piwik no script img

„Blankes Unverständnis“ für NATO

■ Osteuropaexperte Eichwede berichtet von Moskau-Reise

Ein äußerst kritisches, „in Teilen gar vernichtendes Urteil“ über die westliche Kosovo-Politik hat der Osteuropaexperte Wolfgang Eichwede bei einem Besuch in Moskau festgestellt. In zahlreichen Gesprächen mit Duma-Abgeordneten, Bürgerrechtlern, Wissenschaftlern und Publizisten sei „blankes Unverständnis“ darüber zum Ausdruck gebracht worden, wie unvorbereitet die Nato in den Krieg gegangen sei, berichtete der Direktor des Osteuropa-Instituts an der Bremer Universität. „Die Leute dort sagen, daß offenbar versäumt wurde, die potentiellen Szenarien für ein militärisches Eingreifen und die denkbaren Reaktionen von jugoslawischer Seite zuvor durchzuspielen.“

Man könne den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic nicht einerseits als „Teufel“ hinstellen und andererseits nach den ersten Luftschlägen eine „rationale Reaktion“ von ihm im Sinne eines Einlenkens erwarten, zitierte Eichwede seine Gesprächspartner. „Bei Respekt vor der menschenrechtlich begründeten Motivation sind die aus der Sicht vieler Russen ungewollten, aber vorhersehbaren Folgen der Angriffe eine dramatische Verschärfung der menschlichen Notlage und der Deportation gewesen.“ Auch wenn Milosevic dafür die Verantwortung trage, habe der Westen den Vorwand geliefert.

Gerade in reformorientierten und prowestlich eingestellten Kreisen werden nach Eichwedes Beobachtung die Wirkungen des Balkankrieges auf Rußland als sehr ernst eingeschätzt. „Das Land fühlt sich erniedrigt und ausgespielt“, sagte er. Dabei werde aber auch heftige Kritik an der eigenen Regierung geübt, die es unterlassen habe, Belgrad stärker unter Druck zu setzen. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen