Boliviens Präsident bleibt im Amt: Morales gewinnt Referendum
Evo Morales geht als klarer Sieger aus dem Referendum hervor. Doch der Machtkampf zwischen den reichen, nach Autonomie strebenden Provinzen und der Zentralregierung dauert an.
PORTO ALEGRE taz Das hatte sich Evo Morales wohl in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt: Zweieinhalb Jahre nach seinem historischen Wahlsieg vom Dezember 2005 wurde Boliviens Indígena-Präsident am Sonntag mit 62 bis 66 Prozent im Amt bestätigt - je nach Hochrechnung. Mit den Endergebnissen der Referenden über Morales und acht Provinzgouverneure wird erst am Donnerstag gerechnet, doch im groben stehen die Ergebnisse fest.
Auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast in La Paz feierten Zehntausende. Mit Sprechchören unterbrachen sie immer wieder die kurze Rede des gerührten Staatschefs, um eine Politik der "harten Hand" gegen die rechte Opposition zu fordern. Doch Morales trat für die Versöhnung der neuen Verfassung mit den kürzlich in vier Tieflandprovinzen verabschiedeten Autonomiestatuten ein: "Ich möchte den bestätigten Gouverneuren unseren Respekt ausdrücken und rufe sie auf, zusammen mit uns für die Einheit Boliviens zu arbeiten". Unter großem Jubel rief er aber auch: "Wir sind dazu verpflichtet, den Prozess den Wandels festigen. Das bolivianische Volk hat sich für die Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftsmodell ausgesprochen". In den letzten zweieinhalb Jahren hatte der Präsident den Einfluss des Staates im Energie- und Bergbausektor erweitert und eine neue Verfassung erarbeiten lassen, durch die vor allem die Rechte der Ureinwohner gestärkt werden.
In den Hochlandprovinzen La Paz, Oruro und Potosí kam er jetzt auf jeweils 80 Prozent, in den ländlichen Gebieten war die Zustimmung nahezu flächendeckend. Drei Provinzfürsten verloren ihr Amt: Die Oppositionspolitiker José Luis Paredes und Manfred Reyes wurden in La Paz und Cochabamba abgewählt, in Oruro muss Alberto Aguilar von Morales' "Bewegung zum Sozialismus" abtreten. Reyes will das Referendum vor Gericht anfechten, doch seine Erfolgschancen sind gering.
Die Ergebnisse würden ein realistisches Bild von den Kräfteverhältnissen in Bolivien abgeben und damit eine neue Verhandlungsgrundlage ergeben, hatte Vizepräsident Álvaro García Linera vorausgesagt. Das größte Problem für die Zentralregierung liegt nach wie vor in den Provinzen Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija. Die dortigen Gouverneure wurden klar bestätigt und gaben sich kompromisslos. Rubén Costas aus Santa Cruz, der mit 70 Prozent Rückhalt rechnen kann, bezeichnete das Ergebnis als "Sieg der Autonomie". Er warf dem Präsidenten "totalitäre" Bestrebungen vor und sagte, der "Affe" und "Diktator" Morales werde in einer Sackgasse landen, wenn er an der neuen, "illegalen und rassistischen" Verfassung festhalten wolle. Vielleicht hing der aggressive Ton des Gouverneurs, der sich sonst recht staatstragend gibt, mit dem Achtungserfolg des Präsidenten in der Hochburg der Opposition zusammen: In Santa Cruz kam Morales auf rund 40 Prozent - bei den letzten Präsidentschaftswahlen war er nur auf 27 Prozent gekommen. Der Historiker Alcides Pareja räumte immerhin ein, der Autonomieprozess habe "eineSchlacht verloren, aber nicht den Krieg.
Percy Fernández, der Bürgermeister der gleichnamigen Provinzhauptstadt, hatte die Armee vor Tagen zum Putsch gegen Morales aufgerufen. Autonomistensprecherin Julia Gutiérrez de Parada beschimpfte Morales' Verbündete wie Hugo Chávez aus Venezuela "mit seinen Narcoschecks". 300 Menschen befanden sich im Hungerstreik gegen die Maßnahme der Regierung, einen Teil der Erdgaseinkünfte zu verwenden, um Rentnern eine Monatspension von 20 Euro zukommen zu lassen.
In El Alto, der Trabantenstadt von La Paz, wo fast eine Million Menschen wohnen, kommen solche Töne nicht gut an. "Es gibt eine Verschwörung gegen Evo", meinte Francisca Sinca Suñaga. "Sie wollen ihn töten, weil er als einziger für die Armen ist", sagte die Frau mit den indigenen Gesichtszügen, nachem sie gewählt hatte. "Doch wenn das passiert, gibt es einen Bürgerkrieg."
Das Patt zwischen Morales und den Autonomisten dauere an und könne sich zur "Katastrophe" auswachsen, befürchtet der Politologe Jorge Lazarte. Doch wie einen Dialog aufnehmen, wenn sich die Gegenseite strikt verweigert? Diese Frage bleibt auch am Morgen nach dem Referendum unbeantwortet.
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