Black Friday und Cyber Monday: „Das passiert alles im Hirn“
Warum kaufen wir noch ein drittes Paar Stiefel oder eine Smartwatch, nur weil ein Preisnachlass lockt? Neurologe Borwin Bandelow erklärt es.
taz: Herr Professor Bandelow, am Black Friday und am darauffolgenden Cyber Monday werden den KundInnen in Kaufhäusern und im Versandhandel angeblich tolle Schnäppchen angeboten. Was passiert da im Kundenhirn?
Borwin Bandelow: Die Menschen fixieren sich leicht auf Schnäppchen und Rabatte, weil unser Belohnungssystem im Hirn stark auf relative Werte reagiert, weniger auf absolute. Und da sind 30 Prozent Nachlass im Verhältnis zu einem angeblich vorher höheren Preis ein starker Reiz. Das wirkt dann wie ein Geschenk.
Das heißt, der absolute Preis für einen Artikel selbst wird dann gar nicht mehr genauer hinterfragt?
Das Belohnungssystem reagiert im Hier und Jetzt. Da denkt der Kunde dann vielleicht nicht daran, dass er diesen Artikel auch in weiterer Zukunft noch genauso billig kaufen könnte oder der Artikel woanders zu einem ähnlich günstigen Preis zu haben ist.
Um die Waren geht es also gar nicht?
Das Belohnungssystem freut sich vor allem über den Preisnachlass, über das Kauferlebnis. Ob man den Artikel wirklich braucht, ist eine andere Frage. Wir hatten Patienten, die kaufsüchtig waren, die kauften dann auch noch ein drittes Teleskop, obwohl sie schon zwei hatten. Das lag dann zuhause rum, wurde gar nicht mehr ausgepackt.
66, ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen. Er hat sich in mehreren Büchern auch mit der Neurologie des Gehirns beschäftigt.
Menschen rationalisieren ihr Kaufverhalten ja gerne, so nach dem Motto: Das dritte Paar Stiefel hat aber ein besseres Profil, die zweite Smartwatch noch eine besondere Funktion.
Diese Rationalisierung findet in einem anderen Teil des Hirns statt, der produziert dann gerne Gründe für den Kauf. Aber der Anreiz selbst kommt aus dem Belohnungssystem, das nun mal stark auf Rabatte reagiert.
Ist das exzessive Kaufen nicht auch eine Geldfrage?
Es gibt wohlhabende Menschen, die kaufen mit Begeisterung Sonderangebote beim Discounter, obwohl sie die Waren auch nicht unbedingt brauchen. Die sind dann ganz stolz darauf, wieviel Geld sie angeblich gespart haben- das hat aber was mit dem Belohnungssystem zu tun und nicht mit deren finanzieller Situation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity