piwik no script img

"Bitterfotze" von Maria SvelandDie Wut als Seismograph

Sara, die Ich-Erzählerin in Maria Svelands Roman, begreift ihr persönliches Leiden als Indikator eines ungerechten Allgemeinzustandes. Trotzdem ist das Ende vorsichtig versöhnlich.

Maria Sveland knüpft mit ihrem Roman "Bitterfotze" an erzählerische Muster der "Neuen Subjektivität" an. Bild: leif hansen

Maria Sveland, 1974 geboren, knüpft an viele erzählerische Muster an, die in den Siebzigerjahren unter den Rubrizierungen "Neue Subjektivität" oder auch "Neue Innerlichkeit" verhandelt wurden. Ihre Icherzählerin Sara lernt ihre Probleme und Leiden im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Bedingungen verstehen. Und ihre Wut, sie selbst spricht von "Bitterfotzigkeit", begreift sie allmählich als Indikator eines ungerechten Allgemeinzustands - als Seismograf, der anzeigt, dass etwas nicht stimmt. Das sind beides Topoi, wie sie in der Literatur der Neuen Subjektivität vielfältig durchgespielt wurden. Romane wie Karin Strucks "Klassenliebe" (1973) oder Verena Stefans "Häutungen" (1974) zeichneten weibliche Suchbewegungen nach. Äquivalente auf männlicher Seiten waren "Lenz" von Peter Schneider (1973), "Mars" von Fritz Zorn (1974) oder "Die Reise" von Bernward Vesper (1977). Auf Erica Jongs Weltbestseller "Angst vorm Fliegen" (1973) nimmt Maria Sveland direkt Bezug.

In zwei Punkten kann man ihren Roman geradezu als Versuch eines Revivals dieser 70er-Jahre-Kultbücher lesen: Sveland verknüpft die Entwicklungsgeschichte ihrer Heldin mit einem Gesellschaftspanorama. Und sie übt sich in einem kämpferischen Ton. Wirklich scharf und eindringlich wird dieser Ton, wenn es um die Schilderung von Saras Leiden als junge Mutter geht. Körperlicher und seelischer Stress, ein überforderter Vater, zudem hohes Fieber und Stillprobleme. In diesen Szenen lässt Maria Sveland das Drama eines heutigen Individuums deutlich werden, das auf eine Situation von Fremdbestimmung trifft und mit absoluter Panik reagiert.

Auch das Suchbewegungen anzeigende Hin und Her der Selbstbeschreibungen ist typisch für die Literatur der Neuen Subjektivität. Wütende Anklagen entfremdeter Zustände zwischen Männer und Frauen werden von Maria Sveland zum Ende hin mit nahezu idyllischen Bildern kontrastiert. Als ihre Erzählerin auf einen älteren Mann und eine ältere Frau trifft, die respektvoll miteinander umgehen, sagt sie: "Die Bitterfotze in mir verkrümelt sich in einem tiefen Loch, denn als ich sie so sitzen sehe, wird mir ganz warm ums Herz. Ich möchte so gerne an ihre Liebe glauben."

Es gibt aber auch wenigstens einen charakteristischen Unterschied zu den Siebzigern: Das Leiden wird von Maria Sveland keineswegs als (einzig) authentische Lebensform innerhalb einer bedrohlichen oder als feindselig erlebten Umgebung beschrieben. In "Erfahrungshunger", dem kanonischen Text über die Siebziger, interpretiert Michael Rutschky "Schrecken und Schmerz" als Inbegriffe der authentischen Erfahrungen der damaligen Zeit: Nur durch sie könnten sich die AutorInnen der Siebziger durch das schlechte Gesellschaftliche als reale Subjekte begreifen. Der einzige Weg, aus der Entfremdung und Unterdrückung herauszufinden, liegt für sie in einer Bewegung aus der Gesellschaft heraus. Im günstigsten Fall endete das in Subkulturen oder künstlerischer Fundamentalopposition. Bei Fritz Zorn und Bernward Vesper endete die Bewegung im Tod.

Maria Sveland lässt ihren Roman dagegen vorsichtig optimistisch enden. Der Rückgriff auf die Dramaturgie der Neuen Subjektivität bietet ihrer Erzählerin die Möglichkeit, eine Weile aus der Mühle ihres Lebens herauszutreten und über sich selbst einigermaßen klar zu werden. Sie sieht dann "eine Reihe von Möglichkeiten, neu anzufangen". Das ist mehr, als viele AutorInnen der Siebziger ihren Figuren oder sich selbst zugestanden haben.

Maria Sveland: "Bitterfotze". Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2009, 262 Seiten, 8,95 €

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!