piwik no script img

Bitte um Vergebung vom Geist der Ermordeten

■ Shyirambere Barahinyura deckt in seinem Buch einen Putsch von 1973 auf, der heute seine Fortsetzung zu finden scheint / Stammesrivalitäten zwischen Tutsi und Hutu bestimmen das politische Leben / Für den ruandischen Präsidenten Habyarimana sieht es schlecht aus: Der Clan seiner Frau hält in quasi als Geisel

Durch eine Reihe mysteriöser Unfälle wird in Ruanda die Opposition ausgeschaltet. Im vergangenen November verunglückt der als Menschenrechtler bekannte katholische Pater Silvio Sindambiwe tödlich bei einem Autounfall. Zwei Wochen vor seinem Tod gab er einer belgischen Journalistin ein Interview über die derzeitige politische Lage in dem zentralafrikanischen Staat. Kurz zuvor kam bei einem Unfall die Parlamentsabgeordnete Felicula Nyiramutarambirwa um, die früher bei der Monatszeitschrift 'Dialogue‘ gearbeitet hatte. Als ein Wagen sie auf ihrem Heimweg gefährlich verfolgte, fuhr sie rechts ran und wurde überrollt.

In der „Schweiz Ostafrikas“, dem mit 350 Bewohnern pro Quadratkilometern am dichtesten besiedelten Land Afrikas, herrscht dicke Luft. Das Land befindet sich in einem desolaten wirtschaftlichen und politischen Zustand. Seit Jahrzehnten kam es jetzt zu den ersten Hungertoten, für Lebensmittelimporte ist kein Geld mehr da, und eine Palastrevolution steht vor der Tür. Zwei Clans aus dem Norden des Landes, so groß wie Hessen, aber mit sieben Millionen Einwohnern, bekämpfen sich. Beide gehören zu den Hutu, die noch unter belgischer Herrschaft die Feudalklasse der Tutsi vertrieben. Auf der einen Seite steht der mächtige Clan der Frau des Präsidenten, Agatha Kanzinga, und ihr Cousin Elie Sagatwa, Chef des Geheimdienstes. Auf der anderen Seite der Clan des Außenministers Casimir Bizimungu aus Ruhengeri. Einig sind sich beide Clans jedoch darin, die Nummer zwei des Landes loswerden zu wollen, Colonel Alois Nsekalije, der aus dem Clan des Präsidenten Habyarimana in Gysenji kommt. Der Präsident selbst hat schlechte Karten, weil erstens sein engster Vertrauter während einer Militärparade ermordet wurde und er zweitens quasi als Geisel vom Clan seiner Frau gehalten wird. In der Öffentlichkeit, wo er sich früher wohlfühlte, ist er kaum mehr zu sehen. Offen wird in der Hauptstadt Kigali über einen bevorstehenden Putsch gesprochen. Das war zuletzt 1973 so, bevor sich der heutige Präsident Habyarimana an die Macht putschte. Unblutig, wie die Legende sagt. „Wir sind das Volk“, ruft in Ruanda keiner. Das hätte sich Shyirambere J. Barahinyura gewünscht, als er sein Buch über die „Schreckensherrschaft eines scheinheiligen Despoten“, nämlich Präsidenten Habyarimana, veröffentlichte, zunächst auf französisch, jetzt liegt es auch in deutsch vor. Das Buch, das erste oppositionelle überhaupt, wurde in vielen Exemplaren nach Ruanda geschmuggelt, aber welche Wirkungen es zeigt, läßt sich kaum abschätzen.

Unblutig verlief die unmittelbare Machtübernahme, räumt Autor Barahinyura ein, aber anschließend wurde der frühere Präsident und seine gesamte Führungstruppe umgebracht. Das ist neu. Dann ließ der neue Präsident, Habyarimana, die Mörder verschwinden. Das ist üblich. Aber niemand will es wahrhaben. Ruanda, der stabile Hort des Westens in Ostafrika, wird massiv von Belgien, den USA und der Bundesrepublik gestützt. Die Einheitspartei Ruandas, MRND, unterhält enge, „vertrauensvolle“ Beziehungen zur Konrad -Adenauer-Stiftung. Ihr Generalsekretär verdient soviel wie eine Krankenschwester bei uns, beeindruckend für die Geber von Entwicklungshilfe. Sein Geld allerdings verdient er mit rund zehn Häusern in der Hauptstadt Kigali. In einem davon residiert die Konrad-Adenauer-Stiftung.

Damals, 1973, mußte der demokratische Präsident Kayibanda verschwinden. Nachdem die Chinesen die Tansam-Eisenbahn entgegen allen Voraussagen erfolgreich gebaut hatten, forderten sie von Tansania, einen Militärstützpunkt auf der Insel Pemba errichten zu können. Dazu kam es nie. Aber die Amerikaner wollten im Gegenzug einen Stützpunkt in Ruanda aufbauen. Kayibanda weigerte sich. Als innenpolitisches Problem kamen gewalttätige Unruhen zwischen den Stämmen Tutsi und Hutu hinzu. Im südlichen Nachbarland Burundi hatten die dort noch herrschenden Tutsi Hunderttausende von Hutu abgeschlachtet. Daraufhin gab es in Ruanda Racheaktionen an der Tutsi-Minderheit. Von Belgien aus wurde der Putsch gegen Kayibanda organisiert. Der kam ins Gefängnis und wurde, so Autor Barahinyura, von Colonel Elie Sgatwa umgebracht. Demjenigen Sagatwa, der derzeitig wieder in die Putschvorbereitungen verwickelt ist.

Die Quellen Barahinyuras stammen aus erster Hand. Denn seine Frau Immacule Mukamugema, mit der er in Frankfurt lebt, mußte jahrelang gezwungenermaßen für den Geheimdienstler Sagatwa arbeiten und hatte somit direkte Verbindungen zum Zentrum der Macht. Frau Mukamugema floh nach Tansania und wurde von dort aus vom Hohen Kommissar für Flüchtlingsfragen in dem Moment ausgeflogen, als sie angeklagt wurde, in einen angeblichen Staatsstreich verwickelt gewesen zu sein. Der Staatstreich, so der Vorwurf, sollte dazu dienen, die Garde von Präsident Habyarimana auszuschalten, zuvorderst den damaligen Chef des Geheimdienstes Theoneste Lizinde, der die Ermordung der früheren Regierungsmannschaft auf dem Gewissen hat.

Verworrene Geschichten, die dadurch spannend werden, daß Autor Barahinyura sie präzise belegt und sich nicht scheut, auch dem europäischen Leser den afrikanischen Anteil des Geschehens zuzumuten. Wie nämlich Präsident Habyarimana nach unerträglichen Alpträumen die Kinder des ermordeten Präsidenten bittet, gegenüber dessen Geist vermittelnd einzugreifen. Wie Neid, Habgier und Rivalitäten der Clans neben europäischen Erscheinungsformen der Macht stehen, dem Parlament, den europäischen Beratern und Experten.

Die ruandische Regierung versuchte mit allen Mitteln, die Herausgabe des Buches zu verhindern: durch ihren Geheimdienst, der den Autor Barahinyura vergeblich suchte, sowie über die Botschaft, welche die Finanzierung des Buches verhindern wollte. Barahinyura lebt mit einem hohen Risiko, doch er will etwas bewegen. On verra, wie es es in der einstigen belgischen Kolonie heißt, man wird sehen. Der Name Barahinyura bedeutet „der Unterschätzte“. Eigentlich bezog sich das auf seine Geburt, die sich über drei Tage hinzog. Aber der Vorname des Autoren verheißt auch eine künftige Bedeutung: Shyirambere heißt „vorwärts führen“.

Wieland Giebel

Shyirambere J. Barahinyura: Generalmajor Habyarimana. Editions Izuba, PF 500713, 6000 Frankfurt 50, 42,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen