■ Bonn apart: Welch süßes Leben
Es gibt ja für alles einen falschen Zeitpunkt. Eines der besten Beispiele ist die Abstimmung über den Berlin-Umzug. Hätten sich die Politiker zur Karnevalszeit entscheiden müssen, hätte Berlin nicht die größte Baustelle der Welt werden müssen.
Vergleichen wir doch mal die Lebensqualität von Bonn und Berlin in dieser Woche. Diesig war's in Berlin und regnerisch. Die Taxifahrer heulten ihren Fahrgästen wie immer die Ohren voll, daß sie pleite und von ihrer Frau verlassen und so gut wie obdachlos sind. Jeder Berliner mußte pro Tag vier Obdachlosenzeitungen, fünf Rote-Rosen-Verkäufer und sechs Musikanten abwehren. Die Hütchenspieler haben Tausende arglose Touristen um ihr Vermögen gebracht. Die Russenmafia hat weiter auf das Bedenklichste das öffentliche Leben unterwandert. Und dann war da noch der „schwarze Donnerstag“, weil an diesem Tag 4,6 Millionen Arbeitslose gemeldet wurden.
In Bonn dagegen hieß der Donnerstag locker-flockig Weiberfastnacht. Da liefen fröhliche Menschen schon frühmorgens als BSE-Erreger und kleinstes Kondom Deutschlands herum, bliesen selig in ihre Tröten, die Obdachlosen waren wahrscheinlich nur als solche verkleidet, und die Arbeitslosen fielen nicht auf, weil ohnehin niemand arbeitete. Sogar die Pressestelle der SPD stellte ihre Tätigkeit um 11 Uhr 11 zwecks eines Sektfrühstücks ein. Welch süßes Leben in Bonn.
Eine allerdings mußte Schwerstarbeit verrichten: Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer. Sie empfing die Prinzengarde. Frau Vollmer war schwarz gekleidet, nur ihre Schuhe glänzten in Rot, Gelb, Grün und Blau. Um ihren Hals hing ein Karnevalsorden. So weit, so gut. Dann kam der Moment, den kein empfindsamer Mensch je vergißt: Tapfer, ganz tapfer hob sie ihren rechten Arm, schwenkte ihn kraftlos durch die Luft und rief mit brüchiger Stimme: „Alaaf“. Danach war für einen Moment Stille. Drückende, lastende Stille wie sonst nie in der Karnevalszeit. Liebe Berliner. Bitte, bitte nehmt uns schon im Februar 1998. Markus Franz
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