: Blanker Revanchismus
betr.: „Unruhige Zeiten in Äthiopien“, taz vom 24. 4. 01
Der Artikel von Dominic Johnson gibt einen recht vollständigen Überblick über die Geschehnisse und deren Hintergründe. Bemerkenswert ist, dass der Friedensschluss mit Eritrea nicht zu allgemeiner Erleichterung, sondern vielmehr Frustration der äthiopischen Bevölkerung geführt hat. Dass diese sogar Unruhen mit verursacht, ist alarmierend. Was sich viele Äthiopier offenbar wünschen, ist blanker Revanchismus: Der Einmarsch in Eritrea, damit verbunden der eritreischen Armee „den Rücken brechen“, die außerordentlich populäre eritreische Regierung stürzen und zumindest den Süden Eritreas annektieren. Der äthiopische Regierungschef Meles Zenawi hatte solche Wünsche aus völkerrechtlichen Gründen nicht ernsthaft verfolgen können. Genau dieser Sinn für gegebene Realitäten aber ist es, der Meles der äthiopischen Bevölkerung (und einem Teil seiner Partei) entfremdet.
Im historischen und politischen Selbstverständnis Äthiopiens spielen der Sieg über die Kolonialarmee Italiens und Sagen der Königin von Saba wichtigere Rollen als Völkerrecht und Weltwirtschaft. Dies erklärt das für uns Unbegreifliche: Äthiopien führte (schon wieder) einen Krieg gegen Eritrea, bei welchem außer Satisfaktion wenig zu gewinnen ist, und dies vor folgendem Hintergrund: Äthiopien ist Afrikas ärmstes Land, stellt neun Prozent der weltweiten HIV-Positiven, mehrere Millionen seiner Einwohner sind ständig vom Hungertod bedroht, Erosion vernichtet jährlich riesige Anbauflächen, und die Staatsfinanzen sind desaströs.
Der Anteil der Geberländer an diesem Krieg hat sich gegenüber den vorherigen Kriegen auch nicht verändert: Äthiopien erhält recht unbehelligt finanzielle Unterstützung, welche auch für Waffenkäufe verwandt wird und Nahrungsmittelhilfe, welche nicht immer die Hungernden – mit Sicherheit jedoch die Streitkräfte erreicht. Vieles muss sich ändern, damit von Äthiopien nicht weiter Kriege ausgehen. Grenzkonflikte mit Kenia und Somalia schwelen bereits. CHRISTIAN GLAUNSINGER, Stuttgart
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen