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■ Bonn apartDie Redaktion entschuldigt sich

Tschuldigung. Wir haben nämlich was versäumt. Wir haben gar keine große Geschichte über ein Ereignis geschrieben, das in dieser Woche in allen großen Zeitungen dieser Republik eine herausragende Bedeutung bekommen hat. Das tut uns echt leid.

Es ging um nicht weniger als den Bericht über ein Kinderzimmer. Gemeint ist nicht das Bernstein-Kinderzimmer, nicht das Kinderzimmer von Louis XIV., nicht das des Kinderschänders Dutroux und auch nicht die Kinderstube von DVU-Chef Frey. Das Kinderzimmer, das an diesem Tag die Nation erregte, war nicht einmal eingerichtet, genaugenommen existiert es noch nicht – es ist nur eingeplant. Von dem Kind, das in diesem Kinderzimmer leben wird, wissen wir, daß es sieben Jahre alt ist und Klara heißt. Wir wissen außerdem, daß es einmal zu dem Ehemann der Frau, deren Kind es ist, gesagt hat, als dieser nach einem Fahrradunfall mit einer Gesichtsverletzung in der Haustür stand: „Du siehst ja aus wie Quasimodo.“

Der Mann der Mutter des Kindes ist eine berühmte Figur in diesen Tagen. In einer überregionalen Tageszeitung war er diese Woche auf dem Titelblatt zu sehen, mit rotem Helm, breit strahlend, den Kopf nach hinten geneigt, den Blick visionär ins Unendliche gerichtet – und das auf einer Baustelle. Der Mann hat's echt geschafft. Andere kommen nicht einmal auf die Titelseite, wenn sie den Mount Everest erklommen haben. Aber der Mann, der das künftige Kinderzimmer in seinem möglicherweise künftigen Heim besichtigt, kann machen in diesen Tagen, was er will, es findet alles Interesse. Schließlich könnte er der künftige Bundeskanzler werden. Und da kommt das Kinderzimmer ins Spiel, das auf der Baustelle des künftigen Bundeskanzleramtes entsteht, das unser Mann besichtigt hat. Der jetzige Bundeskanzler braucht nämlich kein Kinderzimmer mehr, der Mann mit dem roten Baustellenhelm aber sehr wohl.

Und was folgt daraus? Dieser Mann wird Bundeskanzler. Sonst bräuchte man das Kinderzimmer ja nicht. Deshalb auch die große Berichterstattung. Nur wir habens verpatzt. Tschuldigung! Markus Franz

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