Bitcoins in Island: Goldrausch 4.0
Island ist ein Hotspot der Bitcoin-Herstellung, denn hier ist der Strom günstig. Auch deutsche Unternehmen mischen mit, geben aber wenig preis.
Der Münchner ist Head of Operations von Genesis Mining. „Ich regle den Betrieb des Datencenters“, sagt Salter. Das Unternehmen ist einer der größten Bitcoin-Miner weltweit, nach eigenen Angaben hat es knapp zwei Millionen Kunden. Genesis Mining ist in Hongkong gelistet und bietet Rechenkapazitäten an, um Kryptoanlagen wie Bitcoin zu „schürfen“: Um die digitale Währung herzustellen, muss ein Computer ein Rechenrätsel lösen. Sobald er das geschafft hat, wird er mit einem Bitcoin belohnt. Im Fachjargon spricht man vom Schürfen oder „Mining“.
Die erste Farm gründete Genesis Mining 2014 in Bosnien, seit Anfang 2017 sind sie auf Island in Betrieb. Das Equipment damals sei „noch unerhört schlecht“ gewesen, „heute entspricht es dem Standard“, sagt Salter, der seit 2014 bei Genesis Mining arbeitet. „Ein Jahr im Kryptobusiness ist wie zehn Jahre in der normalen Welt“, sagt der große, blonde Mann. Wie viele Standorte Genesis Mining hat, will er wegen der Konkurrenz nicht verraten. Nur so viel: Genesis Mining ist nicht auf allen Kontinenten vertreten.
Im Datencenter nahe der isländischen Hauptstadt Reykjavík arbeiten vier Isländer. Zum Mitarbeiterstamm würden weltweit 200 Leute zählen – überwiegend junge Leute, überwiegend männlich. Es sind Nerds wie Salter, der im Gespräch immer wieder Fachbegriffe wie Peer-to-Peer-Technologie oder Blockchain fallen lässt. Wer die Farm auf Island besichtigen will, wird von Salter am Flughafen Keflavík abgeholt. Man habe Besuchern auch schon die Augen verbunden, sagt Salter, um den Standort geheim zu halten.
Zäune, Kameras und Wachpersonal
Am Ziel angekommen, gibt es keinen Hinweis auf das Unternehmen, lediglich Zäune, Kameras und Wachpersonal. Von außen sind die zwei Hallen grau und unscheinbar. Drinnen herrscht ohrenbetäubender Lärm, türmen sich meterhohe Regale mit geschätzt 40.000 Grafikkarten. Deren Rechenleistung ist vergleichbar mit der der größten Computer der Welt. Überall blinken Lichter – es fühlt sich an wie in einem Science-Fiction-Film. Auch was Genesis Mining hier untertags an Umsatz generiert, will Salter nicht sagen – die Konkurrenz soll nicht darauf schließen können, wie groß die Farm ist.
Was paranoid klingen mag, hat handfeste Gründe. In der Welt der Kryptowährungen gibt es viel begehrtes Diebesgut: Allein seit der Markteinführung der dezentralen Währung 2009 sollen Hacker ein Drittel aller Börsen schon einmal erfolgreich angegriffen haben, wie Forscher der University of Tulsa 2016 herausgefunden haben. Und auch Island wird von einer heftigen Diebstahlserie heimgesucht.
Dabei werden aber nicht die virtuellen Assets selbst, sondern die Rechner gestohlen, mit denen Erstere sich schürfen lassen. In den vergangenen Monaten wurde aus unterschiedlichen Rechenzentren Mining-Hardware im Wert von mehreren Millionen Euro gestohlen. Die Beute wurde bisher nicht gefunden, die Polizei hofft, der gestohlenen Hardware durch die Verfolgung des Energieverbrauchs auf die Spur zu kommen. Denn um die begehrten Kryptowährungen herzustellen, ist sehr viel Energie nötig.
Bitcoin-Farmen gibt es weltweit, „minen“ lässt sich eigentlich überall. Dabei führen Computer Berechnungen aus, um weitere Einheiten der Kryptoanlage digital zu „schürfen“. Die Rechner laufen dafür rund um die Uhr und verbrauchen sehr viel Energie. Unter anderem deswegen boomt die Technologie auf der nordeuropäischen Insel ganz besonders: „Deutschland kann man wegen der zu hohen Strompreise komplett vergessen“, sagt Salter. In Island sind die Stromkosten vergleichsweise gering: Laut Eurostat kostet eine Kilowattstunde für Unternehmen 8 Cent. Das ist wesentlich günstiger als in Deutschland, wo der Preis bei 15,2 Cent liegt.
Philip Salter, Bitcoin-Miner
Der Grund: Der kleine Inselstaat gewinnt seinen gesamten Strom aus erneuerbaren Energien, der Großteil wird durch Wasserkraft und aus Erdwärme erzeugt. Außerdem ist es durch die niedrigen Temperaturen und stetigen Wind leichter, die Rechenzentren zu kühlen. Wie hoch die Stromkosten für Genesis Mining sind, will Salter nicht verraten. Die Preise sind Verhandlungssache mit dem Stromanbieter.
Doch die Entwicklung setzt das Land auch unter Druck: Die dort ansässigen Bitcoin-Produzenten werden in diesem Jahr mehr Energie verbrauchen als alle isländischen Privathaushalte zusammen. Der jährliche Stromverbrauch der rund 340.000 Einwohner liegt bei 700 Gigawattstunden, die Rechenzentren kommen bald auf 840 Gigawattstunden, sagt der Sprecher des isländischen Energieunternehmens Hitaveita Suðurnesja, Jóhann Snorri Sigurbergsson. Es gebe eine hohe Anzahl von Kundenanfragen, so Sigurbergsson: „Wenn all diese Projekte realisiert werden, haben wir nicht genug Energie.“ Eine Kritik, die Salter etwas anders sieht: Es gebe ja genug Strom auf der Insel. Wegen Bitcoin-Farmen würden nirgendwo die Lichter ausgehen.
Pro Tag können derzeit maximal 1.800 Bitcoins errechnet werden, so wurde es in der der Währung zugrunde liegenden Software festgelegt. Je mehr Menschen sich für Bitcoin interessieren, desto knapper wird also die Währung. Je mehr Computer mitrechnen, desto kleiner ist die Chance jedes einzelnen Rechners, Bitcoins zu gewinnen. Wer heute noch große Mengen schürfen will, braucht somit riesige Rechnerparks. Ein immer härter werdender Wettkampf, denn es gibt ein Limit von 20 Millionen Bitcoins weltweit – eine Zahl, die ebenfalls im Basiscode festgelegt wurde.
Dennoch schürfen die Unternehmen fleißig weiter, der beispiellose Anstieg des Bitcoin-Börsenkurses 2017 faszinierte Anleger weltweit: Innerhalb von zwölf Monaten verfünfzehnfachte sich die Notierung – ungeachtet der Warnungen zahlreicher Experten. Nur kurze Zeit später folgte schon der Abwärtstrend beim Bitcoin-Kurs. Im März wurde die Marke von 8.000 US-Dollar unterschritten. Am Montag gab die südkoreanische Krypto-Börse Coinrail einen erneuten Hackerangriff bekannt, bei dem rund 30 Prozent der gehandelten digitalen Münzen gestohlen wurden. Der Kurs der Bitcoin verlor 13 Prozent und fiel damit deutlich auf ein Zwei-Monats-Tief von 6.650 Dollar. Ein historisch schlechtes Quartal für die junge Digitalwährung – im Januar hatte der Kurs noch bei 17.000 US-Dollar gelegen.
Notenbanker sehen Bitcoins skeptisch
Gründe dafür gibt es einige: Eine starke Überbewertung, zunehmende Spekulationen. Wegen der zunehmenden Anzahl von Betrügern im Internet verboten Google, Twitter und Facebook jüngst sogar Werbung für Kryptowährungen. „Das ist großartig“, kommentiert Salter diesen Schritt. In der Szene ist es nämlich nicht ungewöhnlich, dass sich jemand zu Hause eine Webseite bastelt, Geld von Investoren einsackt – und verschwindet. Auch deshalb begegnen Notenbanker Bitcoin mit Skepsis.
Der Chef der französischen Notenbank Banque de France, François Villeroy de Galhau, sieht Kryptowährungen als „spekulatives Geldanlageobjekt, dessen Wert extrem schwankt und das keine ökonomische Basis hat“. In den USA warnte der Vizechef der US-Notenbank Fed, Randal Quarles, vor den Gefahren von digitalem Geld; es sei völlig unklar, wie private Kryptowährungen ohne den Rückhalt einer Notenbank in Krisenzeiten funktionieren würden. Auch die EZB warnte vor Kryptowährungen.
„Das machen Banken gerne“, sagt Salter mit einem Lachen. „Dann geht nämlich der Preis von Bitcoin hinunter.“ Die Banken würden dann selbst Kryptowährungen kaufen – „das ist Marktmanipulation“, behauptet Salter. „Bitcoin ist die Lösung für dieses Problem. Was wäre denn, wenn Bitcoin vor der EZB warnen würde?“
Banken, so findet er, seien wichtig, sie würden viel Sinnvolles vorantreiben, hätten „extrem viel Geld und Macht. Doch jeder Mensch und jede Bank, die viel Macht bekommt, entwickelt früher oder später Probleme. Jeder Mensch ist korrumpierbar und fehlbar“, findet Salter. „Krypto“ habe dieses Problem nicht: Es gebe vordefinierte Regeln, bei Zuwiderhandeln werde der User von der Netzgemeinde ausgestoßen, argumentiert Salter. „Man muss Kryptowährungen nicht vertrauen, um sie zu benutzen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen