Börsenabsturz in China: Der große Sprung nach hinten
Monatelang befeuerte die Führung in Peking das Aktienfieber. Nun verlieren Maos Erben die Kontrolle, die Kurse stürzen ab.
Die chinesischen Börsen haben am Mittwoch einen dramatischen Absturz erlebt. Der Shanghai Composite Index – das wichtigste Börsenbarometer auf dem chinesischen Festland – öffnete gleich zum Handelsauftakt 8 Prozent niedriger als am Vorabend. Bereits am Dienstag war er um mehr als 5 Prozent abgesackt. Seit Anfang Juni hat der Index mehr als 30 Prozent an Wert verloren.
Bei der chinesischen Führung schrillen die Alarmglocken: Um den Kurssturz aufzuhalten, haben die Aufsichtsbehörden die Aktien von fast 1.300 Unternehmen aus dem Handel genommen. Es wird vermutet, dass der Absturz der vergangenen Wochen umgerechnet rund 35 Milliarden Euro vernichtet hat.
Dem war eine fast einjährige Hausse vorausgegangen. Bis Anfang Juni war der Shanghai Composite innerhalb eines Dreivierteljahres mehr als 150 Prozent in die Höhe geschossen. Dieses Börsenfieber ließ kaum einen Chinesen kalt. Von der Kioskbesitzerin, dem Taxifahrer bis hin zum Millionär – sie alle mischten kräftig an den Aktienmärkten mit. Dabei war dieser Boom zum großen Teil politisch gesteuert.
Aktienrallye läuft aus dem Ruder
Analysten zufolge wurden zeitweise 170.000 neue Depots eröffnet – pro Tag. Was sie für Börsenneulinge so attraktiv machte: Anleger durften von Anfang an mit geliehenem Geld spekulieren. Zugleich hat sich im ersten Halbjahr die Zahl der Börsengänge in China von 103 auf 239 mehr als verdoppelt – so viel wie in keinem anderen Land. Der Anreiz wirkte. Wer im Mai seine Aktienpakete abstieß, konnte es denn auch zu einem Vermögen bringen.
Doch inzwischen läuft die von der chinesischen Führung selbst initiierte Aktienrallye völlig aus dem Ruder. Nachdem sie Mitte Juni aus Furcht vor einer zu großen Blase die Kreditvergabe zunächst wieder eingeschränkt hatte, kam es zum ersten Knall. Binnen einer Woche verloren die Aktienwerte 12 Prozent.
Daraufhin senkte Chinas Zentralbank die Handelsgebühren. Prompt schossen die Kurse in die Höhe. Dann dämmte die chinesische Führung den spekulativen Handel ein. Die Kurse stürzten wieder ab. Nur: Mit jedem Schritt wurde die Stimmung immer panischer. Fast allen Anlegern geht es nur noch darum, die Aktien zu einem halbwegs günstigen Kurs abzustoßen.
Am vergangenen Wochenende setzte Chinas Premierminister Li Keqiang neue Börsengänge vorerst aus und verpflichtete Wertpapierhäuser dazu, Aktienpakete für umgerechnet rund 17,5 Milliarden Euro zu kaufen. Das sollte die Märkte beruhigen. Doch die Wirkung hielt nicht lange. Nach einem Zwischenhoch am Montag rauschen die Kurse seit Dienstag immer weiter in den Keller. Mit dem nun beschlossenen Handelsverbot zieht Peking die Notbremse. Fast die Hälfte des Handels ist ausgesetzt.
Risiko für Realwirtschaft ist gering
Die Ansteckungsgefahr für die Realwirtschaft dürfte sich Analysten zufolge jedoch in Grenzen halten. Zwar purzeln derzeit auch die Preise an den Rohstoffmärkten. Kupfer verbilligte sich um bis zu 6 Prozent und der Preis fiel auf ein Sechs-Jahres-Tief. Louis Gave vom unabhängigen Wirtschaftsinstitut Gavekal/Dragonomics geht aber nur von einer kurzfristigen Entwicklung aus. Er weist darauf hin, dass Chinas Aktienmärkte trotz der großen Vermögen im Verhältnis zu Chinas Gesamtwirtschaft nur eine geringe Rolle spielen.
Und auch der chinesische Ökonom Li Daokui sagt: So wie das Geld über die großzügigen Kredite innerhalb kurzer Zeit geschaffen wurde, sei ein Teil zwar wieder weg. Die Gewinne waren aber noch nicht in großen Mengen in die Realwirtschaft geflossen. Da Chinas Aktienmärkte weitgehend abgeschottet sind, strahlt die Krise nur gering auf die Börsen etwa in Europa aus.
Mit der lockeren Kreditvergabe verfolgte Peking das Ziel, das Sparvermögen der Bürger hervorzulocken, damit Unternehmen –mit mehr Kapital ausgestattet –verstärkt in Chinas schwächelnde Wirtschaft investieren. Nach diesem gescheiterten Experiment ist mit neuen Wachstumsimpulsen aus dem Reich der Mitte vorerst nicht zu rechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt