: Blindes Vertrauen in Otto
Eben war Chaos. Jetzt ist bei Tabellenführer 1. FC Kaiserslautern alles gut. Grund: Das ausgemistete Team lebt Rehhagelsche Harmonie ■ Von Günter Rohrbacher-List
Kaiserslautern (taz) – Die Nachricht war selbst der regionalen Presse nur noch einen Einspalter wert. Als Anfang dieser Woche Frank Greiner zu einem nicht genannten Preis zum VfL Wolfsburg transferiert wurde, atmeten viele FCK-Fans erleichtert auf. Langsam leert sich das Fußballerrestelager. Der ehemalige Kölner ist der letzte der kapitalen Fehleinkäufe des Ex-Managers Reiner Geye, der den Verein in den letzten beiden Jahren wieder verlassen hat.
Nicht nur am Haupt (Ex-Präses Norbert Thines), auch an den Gliedern wurde reformiert, ja gar revolutioniert: erst wurde Wollitz, dann Wegmann, jetzt Greiner aussortiert, nachdem der größte Irrtum Hollerbach noch vor dem Abstieg korrigiert worden war.
Was das mit dem Höhenflug des 1. FC Kaiserslautern in der Fußballbundesliga zu tun hat? Nun, nacheinander wurden sie, die nicht mehr zu den Jüngsten zählen, weggeschickt, und ihre Plätze nahmen junge oder solche Spieler ein, die in der Mannschaft und beim Publikum akzeptiert werden. Die harmonieren, wie Otto Rehhagel dies wünscht, keine Einzelkämpfer sind, sondern für die Mannschaft spielen.
Das Zwischenergebnis der Aktion Ausmisten ist erst einmal überzeugend: Der 1. FCK ist nach fünf Spieltagen mit 13 Punkten Tabellenführer und liegt 5 Punkte vor dem sonntäglichen Gegner, dem Mitfavoriten VfB Stuttgart.
Eigentlich hatten viele, auch in der Pfalz, den 1. FCK eher dort erwartet, wo derzeit Hertha BSC Berlin vor sich hin dümpelt. Zu sehr ging es in den oberen Etagen auf dem Betzenberg drunter und drüber. Manager Hans-Peter Briegel gegen Trainer Rehhagel, Aufsichtsrat Peter-Werner Landry gegen Aufsichtsratschef Jürgen Friedrich, scheidender Aufsichtsrat Feldkamp gegen Gott und alle Welt – das Chaos schien programmiert.
Bei offiziellen Anlässen gingen sich einige der Herren aus dem Weg und würdigten sich keines Blickes. Der regionale Monopolist Die Rheinpfalz verstieg sich angesichts einer T-Shirt-Mini-Affäre zu der gewagten Feststellung, Friedrich sei „längst zu einer Belastung für den Verein geworden“. Der neue kaufmännische Geschäftsführer Gerhard Herzog, ein gelernter Pädagoge, war zuvor als Regierungsdirektor beim rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten tätig. Er muß in den ersten Tagen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben, getreu dem Motto: Wo bin ich da nur hingeraten? Doch er fand schnell Erklärungen für die Irrungen und Wirrungen: „Dieser Aufsichtsrat hat als Gremium keine Sozialisation erfahren!“ Vor dem Saisonauftakt in München befürchteten viele, hofften manche sogar auf das Allerschlimmste.
Doch die Mannschaft kümmerte sich nicht um die kleingeistigen Querelen und die nicht enden wollende Schlammschlacht. Sie agierte, als habe sie gar nichts mehr zu verlieren. Ganze Heerscharen von Rehhagel-Kritikern waren plötzlich sprachlos. Wie gelähmt schwebten sie zwischen Freude über die Erfolge und Gram. „So werden wir den nicht los“, war noch eine der harmloseren Formulierungen.
Doch Rehhagel hatte seine Mannschaft stark beeindruckt und geschlossen hinter sich, weil er sich nie in die Auseinandersetzungen im Aufsichtsrat hatte hineinziehen lassen. Statt dessen betete er monoton sein Treuebekenntnis zu seinen „Freunden Präsident Hubert Keßler und Jürgen Friedrich“ herunter. Und letzterer fügte einen weiteren Baustein des Erfolgs hinzu, weil ihm der Spagat gelang, Freund Rehhagel zu halten und Galionsfigur Briegel nicht wegzuekeln. Das Bekenntnis zu beiden Fachleuten setzte im Team neue Kräfte frei, da nun keiner mehr gezwungen war, Partei zu ergreifen. Der Konflikt war beendet, ohne daß er gelöst werden mußte.
Spieler wie Axel Roos, seit 15 Jahren dabei, fanden sich durch Briegels Bleiben als „Pälzer Buwe“ bestärkt. Keine Rede war mehr davon, „am liebsten ins Ausland“ zu wechseln. Heute ist von den regionalen Größen Roos einer der Besten, Marco Reich fast sicher in der Stammformation, und auch Thomas Riedl bekommt hin und wieder seine Chance. Längst bleiben die zu Zweitligazeiten obligatorischen Fragen nach den nicht eingesetzten jungen Spielern aus. Rehhagel hat seine Mischung gefunden und sitzt im Moment, der gewöhnlichen Fußballwelt entrückt, auf dem Thron – fast schon wie einst Karlheinz Feldkamp.
Auch dank eines Spielers, den er noch als Bayern-Trainer als seinen „Quarterback“ bezeichnete und in der Defensive leiden ließ: Ciriaco Sforza. Sein Weggang vom 1. FCK hatte 1995 den Abstieg eingeläutet, seine Rückkehr wurde mit 7,5 Millionen Mark teuer erkauft. Rehhagel muß monatelang wie ein Besessener hinter Sforza her gewesen sein und ihm das Gefühl gegeben haben, das die Manager des FC Everton und der Blackburn Rovers auch mit viel mehr Handgeld nicht überbieten konnten.
Allein Sforzas körperliche Anwesenheit auf dem Platz gibt den anderen Sicherheit – nach vorne und nach hinten. Olaf Marschall und Pavel Kuka treffen wieder, und die Rufe nach Stefan Kuntz sind längst verhallt. Die Mittelfeldkollegen Ratinho, Buck und Wagner strotzen vor Spielfreude und rennen bis zur Erschöpfung. Libero Miroslav Kadlec ist so sicher wie früher, Roos und Michael Schjönberg sind in der Abwehr gesetzt, und um die restlichen Plätze kämpft ein ganzes Dutzend ehrgeiziger und motivierter Spieler.
Einer, der bei allen Deutungsversuchen für den Lauterer Erfolg stets zu kurz kommt und sich zu Unrecht schlecht behandelt fühlt, ist Torhüter Andreas Reinke, den manchmal gar Selbstzweifel befallen. Er, der erst einmal hinter sich greifen mußte, sinniert über seine mangelnde Akzeptanz bei den Fans. Wäre Petr Kouba, von Deportivo La Coruna ausgeliehen, nicht langzeitverletzt in die Saison gegangen, Reinke säße heute auf der Bank. Jetzt ist er eine.
Im Abstiegsjahr 1996 waren die FCK-Spieler, Trainer Friedel Rausch, Manager Geye und Präsident Thines von allen guten Geistern verlassen. Heute verlassen sich die Zuschauer fast schon blind – so schnell können Stimmungen wechseln – auf Rehhagels Taktik. Und der verläßt sich auf seine Spieler, die sich durch nichts von außen aus der Ruhe bringen lassen und anders als in den letzten beiden Jahren richtig Fußball spielen.
Selbst im Meisterjahr 1991 war der 1. FCK über den Kampf zum manchmal eher mäßigen Spiel gekommen. Im bisherigen Saisonverlauf aber dominiert das spielerische Element. Und dann werden auch noch richtige Entscheidungen getroffen wie etwa jene, Greiner wegzuschicken.
Grund genug für die Anhänger auf dem Betzenberg, alles, aber auch alles für möglich zu halten. Das hat schon wieder fast etwas Beängstigendes.
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