piwik no script img

Bitte mehr Brahms!

■ Mit einer szenischen Lesung »Anne und Hanna« wurden die 5. Jüdischen Kulturtage am Sonntag im Sendesaal des SFB eröffnet

Er hätte weiterspielen müssen, einfach weiterspielen, der »junge israelische Starpianist« Alon Goldstein, den die Veranstalter der 5. Jüdischen Kulturtage zwecks Brahms-Etüden eingeflogen hatten. Nach dem üblichen Eröffnungszeremoniell durch den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, und den Lobpreisungen auf die »Superstars« der Kulturtage wurde der 20jährige dem vorauseilenden Lobgesang gerecht: Sein Brahms hätte anhalten sollen, denn »da, wo die Worte aufhören, setzt die Musik vielleicht ein«, wie die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna Renate Laurien, der versammelten Upper class in ihrem Grußwort so treffend zu erklären geruhte.

Was im Musiksaal des SFB dann folgte, konnte man nur mit gemischten Gefühlen entgegennehmen. Die musikalische Lesung für Orchester, Solisten und Schauspieler Anne und Hanna wurde eigens für die Jüdischen Kulturtage inszeniert. Den Stoff für die Impressionen aus dem geschlossenen Raum lieferten das Tagebuch der im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordeten Anne Frank sowie Briefe eines israelischen Mädchens während des Golfkrieges. Natürlich seien die jeweiligen Empfindungen »nicht miteinander zu vergleichen«, aber sie zeigten doch, so Galinski, welche Kontinuität die Bedrohung für das jüdische Volk bis heute habe. Um dies plausibel zu machen, stellte man den Auszügen aus dem Tagebuch — gesprochen von Iris Berben — die Briefe der 13jährigen Hanna an Anne Frank — gesprochen von Ingeborg Schöner — thematisch gegenüber. Mit zum Teil fatalem Ergebnis: Die als authentisch ausgegebenen Briefe der 13jährigen konnten sprachlich wie inhaltlich nur schlecht darüber hinwegtäuschen, daß hier Erwachsene versucht hatten, in die Gedankenwelt eines Kindes zu dringen. Unglaubwürdig auch der Versuch, die naive Mädchenstimme zu imitieren.

Unfreiwillig zynisch wirkte dies besonders gegen Ende, als besonders dichte Passagen aus Anne Franks Tagebuch über ihre Sehnsucht nach zweijährigem Eingesperrtsein, wieder den Frühling und Menschen zu erleben, mit dem Eingeständnis Hannas, verliebt zu sein, übertrumpft werden. Als gänzlich vermessene Komposition stellt sich die Schlußpassage dar: Anne in Amsterdam will nur noch ein Ende, auch wenn es den Tod bedeutet, und Hanna aus Tel Aviv erlebt das Ende des Golfkrieges: Sie malt von Saddam eine Karikatur, lacht über ihn und wirft ihn in den Mülleimer.

Die Musik des israelischen Komponisten und Dirigenten Rony Weiss hingegen und die Einlagen der Viola- Solistin, Riwka Golani, fielen als exquisit-eigenständige Beiträge eher aus dem Konzept. Mit den Texten hatte Weiss Musik, die von Swing- Anspielungen bis zum Marsch reichte, nur so viel zu tun, daß sie eine gewisse Dramatik unterstützte. Sie hätte ohne weiteres für sich stehen können.— Offiziell zeigte man am Ende des Stückes Betroffenheit. Nana Brink

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen