotzmann ist der Amtsdirektor in Gartz, und auf die pommersche Beziehung ist er auch ein wenig stolz. Gerne zeigt er eine Ausgabe des Spiegel, in der eine Grafik abgebildet ist. Sie verdeutlicht die Wachstums- und die Schrumpfungsregionen in Deutschland, Blau bedeutet Wachstum, Rot Schrumpfung.

„Sehen Sie hier“, sagt Gotzmann und deutet auf den nordöstlichsten Zipfel Brandenburgs. „In der Uckermark gibt es nur zwei Ämter, die wachsen. Das eine ist Templin, das andere ist unser Amt. Templin wächst wegen der Senioren aus Berlin, die sich Neuruppin nicht mehr leisten können. Wir in Gartz profitieren vom Zuzug der polnischen Staatsbürger.“

Gartz und sein Amt, das war einmal die Gegend, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. 7.000 Menschen leben hier, weniger als 0,3 Prozent der Brandenburger Bevölkerung. Doch statt „Gute Nacht“ hört man heute immer öfter „dzień dobry“, also „Guten Tag“. Die Zahlen, die Frank Gotzmann vorlegt, belegen, dass das positive Bevölkerungssaldo keine Eintagsfliege ist, sondern ein langfristiger Trend. „Inzwischen sind zwölf Prozent der Bewohner im Amt Polen, in manchen Dörfern machen sie fast die Hälfte der Bevölkerung aus.“

Und noch eine Statistik hat Gotzmann parat. „Zum ersten Mal seit vielen Jahren startet die Grundschule wieder mit zwei ersten Klassen.“ Insgesamt sind es im Amt fünf Züge mit Erstklässlern. „Gegenüber 2007 ist das eine Verdoppelung.“

Dass der Abwanderungstrend in Gartz und seinen Amtsgemeinden, in Mescherin, Tantow und Rosenow umgekehrt wurde, liegt aber nicht an der herben Schönheit der Uckermark. Es ist die geografische Lage. Von Gartz sind es gerade einmal dreißig Kilometer ins Zentrum von Stettin.

Selbst viele Bewohner von Gryfino/Greifenberg auf der polnischen Seite der Oder nutzen die B2 und fahren über die Uckermark in die Odermetropole. Das Erfolgsrezept in diesem Teil der Uckermark klingt nicht großspurig, sondern pragmatisch. „Eine Chance haben wir hier nur, wenn wir uns wieder als das begreifen, was wir einmal waren“, sagt Amtsdirektor Frank Gotzmann. „Als Teil des deutschen Umlandes der polnischen Metropole Stettin.“

Der polnische Makler

Noch näher an Stettin liegt Rosow, Brandenburgs letztes Dorf vor der polnischen Grenze und zugleich das erste deutsche Dorf im Umkreis von Stettin mit seinen 410.000 Einwohnern. Am Schmiedeweg von Rosow haben sich Radosław und Dominika Popiela eine neue Existenz aufgebaut. „Wir sind 2007 nach Rosow gezogen, als die Grenzkontrollen mit dem Schengen-Beitritt Polens weggefallen waren“, sagt Dominika Popiela, eine studierte Philologin, die damals noch an der Stettiner Universität gearbeitet hat.

Ihr Mann, von Beruf Politologe, pendelte zwischen der Universität in Warschau und dem Stettiner Umland. Seit drei Jahren haben sie den Beruf gewechselt. „Nieruchomości w Niemczech“, „Immobilien in Deutschland“ steht auf einem großen Werbebanner vor dem Hof der Popielas. Seitdem versorgt die Akademikerfamilie die Zuwanderer aus Stettin mit Wohnungen und Häusern in der Uckermark. Alleine 2014 haben sie 40 bis 50 Häuser oder Wohnungen verkaufen können.

Der Himmel so weit: In der Stadt gibt es das nicht, aber in der Uckermark Foto: dpa

Den wachsenden Zuzug polnischer Familien erklärt Popiela mit den anhaltend hohen Immobilienpreisen in Stettin. „In Stettin zahlen Sie für eine Wohnung für eine Familie 60.000 bis 70.000 Euro. In Deutschland sind es 20.000 bis 30.000 Euro.“ Und noch etwas gibt nicht selten den Ausschlag für einen Umzug über die Grenze. Lange gab es in Polen kein Kindergeld. „Das war für viele Familien ein Argument“, so der Makler.

Wenn in Gartz oder in den Dörfern drumherum Kinder auf der Straße spielten, meint Popiela, könne man sicher sein, dass es sich um eine polnische Familie handelt. „Die deutschen Familien sind meistens schon weggezogen. Nun haben wir hier die deutschen Senioren, die geblieben sind, und die jungen polnischen Familien.“

Die einen die Zurückgebliebenen, die andern jung und voller Zukunft? Popiela weiß, dass diese Mischung auch Konflikte hervorbringen kann. Doch in Brandenburg habe es das – im Gegensatz zum vorpommerschen Löcknitz, wo inzwischen ein Drittel Polen leben – noch nicht gegeben. Auch die NPD habe noch nicht versucht, Kapital aus der polnischen Einwanderungsbewegung zu schlagen. „Wir sind in der Uckermark einige Jahre später dran als in Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb haben wir auch aus den Fehlern lernen können.“

So habe es in Löcknitz am Anfang viele Familien gegeben, die in Deutschland als Erstes Sozialhilfe beantragt hätten. „Das gibt es hier nicht. Die Leute haben entweder Arbeit in Stettin und pendeln, oder sie machen sich in Deutschland selbstständig.“

Text und Lesung

Dieser Text stammt aus „Das Brandenbuch. Ein Land in Stichworten“ der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung. Autor Uwe Rada ist mit Nancy Waldmann am 6. Dezember um 19 Uhr in Schloss Trebnitz bei Müncheberg östlich von Berlin zu Gast und wird über das Buch diskutieren.

Auch die Politik in Deutschland und Polen hat auf den Trend reagiert. Eines der ambitioniertesten Projekte in der Grenzregion ist die grenzüberschreitende Metropolregion Stettin. „Das ist eine neue Stufe der Zusammenarbeit“, freut sich Patrycjusz Ceran von der Stettiner Stadtverwaltung, zuständig für die auswärtigen Beziehungen.

Metropole und Umland

Bereits im November 2013 hatten die Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie das Marschallamt Westpommern ein Kommuniqué unterzeichnet, in dem es heißt: „Die grenzüberschreitende Metropolregion strebt eine funktionierende Aufgabenabstimmung zwischen der Metropole Stettin und den Städten und Gemeinden der Region an.“

Selbstverständlich war das nicht, denn federführend für die polnische Raumplanung ist das Ministerium für Infrastruktur in Warschau. Auch das Amt Gartz musste lange Zeit dafür werben, im Stettiner Rathaus Gehör zu finden. Erst als eine Initiative aus Gartz, Pasewalk und dem polnischen Kołbaskowo bei einem „Wettbewerb für modellhafte deutsch-polnische Kooperationsprojekte“ ausgezeichnet wurde, läuft die Zusammenarbeit besser.

Denn auch in Stettin richtet sich der Blick inzwischen auf die Oderregion. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Metropolregion soll deshalb nicht nur über Verbesserungen bei den Verkehrsverbindungen nachgedacht werden, sondern auch über Themen wie Bildung, Sprache und Kultur. „Wir müssen feststellen, dass Deutsch als Fremdsprache in Stettin an Bedeutung verliert“, sagt Ceran. „Wir brauchen deshalb auch Programme zur Förderung der interkulturellen Kompetenz.“

In Gartz rennt er damit offene Türen ein. „Die Polen, die sich in der Uckermark niederlassen, können einen sechsmonatigen Integrationskurs besuchen und dabei auch Deutsch lernen“, sagt Radosław Popiela. „Das ist wichtig, damit die Polen hier nicht unter sich bleiben. Die Sprache ist die Voraussetzung für erfolgreiche Integration.“

Auf Zweisprachigkeit legt man großen Wert

Andżelika Stafiej spricht hervorragend Deutsch. In gewisser Weise ist die Mittdreißigerin ein Prototyp der neuen deutsch-polnischen Uckermark. Ihre Eltern leben in Gryfino, sie selbst ist mit ihrer Familie nach Gartz gezogen. Der Job, den Stafiej gefunden hat, ist in Mescherin. Zwischen dem kleinen Ort an der Westoder und Gryfino an der Ostoder liegen nur vier Kilometer Oderzwischenland.

Andżelika Stafiej arbeitet im Alten Zollhaus in Mescherin. Wo früher einmal Zollbeamte ihren Dienst verrichteten, entspannen heute Hotelgäste, Radfahrer, Wochenendausflügler, Oderblick inklusive. Seit 2009 ist aus dem Zollhaus ein Hotel mit Restaurant geworden – und auf Zweisprachigkeit legt man in dem kleinen Ort großen Wert.

Sieht schön aus, los ist hier aber wenig: Landschaft in der Uckermark Foto: dpa

„Zapraszamy na taras“ steht an der Uferstraße, wir laden Sie ein zu einem Besuch auf unserer Terrasse. Zu essen gibt es natürlich deutsch-polnische Küche. „Die Nachbarschaft funktioniert hier sehr gut“, sagt Stafiej, „die Deutschen sind froh, dass hier wieder etwas Leben in die Dörfer kommt und die Häuser und Höfe nicht verfallen.“

Aber auch die Polen profitieren von der Entwicklung. „Es gibt in Gartz einen Kindergarten mit zwei polnischen Erzieherinnen“, freut sich Andżelika Stafiej. Überhaupt, die Infrastruktur: Den einzigen Obst- und Gemüseladen in der Gartzer Altstadt betreibt eine polnische Familie, auch der Blumenladen ist in polnischer Hand. Und erst vor Kurzem hat in Schmölln nach 20 Jahren wieder eine Arztpraxis eröffnet. Marcin Florczak, ein Kardiologe aus Stettin, hat sie übernommen.

Und wenn es irgendwo Probleme geben sollte, heißt es in der nördlichen Uckermark, ist ja Marta Szuster da. Bei den letzten Kommunalwahlen in Brandenburg hat es die Unternehmerin, die einen Pflegedienst betreibt, mit Anhieb in die Gemeindevertretung von Mescherin geschafft – nicht auf einer polnischen Liste, sondern auf der deutsch-polnischen Dorfliste.

„Stettin ist die einzige Chance, die wir haben“, sagt der Leiter des Brandenburg-Vorpommerschen Amtes Gartz. „Wir wollen die Region nicht polonisieren, sondern gemeinsam entwickeln. Die Kinder, die nun deutsch und polnisch aufwachsen, sind unsere Zukunft, weil sie in Stettin und Berlin arbeiten können.“ Wichtig sei jetzt nur noch, dass die Bahnverbindung wie versprochen bis 2020 zweigleisig ausgebaut werde.

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