Blogger in China: Chinas freie Stimme im Netz
Auf Druck Pekings nahm Microsoft seinen Blog 2005 aus dem Netz. Am Donnerstag wird Zhao Jings mutige Arbeit mit dem Potsdamer Medienpreis M100 gewürdigt.
BERLIN taz | Eigentlich heißt der in der alten chinesischen Kaiserstadt Nanjing geborene Journalist Zhao Jing. Doch Jing bedeutet auf chinesisch "Stille". Und der heute 36-Jährige wollte alles andere als still sein. Als er ab 1998 das Internet für sich entdeckte, schrieb er fortan seine kritischen Beiträge unter dem Namen Michael Anti. Anti stehe für Protest gegen das Establishment, sagt er: "Das klingt lauter." Am Donnerstag wird Michael Anti mit dem Potsdamer Medienpreis M100 ausgezeichnet.
Wie für so viele Chinesinnen und Chinesen seiner Generation hat auch ihm das Internet eine völlig neue Lesart der jüngeren Geschichte Chinas geboten, als ihm das an der staatlichen Schule und an der Uni vermittelt wurde. Vor allem was er über die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmenplatz las, politisierte ihn. Der studierte Programmierer errichtete daraufhin im Netz Plattformen zu Presse- und Meinungsfreiheit und bloggte über Filz und Korruption. Er wurde von Korrespondenten der New York Times entdeckt, die ihn im Pekingbüro einstellten. Es verschlug ihn unter anderem als Reporter in den Irak und als Stipendiat nach Harvard.
Schlagartig bekannt wurde er, als der US-Software-Riese Microsoft 2005 dem Druck der chinesischen Regierung nachgab und Antis kritischen Blog aus dem Netz nahm. Das löste weltweit eine Debatte über die Rolle westlicher Unternehmen in einem Land wie China aus, in dem Meinungsfreiheit nach wie vor mit Füßen getreten wird. Microsoft beugte sich wiederum dem öffentlichen Druck und schaltete seinen Blog wieder frei. Heute gehört Anti zu einem der meistgelesenen Bloggern Chinas - und damit der Welt.
Anti stehe für eine junge Generation in Staaten, in denen es keine Demokratie gibt, heißt es in der Begründung des Potsdamer Medien-Forums, das den Preis vergibt. Ihm werde die Auszeichnung "in Anerkennung für sein unbeirrbares, mutiges und vorbildliches Eintreten für Presse- und Meinungsfreiheit" verliehen und für seinen mutigen Kampf gegen Zensur und Korruption.
Er selbst sieht sein Engagement nüchtern: "Ich bin einfach Journalist."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland