: Doch nicht zurück zur Natur
Mehr Bäume, mehr Moore, weniger überlastete Ackerböden: Ein europäisches Naturschutzgesetz soll für stabile Lebensgrundlagen sorgen. Doch einige Regierungen blockieren
Von Susanne Schwarz
Es soll fruchtbare Böden und sauberes Trinkwasser sichern, den natürlichen Schutz vor Hochwassern ermöglichen und mehr klimaschädliches Treibhausgas unschädlich machen durch die Bindung von Kohlenstoff in Bäumen und Böden. Doch jetzt steht das Naturwiederherstellungsgesetz der EU schon wieder auf der Kippe. Dabei gäbe es viel zu tun. Gesunde Natur gibt es hierzulande kaum noch. Laut EU-Parlament sind mehr als 80 Prozent des Lebensraums in schlechtem Zustand.
Am Montag sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten in ihrem Ministerrat ihr finales Jawort zu der „Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“ geben. Das EU-Parlament hat das schon getan. Vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen zwischen den beiden Gremien, deren gemeinsame Zustimmung bei den meisten europäischen Gesetzen nötig ist. Das Ergebnis des Hickhacks: abgeschwächte Regelungen, aber eine Einigung. Die abschließende Bestätigung galt als Formalität. Doch auf der Tagesordnung des Ministerrats für Montag fehlte das Thema am Freitag plötzlich und tauchte bis Redaktionsschluss nicht mehr wieder auf. Die Ratspräsidentschaft, derzeit Belgien, hatte den Punkt wegen des Widerstands unter anderem von Polen, Italien und Schweden gestrichen. Dem Vernehmen nach fehlt eine Stimme.
Mit der Verordnung würden die Regierungen sich verpflichten, bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent der Flächen Maßnahmen zur Wiederherstellung zerstörter oder geschädigter Ökosysteme einzuleiten. Bis 2050 soll die Genesung aller geschädigten Ökosysteme in Angriff genommen werden.
Das Gesetz hat einen großen wirtschaftlichen Gegenspieler: die Agrarlobby. Dabei würde die Landwirtschaft langfristig profitieren. Zum Beispiel sterben aktuell zu viele bestäubende Insekten wie Bienen und Schmetterlinge. Nicht nur die natürliche Pflanzenwelt braucht die Tiere zur Fortpflanzung, sondern auch viele Äcker – die teils schon heute unter Mangelerscheinungen leiden. Außerdem gefährdet der Klimawandel Ernten durch Folgen wie Hitze, Dürre oder Starkregen. Mehr gesunde Moore und Wälder, die Kohlenstoff speichern können, wären also förderlich.
Viele Flächen, um die es im Naturwiederherstellungsgesetz geht, liegen aber in den Händen von Landwirt*innen, die sie industriell bewirtschaften. Die Branche müsste also auch selbst etwas tun. Zum Beispiel könnte sie weniger Gifte zur Schädlingsbekämpfung einsetzen, denn die treffen auch die wichtigen Insekten. Und sie könnte Moore wiedervernässen, die sie zur Ausweitung der Ackerflächen trockengelegt hat. Solche Umstellungen, die vorerst Kosten verursachen, sind aber bei vielen Betrieben unbeliebt. Auch der Deutsche Bauernverband ist deshalb gegen das Gesetz. Noch im Februar, als das EU-Parlament abstimmte, sprach Generalsekretär Bernhard Krüsken vom „völlig falschen Weg“ für den Schutz der Biodiversität.
Die europäischen Gesetzgeber*innen sind schon auf Forderungen der Branche eingegangen. Sie haben zum Beispiel das ursprünglich geplante Ziel gestrichen, ein Zehntel der gesamten EU-Agrarfläche „mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt zu gestalten“. Außerdem sollen Auflagen für die Landwirtschaft temporär gelockert werden, wenn die Lebensmittelpreise wegen einer unvorhersehbaren Krise stark steigen.
Naturschützer*innen kritisieren die neuerliche Blockade des Vorhabens. „Die Ablehnung des ausgehandelten Kompromisses durch einige Staaten erweckt den Eindruck, dass sie die Dimension der ökologischen Krise nicht ernst nehmen“, sagte Jörg-Andreas Krüger, Chef des Naturschutzbunds.
Auch in der Bundesregierung hatte es in der vergangenen Woche laut Medienberichten noch einmal rumort. Demnach wollte die FDP, dass auch Deutschland dem Gesetz doch nicht zustimmt. Ein Sprecher des zuständigen Bundesumweltministeriums von Steffi Lemke (Grüne) sagte der taz schließlich, Deutschland werde zustimmen – aber zu Protokoll geben, dass bei der Umsetzung keine zusätzlichen Belastungen für Landwirt*innen entstehen sollen.
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