Blindentennis-Spielerin Kirstin Linck: Wenn der Tennisball rasselt

Klingende Metallstäbchen im Ball leiten Kirstin Linck durch das Tennisspiel. Gerade wurde die Lüneburgerin Blindentennis-Europameisterin. Jetzt ist WM.

Kirstin Linck steht auf einem Tennisplatz und schlägt auf einen Ball

Als WM-Vorbereitung: Kirstin Linck trainiert den genauen Treffpunkt des Balls und die Spielhaltung Foto: Hans-Jürgen Wege

Lüneburg taz | „Eins, zwei, drei, Vorhand“, sagt Kirstin Linck und zeigt auf den Tennisball, der dreimal rasselnd vor ihr aufspringt. Die schwarze Dunkelmaske auf den Augen nimmt ihr noch das letzte Bisschen Orientierung in der Halle in Lüneburg. So verlässt sie sich ganz auf ihre Ohren. Am Netz steht ihre Trainerin und wirft ihr die Bälle zu, sie analysiert und kommentiert ihre Schlagentscheidung. Solche Koordinationsübungen bereiten Kirstin Linck auf die Weltmeisterschaft im Blindentennis vor, die IBTA World Championships.

Derzeit läuft das siebentägige Turnier im norditalienischen Lignano Sabbiadoro. Mehr als 150 Spie­le­r*in­nen aus 25 Ländern werden erwartet. Teilnahmebedingungen gibt es dafür nicht – „daher hat Blindentennis noch nicht viel mit Leistungssport zu tun, es spielen eher ambitionierte Privatleute“, sagt Niklas Höfken. Er berät den Deutschen Tennisbund ehrenamtlich zu Inklusion. Trotzdem seien solche Turniere ein notwendiger Schritt zur Anerkennung des Sports.

Entwickelt hat sich die Sportart ab 1984 in Japan. Miyoshi Takei träumte davon, zusammen mit nicht behinderten Menschen Tennis zu spielen. Er entwickelte dafür den Rasselball in vielen Anläufen. Die Regeln sind dem Tennis für Sehende sehr ähnlich. Das bestätigt Kirstin Linck: „Blindentennis kann jeder spielen, der sich auf den Ball einlässt.“

2016 gab es den ersten Blindentennis-Workshop in Deutschland. Zwei Jahre später hatte Kirstin Linck eine Werbemail in ihrem Postfach: ein weiterer Workshop für Blinden­tennis in Köln. „So ein Blödsinn, das kann ja gar nicht funktionieren“, dachte Linck. „Ich hab die Mail direkt gelöscht.“ Wenig später fragte sie zufällig jemand, wie Blindentennis funktioniere. Diese Wissenslücke machte sie neugierig genug, um sich doch anzumelden.

Eine von etwa 80 aktiven Blindentennis-Spieler*innen

Nach dem Workshop packte sie einen der rasselnden Schaumstoffbälle ein und nahm Blindentennis so buchstäblich mit nach Lüneburg. Bis heute macht das sechs Jahre aktives Training. Sie gehört zu den etwa 80 aktiven Blindentennis-Spieler*innen in Deutschland, schätzt Niklas Höfken.

Nach einer Trinkpause geht es wieder auf den Platz. Mit dem Schläger erfühlt Kirstin Linck die Linien, die auf dem Boden kletten. Sie begrenzen den Platz, der etwas kleiner ist als ein regulärer Tenniscourt. Eine Klettlinie kreuzt die Grundlinie und zeigt so deren Mitte an, um sich für den Aufschlag positionieren zu können. Zehn kleine oder sechs große Schritte sind es vom Netz zur Grundlinie, weiß Kirstin Linck.

Die 54-jährige arbeitet als Verwaltungsbeamtin bei der Polizei in Lüneburg. Im Alter von drei Jahren wurde bei ihr Retinitis pigmentosa diagnostiziert, die für eine Einschränkung des Gesichtsfelds sorgt. Wenn ihre Oma ihr einen Ball zuwarf, nahm sie nicht wahr, dass er an ihr vorbeiflog. Heute liegt ihre Sehkraft bei weniger als einem Prozent, hell und dunkel kann sie noch unterscheiden. „Mit der Krankheit muss ich flexibel bleiben und mich mit immer weniger arrangieren“, sagt sie.

Auf den benachbarten Tennisplätzen plonken die Tennisbälle von einem Schläger zum anderen, dazu Ächzen oder Jubel. Für Kirstin Linck kein Problem: „Das blende ich aus. Schwieriger wird es, wenn bei der WM auf mehreren Plätzen gleichzeitig ‚Ready – yes – play‘ gerufen wird.“ Durch diese Rufabfolge verständigen sich die Spie­le­r*in­nen darauf, wann es losgeht.

Kirstin Linck trippelt auf der Stelle. Trainerin Janine Duve spielt Bälle auf sie zu, die Linck über das Netz schlagen muss. „Nicht reinfallen, mach kleine Schritte und steh beim Schlagen fest“, mahnt sie. An dieser „Baustelle“ muss Linck noch üben, ist sie sich mit der Trainerin einig.

Zulassung als paralympische Sportart anvisiert

Ebenfalls mehr Training braucht ihre Vorhand. Bei den diesjährigen Blind Tennis Open in Madrid im April war Kirstin Linck im Hotelzimmer gestürzt und konnte nicht mehr um den ersten Platz spielen. „Ich war in Hochstimmung, mindestens den zweiten Platz zu machen und dann, zack, bin ich weggerutscht. Der Schmerz überlagerte alles.“ Deshalb konnte sie ihren Titel nicht verteidigen, denn 2023 war sie Erste geworden. Ihr bis dahin größter Erfolg.

Die Zeit danach war mühselig, denn das rechte Handgelenk wurde nur langsam beweglicher. Noch jetzt, fünf Monate später, geht Kirstin Linck regelmäßig zur Physiotherapie. Mittlerweile ist die Hand aber wieder für die benötigten Bewegungen beim Tennis einsetzbar – gerade rechtzeitig. Die Behandlungen kann sie mit dem Training im Fitnessstudio kombinieren, das sie für die WM aufgenommen hat.

Über das Spielen hinaus setzt sich Kirstin Linck für mehr Sichtbarkeit des Sports ein, organisiert zum Beispiel Turniere. „Es ist wichtig, das Ganze bekannt zu machen“, sagt sie. Sie wünscht sich noch mehr Spie­le­r*in­nen in Lüneburg. Derzeit spielt dort nur eine weitere Person aktiv, aber ohne Turnierambitionen.

Für mehr Aktive setzt sich laut Niklas Höfken auch der Deutsche Tennisbund derzeit ein. Wie im Rollstuhltennis soll es bald Turnierreihen und Fortbildungsangebote geben. Und irgendwann die Zulassung als paralympische Sportart, dann gäbe es auch mehr Fördermittel.

Mit einem „Tsch“ schlägt Trainerin Janine Duve den Ball auf. Kirstin Linck schätzt Schnelligkeit und Richtung am Geräusch ab. Eins, zwei, drei Aufpraller – und Schlag. Beim Blindentennis in der Kategorie der Vollblinden B1 eher selten: Es kommt zu einem längeren Ballwechsel zwischen den beiden. In den Kategorien B2 bis B4 wird mit dem Sehrest der Spie­le­r*in­nen gespielt, also ohne Maske. Der Platz ist größer, das Netz höher, der Ball darf weniger häufig aufkommen.

Die Weltrangliste im Blick

Dann geht der Ball ins Aus. „Nach links weg“, meldet Janine Duve kurz zurück, damit Linck über die Richtung ihres Schlags Bescheid weiß. Sie verlässt das Training zufrieden. Ein letzter Tipp der Trainerin: „Das Spiel beginnt immer im Kopf, es geht um den Willen, den Ehrgeiz. Theoretisch kannst du das alles.“

Kurz darauf geht es für Kirstin Linck zu den IBTA European Open Championships in Polen, einer offenen „EM“. Die IBTA selbst nennt es das „Warm-up Event“ für die WM in Italien. Sie setzt sich gegen vier Gegnerinnen durch, aus Deutschland, Polen und Japan, und holt die Goldmedaille. „Ich konnte mich richtig gut konzentrieren“, sagt sie stolz.

Als nächstes geht es nach Italien zur Weltmeisterschaft. „Blackboxen“ nennt sie ihre Gegnerinnen. Einige kennt sie nicht, die Spielerinnen aus Großbritannien hätten mehr Turniererfahrung. Trotzdem steckt sie sich ein Ziel: ihren Weltranglistenplatz von sechs nach vorn verbessern.

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