: Bitterer Tee, Süsser Tee
■ Ländlich integrierter Tourismus in Senegal: Ruhe, viel Zeit und Afrika zum Anfassen
Wolfgang Meckel BITTERER TEE, SÜSSER TEE...
Ländlich integrierter Tourismus im Senegal: Ruhe, viel Zeit und Afrika zum Anfassen
Begonnen hatte alles mit zusammengesammelten Informationen über das, was sich im Senegal ländlich integrierter Tourismus nennt. Dieses Projekt startete zu Beginn der siebziger Jahre durch eine Initiative des französischen Ethnologen und Ökonomen Christian Saglio, dem vorschwebte, ländliche Dorfentwicklung und Tourismus „vor Ort“ im Sinne eines Kennenlernens von Land, Leuten und Kultur, besseren Kontakten und besserem Verständnis miteinander zu verbinden. In Adama Goudiaby, dem Leiter des Handwerkerzentrums von Ziguinchor, fand er einen starken einheimischen Partner. Mit Unterstützung staatlicher Stellen und Senghor selbst wurde ein erster Start in einigen Dörfern in der Casamance, dem südlichen, von Diolas bevölkerten Teil des Senegal ermöglicht. Basiskonzept war: ein von Europäern noch akzeptables Minimum an Komfort, einheimische Bauweise und Einrichtung der Hütten, afrikanisches Essen, Verzicht auf fließendes Wasser, Elektrizität, importierte Nahrungsmittel usw. Also Vermeiden all dessen, was zur Ghettobildung führen könnte und sowieso für ein Dorf unbezahlbar wäre.
Herrschte auch von offizieller Seite eher Skepsis, so gewann doch im Laufe einiger Jahre dieses Projekt immer neue AnhängerInnen (die Rolle der Frauen war, schenkt man den Berichten Glauben, eine weitaus aktivere als die der Männer), so daß neben einem Dutzend Dörfer in der Casamance selbst seit 1984 auch Palmarin an der Petite Cote, etwa 120 Kilometer südlich von Dakar gelegen und von der Casamance durch den Ministaat Gambia getrennt, ein campement aufgebaut wurde.
Die Einnahmen aus diesem Projekt dienen zweierlei: zum einen gibt es einige Arbeitsplätze für Jugendliche aus den Dörfern selbst - ein, wenn auch bescheidener Beitrag zur Bekämpfung der extremen Landflucht. Zum anderen entscheidet der Dorfrat über die Verwendung der Überschüsse zur Finanzierung dörflicher Projekte. In Palmarin sind dies bisher die Schule, eine Krankenstation und ein Fischernetz für die Nahrungsmittelversorgung des Dorfes. Andere Dörfer haben andere Schwerpunkte gesetzt, etwa im Handwerks- oder Landwirtschaftsbereich.
Probleme ergeben sich vor allem durch das unvermittelte Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen und Erwartungen: Waren die - spärlichen - Besucher im Schnitt nur jeweils eineinhalb Tage anwesend, um dieses Angebot vor allem als preiswerte Sightseeing-Möglichkeit zu nutzen, so sind die Dorfbewohner naturgemäß an längerem Verweilen und Kontinuität interessiert, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern im Sinn der Zielsetzung des ländlich integrierten Tourismus selbst: Zeit und Muße mitbringen, um Afrika ohne Programmhetze erleben zu können.
Wir wußten um dieses Problem und hatten uns also entschieden, keine Rundreisen mit kurzen Etappen alle zwei oder drei Tage, sondern einen längeren Aufenthalt an einem Ort zu machen: in Palmarin. * * *
Afrika zum Anfassen. Du kommst an und wirst Freund mit Leuten aus dem Dorf. Unsere Kinder Hand in Hand mit den Dorfkindern, erste Sprachübungen in Französisch.Ca va? Ca va bien! Gorgui, der Leiter des campements, bereitet, wenn er nicht mit uns unterwegs ist, an den langen, hellen Nachmittagen den bittersüßen afrikanischen Tee. Zeremoniell und Genuß. Es kommt Besuch vom Dorf, man trinkt den Tee, blickt durch die Palmen in die grünblaue Ferne des Atlantiks und redet. Vraiment, c'est ?a! Wirklich, genau so ist es, was ich dir jetzt erzähle, hör zu und begreife! Mit diesen Worten fangen die Erläuterungen aller Senegalesen an. Diese wiederkehrende Bekräftigung, Beschwörung der eigenen Realität, ausgebreitet vor dem Fremden, nur im afrikanischen Kontext möglich, umfaßt die ganze Situation, jene vom campement, von Palmarin, von Dakar, von Afrika. Schließt meistens mit der Bemerkung: Wirklich, so kann das hier nicht weitergehen..., und gemeint ist jene afrikanische Perspektivlosigkeit, über die du, einige Zeit im Land, ständig stolperst.
Les blancs, die Weißen, die Europäer. Am Wochenende kommen einige von ihnen, Entwicklungshelfer, Experten, Facharbeiter, französisches Militär. Geheimtip Palmarin. Das campement ist höchstens halbvoll, der Strand bleibt leer. Aber in der Rundhütte, bei der gemeinsamen Mahlzeit, kriegst du genau jene Einblicke, die dir das Elend der Entwicklungshilfe, um das du schon immer wußtest, aufs eindrucksvollste bestätigen.
Gorgui stöhnt: Jetzt fängt die Meckerei über das Essen wieder an... Wir jedoch haben niemals besser gegessen: Fleisch, Couscous, Gebackenes, Hirse, Eier und jene herrlichen Erdnuß- oder Pfeffersoßen auf offenem Holzfeuer zubereitet.
Das Dorf ist halb christlich, halb islamisch und, wie so vieles Afrikanische, damit ein Lehrstück für Toleranz. Einziger großer Unterschied: die Polygamie. Der Schuldirektor hat 16 Kinder, der Pirogenbesitzer 20. Kinder, wohin man sieht. Wir mit unseren vier Kindern - nach hiesigem Verständnis schon fast asozial - in Afrika eine Kleinfamilie. Gorgui, selbst Moslem, lehnt die Polygamie ab. Sie schaffe zu viele Probleme. Zwei Kinder sind seiner Meinung nach genug. Dies Urteil hören wir immer wieder, auch in Dakar. Die Frage der Polygamie scheint so etwas wie die Scheidelinie der afrikanischen Gesellschaft zu sein.
Vor zehn Jahren hatte der Senegal fünf Millionen Einwohner, heute etwa sieben. In Dakar sagen sie uns: Es geht uns schlechter als vor der Unabhängigkeit. Die Regierung betrügt uns, die Gelder der Entwicklungshilfe landen auf Auslandskonten. Viele zeichnen ein düsteres Bild: Die Regierung halte sich nur durch Wahlmanipulation, Schulen und Universitäten streiken, nächtliche Ausgangssperre, Militär. Die einstige Muster- und Vorzeigedemokratie Schwarzafrikas drohe in Repression und Diktatur zu versinken. Die Jugend sei desillusioniert und verbittert. Nur die aktive Unterstützung Frankreichs und der anderen Westmächte halte dieses Regime noch...
Im nahegelegenen Fischerstädtchen auf dem Markt all das, was beispielsweise das Rote Kreuz an Katastrophenhilfe sammelt: T-Shirts, Hosen, Hemden, Mäntel, Mützen. Abgelegte europäische Klamotten. Man sagt uns: Diese Dinge werden von der Regierung weiter verhökert, containerweise.
Unser regelmäßiger Tagesablauf: morgens, mittags und abends baden. Wunderbare Wellen, ohne gefährliche Querströmungen. Das Meer für drei Wochen unsere große Badewanne. Welcher Komfort, auch ohne Wasser- und Elektroanschluß. Wir trinken Mineralwasser aus Flaschen, machen jedesmal einen Strich auf die Liste, am Ende wird abgerechnet.
Palmarin: Strohhütten, Sandstrände, Palmen, Ruhe und viel Zeit - für Leute, die Zeit haben wollen. Vraiment... Unbezahlbar an dieser durchaus erschwinglichen Reise ist die Nähe zum dortigen Leben. Afrika zum Anfassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen