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Bodenkrieg in Bielefeld

■  Stinkbomben und rote Farbe auf Außenminister Joschka Fischer, Festnahmen von Demonstranten: Auf dem grünen Kriegsparteitag prallen Kriegsgegner und Befürworter der Nato-Luftangriffe heftig aufeinander

Berlin/Bielefeld (taz) – Ein Außenminister, der sich nach einer Farbattacke mit einem geplatzten Trommelfell ärztlich behandeln lassen mußte, Delegierte, die sich nur mit Hilfe von Polizei den Eingang zur Versammlungshalle verschaffen konnten, ein Polizeieinsatz gegen autonome und serbische Demonstranten, heftige Wortgefechte zwischen Parteimitgliedern – noch nie in ihrer 20jährigen Geschichte ist ein Parteitag der Bündnisgrünen von derartigen Turbulenzen begleitet gewesen wie gestern in Bielefeld.

Erst mit fast eineinhalbstündiger Verspätung konnte der Sonderparteitag zum Kosovo-Krieg beginnen. Zuvor war es Demonstranten aus der linksradikalen Szene sowie serbischen Nationalisten gelungen, die Polizeikette zu durchbrechen und die Eingangstüren zu blockieren. Vor Beginn seiner Rede wurde Joschka Fischer mit einem Farbbeutel beworfen, der ihn am Kopf traf. Trotz Schmerzen – anschließend wurde in einem Krankenhaus ein geplatztes Trommelfell im rechten Ohr diagnostiziert – hielt Fischer eine 20minütige Rede, in der er mit den Befürwortern eines Angriffsstopps hart ins Gericht ging. „Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt“, rief Fischer den 800 Delegierten zu. Bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe hatte der Parteitag noch keine Entscheidung getroffen.

Neben dem Antrag der Linken auf ein sofortiges, unbefristetes Angriffsende lag ein Papier des Bundesvorstands vor, in dem ein befristeter Stopp der Nato-Angriffe verlangt wird und der dem Kurs des Außenministers entgegenkommt. In seiner emotionalen Rede, während der er von einem Ring von Sicherheitsbeamten geschützt wurde, erwähnte Fischer keinen Rücktritt für den Fall, daß sein Kurs unterliegen würde. Der Bundesaußenminister betonte, er habe alles getan, um eine Konfrontation auf dem Balkan zu vermeiden. Den Gegnern, von denen ein Teil mit Sprechchören und Trillerpfeifen Fischer am Weiterreden zu hindern versuchte, hielt er aufgeregt entgegen: „Hier spricht ein Kriegshetzer – und Herrn Miloevic schlagt ihr demnächst für den Friedensnobelpreis vor.“ Nach seiner Rede spendeten ihm seine Anhänger minutenlang stehend Applaus.

Am frühen Vormittag waren die Proteste vor der Halle eskaliert. 60 Demonstranten wurden zeitweise von der Polizei festgenommen, die mit rund 400 Beamten vor der Seidenstickerhalle präsent war.

Die Parteilinke Annelie Buntenbach sowie Vertreter des pazifistischen Flügels um den Hamburger Ulrich Cremer, aber auch die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn verlangten in ihren Reden ein sofortiges Ende der Luftangriffe und eine Rückkehr zu Verhandlungen. Die Grünen müßten eine klares Zeichen gegen den Krieg setzen, dazu reiche eine befristete Feuerpause nicht aus, so Höhn. Buntenbach, die von Beginn der Nato-Angriffe zusammen mit Christian Ströbele zur Minderheit der entschiedenen Kriegsgegner in der Bundestagsfraktion gehört, distanzierte sich aber von Stimmen, die einen Ausstieg aus der rot-grünen Koalition verlangten: „Ich will nicht aus der Regierung aussteigen, sondern ich will den Kurs der Regierung verändern.“ Für ihre Rede wurde Buntenbach minutenlang mit Applaus bedacht.

Der Europa-Spitzenkandidat der französischen Grünen, Daniel Cohn-Bendit, forderte seine Partei auf, den Kurs Fischers zu stützen, weil dieser einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg versuche. Wer einen sofortigen Waffenstopp verlange, stütze den Kurs der Nato. „Und Miloevic freut sich“, rief der Weggefährte Fischers den zum Teil erregten Delegierten zu. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele wandte sich gegen die Unterstellung, die Kriegsgegner seien im Umkehrschluß für die Vertreibung im Kososo. In seiner Rede warb er für ein Ende der Angriffe: „Wir können nicht Krieg weiterführen auf Kosten der Menschen.“ Severin Weiland

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