Bjarne Mädel über Theater und Film: „Fernsehen fand ich oberflächlich“
Bjarne Mädel ist einem breiten Publikum als „Tatortreiniger“ bekannt geworden. Ein Gespräch über Ernsthaftigkeit, Freundschaft und die beste Diät.
taz.am wochenende: Herr Mädel, schön, dass wir uns in Hamburg treffen können. Kommen Sie gerade aus Berlin?
Bjarne Mädel: Nein, ich bin schon ein paar Stunden in Hamburg. Ich war beim Anzug-Kaufen. Ich hatte nur einen guten, und den habe ich verloren, als ich kürzlich in den USA war, um „24 Wochen“ vorzustellen. Eigentlich rufen die Hotels einem hinterher, wenn man was vergessen hat, aber da ist nichts passiert.
Wofür brauchen Sie einen Anzug?
Ach, alles, was so kommt. Die Verleihung des Deutschen Filmpreises zum Beispiel. Wir sind mit „24 Wochen“ vierfach nominiert, unter anderem in der Kategorie „Bester Spielfilm“. Da kann man sich dann schon mal feinmachen, finde ich.
„24 Wochen“ erzählt die Geschichte eines Paares, das die Entscheidung treffen muss, ob es ein Kind mit Downsyndrom und Herzfehler abtreiben oder bekommen soll. Das ist alles andere als lustig. Was bedeutet der Film für Ihre Karriere?
Ich habe Glück gehabt mit dem Film. Das war ein Hochschulabschlussfilm von einer jungen, begabten Regisseurin, und ich habe da mitgemacht, weil ich das Projekt spannend fand. Ich spiele den Vater, die großartige Julia Jentsch spielt die Mutter. Der Film bekam eine riesige Aufmerksamkeit, da wir als einziger deutscher Beitrag im Wettbewerb der Berlinale gelandet sind. Über mich sagten die Leute: „Ah, der kann auch ernst.“ Was für mich selbst keine Überraschung war, aber anscheinend für viele andere.
Bekanntgeworden sind Sie mit komischen Rollen wie dem „Tatortreiniger“ oder Ernie aus der Serie „Stromberg“. Wollen Sie jetzt verstärkt im dramatischen Fach arbeiten?
Ich hätte nichts dagegen. Wenn du in einem Film spielst, in dem es um etwas geht, und das ganz ordentlich machst, dann kriegst du auch wieder Nachfolgeangebote. Ich will grundsätzlich schon beides, das Drama und die Komödie, und mache als Spieler da auch gar keinen Unterschied. Ich will den Beruf ja bis zu meinem Lebensende machen und eben nicht abhängig davon sein, dass ein Sender sagt: „Nee, den lustigen Mädel haben wir jetzt oft genug gesehen.“
Wann haben Sie angefangen mit der Schauspielerei?
Sehr spät, mit 22, da bin ich zum ersten Mal mit Theater in Berührung gekommen. Ich habe in Erlangen Theaterwissenschaften studiert, und da hat mich jemand angesprochen, ob ich mal bei einem Kindertheaterstück mitmachen möchte. Dann haben wir eine freie Gruppe gegründet. Ich wusste, ich will das unbedingt machen, und habe dann in Potsdam Schauspiel studiert, um mir das Handwerkszeug zu besorgen.
Was gibt Ihnen der Beruf des Schauspielers?
Ich habe das nie gemacht, um berühmt oder reich zu werden. Ich habe das Gefühl, dass der Moment, vor Publikum etwas darzustellen, einen zusammenbringt. Wenn es so etwas gibt wie eine Urseele, aus der wir alle kommen, dann möchte man zu dem Zustand wieder zurück. Das passiert zum Beispiel, wenn man sich verknallt. Dann guckst du jemandem in die Augen und weißt: Hier ist mehr los als nur Biochemie. Das ist irgendwie größer als wir.
Das klingt ein bisschen esoterisch.
Wenn man auf der Bühne steht und die Spannung der Zuschauer merkt, dann ist das ein wahnsinniges Geschenk. Das Spielen vor Zuschauern ist die intensivste Form der Selbstvergewisserung. Wenn du im Hamburger Schauspielhaus vor 1.200 Leuten spielst und die alle zur Ruhe bringen kannst, wenn du was erzählst oder spielst, dann spürst du die Energie der Menschen und dich selbst. Und wenn es um Komik geht, kriegst du die direkte Rückmeldung, wenn die Leute lachen. Auf der Bühne zu stehen, hat etwas mit dem Bedürfnis zu tun, nicht allein zu sein. Verstanden zu werden.
Das ist ein starkes Plädoyer für das Theater und gegen den Film.
Total. Ich wollte auch ursprünglich nie Film machen, und das Fernsehen fand ich wahnsinnig oberflächlich. Auch wegen so Sätzen wie: „Wo waren Sie gestern?“ – „Gib mir mal die Butter rüber.“ Ich interessiere mich für Sprache und mag außergewöhnliche Texte, und da fand ich dieses allgemeine Fernsehgelaber immer sehr langweilig. Ich bin dann zufällig bei „Stromberg“ reingerutscht. Aber ich habe mich immer als Theaterschauspieler verstanden.
Person: Geboren 1968 in Hamburg. In Kalifornien studierte er Literatur und kreatives Schreiben.
Ruhm: Seit 2011 spielt er in der Serie „Der Tatortreiniger“ die Hauptrolle Heiko „Schotty“ Schotte.
Was reizt Sie am Spiel vor der Kamera? Da muss es ja auch etwas geben.
Dass man so minimal spielen kann. Wenn ich auf einer Theaterbühne stehe, ist das schwierig, weil ich weiß, ich muss die erste Reihe bedienen, aber eben auch die Leute im zweiten Rang. Ich muss da körperlich anders präsent sein. Vor der Kamera muss man das Richtige fühlen und denken. Da muss man sehr präzise sein. Feiner zu spielen macht mir auch Spaß. Nur durch einen anderen Gedanken ein anderes Gesicht zu bekommen. Das reicht auf der Bühne nicht, da muss man alles vergrößern.
Sie haben sehr prägnante Figuren gespielt bei „Stromberg“, „Mord mit Aussicht“ und im „Tatortreiniger“ . Wieviel Bjarne Mädel steckt in Schotty oder Ernie?
Ich kontere auf diese Frage immer gern mit Bruno Ganz, der Adolf Hitler gespielt hat. Würde man den ernsthaft fragen, wieviel Adolf Hitler in ihm steckt? Oder wenn Jürgen Vogel einen Vergewaltiger spielt. Fragt man den, ob er privat auch gern vergewaltigt?
Es gibt schon die Idee, dass Schauspielerei auch bedeutet, Facetten starkzumachen, die der Schauspieler durch seine Persönlichkeit mitbringt.
Natürlich muss auch ein Jürgen Vogel etwas suchen, irgendeine Form von Aggression oder Triebhaftigkeit, damit er die Rolle glaubhaft spielen kann. Und das hat dann vielleicht auch wieder etwas mit Jürgen Vogel zu tun. Aber ich finde die Frage immer schwierig, weil es ja unser Beruf ist, andere Leute zu spielen. Und wenn ich jetzt sage: „Der Ernie ist genau wie ich, weil ich privat auch Probleme mit Frauen habe und sehr stark transpiriere“, dann würde es ja heißen, ich sei ein sehr schlechter Schauspieler.
Was ist die Schnittmenge zwischen den Figuren und Ihnen?
Ernie und Schotty haben vielleicht etwas mit mir zu tun, weil sie sagen, was sie denken. Aber Ernie, Schotty und der dicke Polizist aus „Mord mit Aussicht“ sind drei komplett unterschiedliche Typen Mann. Ich denke, wenn mich Leute gut kennen, dann würden die sagen: „Die haben alle gar nichts mit dir zu tun, mit dem, wie du privat bist.“ Deshalb versuche ich mich auch äußerlich zu verändern, um klarzumachen, dass es eine Rolle ist, die ich da spiele.
Es heißt, Sie nehmen für jeden „Tatortreiniger“-Dreh sieben Kilo ab. Wie machen Sie das?
Keine Kohlehydrate essen und sich bewegen.
Wie lange brauchen Sie für die sieben Kilo?
Sehr unterschiedlich. Es wird von Jahr zu Jahr härter. Einmal habe ich zehn Tage gefastet, viel Sport gemacht und in den zehn Tagen fünf Kilo abgenommen. Aber das ist ganz ungesund, man hat das schnell danach wieder drauf. Das merke ich schon beim Dreh: Da ist das Catering dann so lecker, dass man schon während des Drehs wieder an den alten Umfang herankommt. Am Ende der Drehzeit halte ich dann immer die Luft an, wenn die Kamera von der Seite kommt.
Das mit dem Abnehmen klappt also nicht immer.
Ich ärgere mich, wenn ich es mal nicht geschafft habe, weil ich schon so oft erzählt habe, dass ich mich gern verwandele. Und wenn man dann wieder die private Bjarne-Mädel-Plauze sieht, die nichts mit der Figur zu tun hat, dann stört das vermutlich niemanden so richtig außer mich selbst. Aber das Abnehmen ist schon eine Quälerei. Ich bin genetisch eher bauchlastig angelegt.
Welchen Niederschlag findet Ihr Humor bei „Stromberg“?
Bei manchen Sachen, die Ernie passieren, sagen Freunde von mir: „Das hast du dir doch ausgedacht.“ Weil die meinen Humor kennen. Wenn man sich zum Beispiel von hinten selbst die Tür an den Kopf haut und so was. Aber ich bin privat nicht so, dass ich mir tollpatschig Sachen gegen den Kopf haue.
Ernie wird auch gern gemobbt, weil er so unbeholfen ist. Wie würden Sie mit Ernie umgehen, wenn Sie ihn beim Dreh treffen würden?
Also, da er auch geruchstechnisch schwierig war, würde ich Abstand halten. Das wäre niemand, mit dem ich gern befreundet wäre. Wenn ich in so einem Büro arbeiten würde, dann würde ich ihn wahrscheinlich genau wie alle anderen ausnutzen, weil, die Arbeit macht er ja immer gewissenhaft. Aber ich hätte auch Mitleid mit dem.
Haben Sie schon mal in einem Büro gearbeitet?
Zum Glück noch nie. Darum weiß ich auch nicht, wie verzweifelt und sadistisch man dort werden kann.
Ursprünglich wollten Sie Schriftsteller werden. Warum?
Ich finde es eine tolle Vorstellung, das Leben zu beobachten und daraus Geschichten zu bauen. Ich mag es, wenn ich durch ein Buch eine Geschichte in meinen Kopf aufnehmen kann, die es davor nicht da drin gab. Manche Bilder sind dann in meinem Kopf, als hätte ich sie wirklich erlebt. Das ist faszinierend. Besonders, wenn es Leute ohne viel Worte geschafft haben. Ich mochte nie Thomas Mann, der mir in verschachtelten Nebensätzen auf drei Seiten vorkaut, wie jemand ausgesehen hat. Ich mag es, wenn Leute mit klaren, kurzen Sätzen verrückte Geschichten erzählen.
Welches Buch hätten Sie gern selbst geschrieben?
Viele. Beeindruckend fand ich zuletzt von Gavin Extence „Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat“. Ich mag „Licht“ von Christoph Meckel. Von Haruki Murakami hätte ich gern alle geschrieben. Oder „Wassermusik“ von T. C. Boyle.
Warum haben Sie den Plan mit der Schriftstellerei nicht weiterverfolgt?
Ich hatte diese romantische Vorstellung, am Schreibtisch zu sitzen und auf Ideen zu warten. Ich hatte mich als Medium gesehen, das die Idee bekommt und dann mühelos aufs Papier bringt. Dann habe ich gemerkt, dass das Schreiben sehr viel Fleißarbeit ist und einem nicht so zufliegt. Ich glaube, die wenigsten Leute schreiben einfach so drauflos.
Während Ihres Studiums in den USA arbeiteten Sie als Putzmittelvertreter. Was haben Sie da mitgenommen?
Blasen an den Füßen. Ich bin wirklich von Tür zu Tür gegangen. Aber ich möchte das gar nicht zum Thema machen, ich habe das schon so oft erzählt. Ebenso wie die Geschichte, dass ich mit 17 mal im Hamburger Hafen Kupferschlacke geschaufelt habe. Ich habe diese Jobs immer in dem Bewusstsein gemacht, dass ich das nicht mein ganzes Leben lang machen werde.
Haben Sie dennoch etwas mitgenommen für Ihre spätere Tätigkeit?
Ich habe nicht abends Tagebuch geführt, dazu war ich zu kaputt. Aber ich habe das schon bewusst wahrgenommen. Im Nachhinein sowieso, um wertzuschätzen, wie toll es ist, dass jetzt mein Beruf ein anderer ist. Man lernt da Demut. Man weiß nachher, was Geld wert ist.
Wo soll es hingehen mit der Schauspielerei?
Am liebsten so weiter, wie es gerade läuft. Im Moment habe ich das Glück, dass ich auf allen Hochzeiten tanzen kann. Ich spiele gerade Theater am Hamburger Schauspielhaus, ich mache nächstes Jahr den „Tatortreiniger“ weiter, ich mache als Nächstes eine Kurzserie für ZDFneo und im Sommer einen Kinofilm mit Lars Eidinger, habe also wirklich schöne Angebote.
Hayır oder Evet? Die Türkei stimmt über das Verfassungsreferendum ab. Wir blicken in der taz.am wochenende vom 15./16./17 April nach Izmir, die Hauptstadt des "Nein" – und in die Zukunft. Außerdem: Unser Autor wurde als Homosexueller in Syrien verfolgt – Geschichte einer Emanzipation. Ein Gespräch mit dem "Tatortreiniger" Bjarne Mädel übers Abnehmen und die Oberflächlichkeit des Fernsehens. Und: Eine österliche Liebeserklärung der Köchin Sarah Wiener an das Ei. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Was bedeutet Ihnen Erfolg?
Mein Anspruch war immer, mit tollen Leuten zu arbeiten. Das Tolle an einem Haus wie dem Schauspielhaus ist, dass man Kollegen hat, die sich hinterfragen. Die fragen sich auch noch nach 25 Jahren, wie es geht, und setzen sich dem Risiko aus zu scheitern. Die kommen auf die erste Probe und sind total unsicher und geben das zu. Und dann fängt man an, miteinander zu arbeiten. Wenn man so tut, als wüsste man alles, dann spielt man 25 Jahre lang dasselbe.
Was würden Sie jungen Schauspielern raten, die Erfolg haben wollen?
Der Peter-Brook-Schauspieler Yoshi Oida hat mal sinngemäß gesagt: Erst als ich nicht mehr auf den Applaus gewartet habe, habe ich ihn bekommen. Da steckt viel drin. Wenn du das nur machst, um berühmt zu werden und Anerkennung zu kriegen, dann solltest du einen anderen Beruf wählen. Der Beruf macht einem ein Beziehungs- oder Familienleben auch oft schwer. Man ist viel weg.
Wie schaffen Sie es, Freundschaften aufrechtzuerhalten?
Das finde ich schwierig, und es klappt auch nicht immer. Ich habe ein paar enge Freunde von früher, da weiß ich: Auch wenn wir uns zwei Jahre gar nicht sehen, können wir genau da wieder andocken, wo wir aufgehört haben. Ich habe aber auch schon einen sehr guten Freund verloren, weil ich unserer Freundschaft nicht gerecht wurde. Das schmerzt mich immer noch.
Haben Sie daraus Konsequenzen gezogen?
Ich versuche, für die Freunde, die ich jetzt habe, dazusein. Aber es ist schwer, man arbeitet, kommt abends nach Hause nach einem Drehtag und ist platt. Auch am Wochenende will ich manchmal nichts anderes machen, außer HSV zu gucken und aufm Sofa zu sitzen. Da fehlt einfach die Kraft, sich aufzuraffen. Enge Freunde verstehen das. Aber es sind wenige.
Warum eigentlich der HSV und nicht der FC St. Pauli?
Als ich 1974 anfing, ins Stadion zu gehen, da gab es St. Pauli noch gar nicht in der Form eines Kult- und Modevereins. Nee, im Ernst: Ich habe nichts gegen St. Pauli und bin als HSV-Fan extrem moderat. Für mich bedeutet Fußball nur, 90 Minuten an nichts anderes denken zu müssen. Bei mir ist es halt leider der HSV geworden – es macht ja seit einigen Jahren nicht mehr ganz soviel Spaß, HSV-Fan zu sein.
Gehen Sie noch ins Stadion?
Ja, immer mal wieder, wenn ich in Hamburg bin. Olli Dittrich hat Dauerkarten, der nimmt mich dann manchmal mit.
Stimmt, Dittrich und seine Figur Dittsche sind HSV-Fans, genau wie Sie und Schotty.
Ja, genau.
Sie wohnen in Berlin mit Ihrer Freundin zusammen. Wer putzt?
Immer der, dem auffällt, dass es gemacht werden muss. Wir haben Vorlieben. Meine ist es, die Wäsche sauber aus der Maschine zu ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin nimmt Haftbefehl zur Kenntnis und überlegt