: Blutige Tage in Nagorny-Karabach
Armeniens Präsident Ter Petrosjan spricht von UN-Friedenstruppen zur Befriedigung des Konfliktes um die Enklave Nagorny Karabach/ In Baku fordern Demonstranten härteres Vorgehen gegen Armenier ■ Von Klaus-Helge Donath
Die Kämpfe zwischen Armeniern und Aseris um die umstrittene armenische Enklave auf aserbaidschanischem Territorium Nagorny-Karabach (NKB) haben wieder einen traurigen Rekord erzielt. Der Guerillakrieg der letzten Tage forderte so viel Opfer wie zuletzt im Februar 1988, als sich der Konflikt zwischen beiden kaukasischen Völkern im aserbaidschanischen Sumgait in Pogromen entlud.
Damals holten Aseris wehrlose Armenier aus ihren Häusern und töteten sie. Armee und Miliz schauten drei Tage lang zu. Später wurden Spekulationen laut, Moskau habe die Ausschreitungen provoziert, um die „unbotmäßige“ Republik Armenien wieder zur Räson zu bringen.
Das sinnlose Töten zwischen den beiden — mittlerweile souveränen — GUS-Mitgliedsstaaten hält unvermindert an. Den Abschuß eines aserbaidschanischen Hubschraubers vergangene Woche nahm Baku zum Anlaß, um ausgedehnte militärische Aktionen an den Grenzen der Enklave NKB zu lancieren. Wie in solchen Fällen üblich, spricht man von einem zivilen Hubschrauber, der „Frauen und Kinder“ transportierte. Wahrscheinlich waren auch noch westliche Hilfsgüter an Bord, während aus der armenischen Hauptstadt verlautete, es habe sich um einen Waffen- und Militärtransport gehandelt.
Im Gegenzug meldet Baku, armenische Freischärler gingen gegen aserbaidschanische Dörfer vor. Das Pressezentrum des Obersten Sowjet in NKB qualifizierte dagegen Meldungen, die von einem „Angriff armenischer Freischärler auf die Stadt Agdam“ und andere Ziele sprachen, als „gezielte Desinformationen“.
Unterdessen tun sich am Rande der Feindseligkeiten ungeahnte Entwicklungen auf: Das Oberkommando des transkaukasischen Wehrkreises plädiert dafür, die „sowjetischen“ Einheiten an Ort und Stelle zu belassen, um eine Friedensmission zu erfüllen. Noch unter der Ägide der Moskauer Unionszentrale hatten die sowjetischen „Friedensstifter“ allerdings eine recht unrühmliche Rolle gespielt. Offen ergriffen sie die Partei des Moskau-treuen Präsidenten Aserbaidschans Ajas Mutalibow. Nach dem Augustputsch ordnete Jelzin an, die Truppen abzuziehen, um „unsere Jungs“ nicht in dem Stammeskonflikt „zu verheizen“. Inzwischen meldeten armenische Quellen, „slawische Freiwillige“, Russen, Ukrainer und Weißrussen, hätten sich in die armenische Phalanx eingereiht.
Auf der Weltwirtschaftstagung in Davos konferierten am Wochenende derweil die beiden Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans, Ter Petrosjan und Mutalibow. „Sie werden überrascht sein“, meinte Petrosjan nach dem Gespräch, „Präsident Mutalibow und ich kommen gut miteinander aus. Ich glaube, er meint die Sache ernst und wünscht eine politische Lösung.“
In der Tat weckt das Erstaunen. Denn Mutalibow, der umgedrehte Stalinist und ein übler Scharfmacher, hat die Geister selbst gerufen, die es jetzt zu zügeln gilt. Um seine Macht zu konsolidieren, goß er immer wieder Öl auf den schwelenden Nationalitätenbrand. Doch nach dem Putsch, den er offen unterstützte, stellt sich die Lage anders dar. Das unabhängige Aserbaidschan kann sich längerfristig keine Presse erlauben, die es mit fortgesetzten Massakern in Verbindung bringt.
Zumal die Sympathien des Westens eher auf seiten des christlichen Armeniens liegen. Da nützen auch die verstärkten Bruderbande, wie es der türkische Präsident in seinem Beileidstelegramm nach dem Hubschrauberabsturz formulierte, nicht viel. Denn auch die Türkei hat kein reines Gewissen. Bis heute will sie den Genozid an den Armeniern 1915 nicht eingestehen. Somit wird verständlich, warum Mutalibow Petrosjans Vorschlag einer UN-Friedenstruppe ablehnt, im gleichen Atemzug sich jedoch einverstanden erklärt, ein Friedenskontingent zu akzeptieren, das sich aus Russen und Türken oder wahlweise Iranern zusammensetzt. Mutalibow findet sich unversehens in einer Zwangslage wieder. In Baku fordern Radikale wegen seiner derzeit „sanften Haltung“ schon den Rücktritt.
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