: Bonn fliegt das Wahlgesetz um die Ohren
■ Triumph für die Bürgerrechtsbewegung der DDR SPD sieht jetzt sogar den Wahltermin wackeln
Karlsruhe (ap/dpa/taz) — Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hat mit einer spektakulären Entscheidung das vom Bonner Parteien-Kartell ausgemauschelte Wahlgesetz für verfassungswidrig erklärt. Mit diesem kräftigen Tritt in die Magengrube der etablierten Bonner Parteien triumphierten die Bürgerrechtsbewegung der DDR, die Grünen und die PDS.
Die Chancen der kleineren Parteien und Bürgerbewegungen für den Einzug in den gesamtdeutschen Bundestag sind damit erheblich gestiegen: Die Bundestagswahl wird nun voraussichtlich in zwei getrennten Wahlgebieten in der DDR und BRD stattfinden, so daß auch kleinere Gruppierungen Aussicht auf Überwindung von Sperrklauseln haben. Der Bundestag muß sich noch in dieser Woche mit der Neuregelung befassen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Samstag, neun Wochen vor dem geplanten Wahltermin, wesentliche Bestimmungen des verabschiedeten Wahlgesetzes als unzulässig verworfen. Die acht Richter des Zweiten Senats verwiesen zur Begründung insbesondere auf die Benachteiligung von kleineren Parteien durch die einheitliche Fünfprozentklausel für das gesamte Wahlgebiet sowie durch die Regelungen von Listenverbindungen der Parteien aus Ost und West. Sie gaben damit einstimmig den Klagen von Grünen, Republikanern und PDS statt.
Die SPD sieht jetzt sogar den Wahltermin im Dezember gefährdet. Ein neues Wahlgesetz dürfe nicht übers Knie gebrochen werden, warnte Lafontaines Berater Reinhard Klimmt. Eine Verlegung des Wahltermins sei nicht auszuschließen.
Zur Einhaltung des Wahltermins 2.Dezember muß das geänderte Wahlgesetz bis spätestens 16. Oktober verabschiedet sein. Bundesinnenminister Schäuble und Justizminister Engelhard zeigten sich aber davon überzeugt, daß dieser Termin einzuhalten sei. Selbstkritik war von den Bonner Parteien nicht zu hören.
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