Bismarck und die Rechten: Der Posterboy der AfD
In Deutschland soll es rund 700 Bismarck-Denkmäler geben. Vor allem die Rechten verehren den „Eisernen Kanzler“. Wie ist damit umzugehen?
Dass Bauprojekte teurer werden und länger dauern können als erwartet, weiß man in Hamburg spätestens seit dem Bau der Elbphilharmonie. Jetzt macht ein weiteres Wahrzeichen der Stadt Probleme. Das Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark – immerhin das größte seiner Art weltweit – sollte eigentlich schon seit März saniert werden, weil sich im Sockel der knapp 15 Meter hohen Statue Risse gebildet haben. Doch die Arbeiten verzögern sich bis ins nächste Jahr. Die Kosten für die Sanierung steigen deshalb auf rund 9 Millionen Euro – eine große Summe für ein großes Denkmal.
Als eines von vielen Monumenten zeigt es, welche Dimension der Kult um den ersten deutschen Reichskanzler nach seinem Tod im Jahr 1898 angenommen hatte. Noch heute gibt es in Deutschland keine Person, der mehr Denkmäler gewidmet sind als dem alten Preußen mit dem Schnauzbart. Rund 700 sollen es Schätzungen zufolge sein.
Einen großen Teil davon machen die über 140 erhaltenen Bismarcktürme und -säulen aus, die in der gesamten Republik verteilt sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Denkmälern wurden die Türme meist nicht vom Staat, sondern von der Zivilgesellschaft finanziert.
„Denkmäler sollen Träume der Gegenwart in der Vergangenheit erfüllen“, sagt der Historiker Michael Jeismann. Als Wissenschaftler hat er sich mit Erinnerungskultur und Nationalismus beschäftigt. Die Bismarck-Denkmäler würden den damaligen Wunsch der Deutschen nach einer nationalen Einheit widerspiegeln sowie die Sehnsucht „nach einem starken Mann, nach einem Führer gewissermaßen“, so Jeismann.
Bismarck in Umfragen vor Albert Einstein
Als „Reichseiniger“ und „Eiserner Kanzler“ wurde Bismarck zum Helden nationalistischer Machtfantasien. Vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis ins Dritte Reich haben Rechte den Mythos Otto von Bismarck für ihre Zwecke instrumentalisiert. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels präsentierte Hitler nach der Machtergreifung als Bismarck des 20. Jahrhunderts, der das alte mit dem neuen Deutschland vereine.
Die Marke
Bei einem seiner morgendlichen Spaziergänge rund um seinen Alterssitz Friedrichsruh soll Bismarck 1891 eine Quelle entdeckt haben. Noch heute gibt es das Fürst-Bismarck-Mineralwasser in Flaschen zu kaufen. Laut Stiftung Warentest ist es „geschmacklich einwandfrei“ und ohne Verunreinigungen. Als die Firma 2017 übernommen wurde, bestand das Markenlogo aus einem stilisierten Bismarck in Generalsuniform und dem Schriftzug „Bismarck“. Dann wurde das Logo überarbeitet. Jetzt steht „Fürst Bismarck“ auf den Wasserflaschen und der Namensgeber wurde „weniger militärisch gestaltet, um ihn somit nahbarer zu machen“, wie das Unternehmen auf seiner Website erklärt.
Der Partymacher
Als ehemalige Bunkeranlage hat der Sockel des Hamburger Bismarck-Denkmals naturgemäß dicke Wände. Deshalb gab es 2014 den Vorschlag, im Sockel eine Disko einzurichten. Aus dem Traum vom Bismarck-Berghain wurde aber nichts.
Der Hutbürger
„Sie haben mich ins Gesicht gefilmt, das dürfen Sie nicht.“ Ohne Bismarck hätte sich der Pegida-Anhänger mit dem schwarz-rot-goldenen Hut vielleicht nicht auf sein Recht am eigenen Bild berufen können. Angeblich wurde es als Reaktion auf zwei Paparazzi eingeführt, die den toten Bismarck unerlaubt auf seinem Sterbebett fotografiert hatten. Seit 1907 ist der Schutz der Persönlichkeit im Kunsturhebergesetz verankert. Darüber diskutiert wurde aber schon vor Bismarcks Tod.
Die Granaten
In Kriegszeiten kann die Liebe zum Denkmal schon mal verloren gehen. Als 1918 das Metall für die Rüstungsproduktion knapp wurde, setzte sich ein Autor der Frankfurter Zeitung dafür ein, die Frankfurter Bismarck-Statue einzuschmelzen. Sie sei ohnehin „ein mißlungenes Denkmal“ und man solle daraus „die Granaten drehen, die das Vaterland nötig hat“. Während die Reiterstatue den Ersten Weltkrieg noch überlebte, wurde sie im Zweiten dann tatsächlich eingeschmolzen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Umgang mit Bismarck und seinen Denkmälern gewandelt. Das Denkmal in Hamburg wurde regelrecht versteckt. Neu gepflanzte Bäume sollten die Sicht auf den steinernen Riesen verdecken. 2003 hat man sie wieder gestutzt. Für den Hamburger Kunsthistoriker Jörg Schilling hatte das „mit der erneuten Wertschätzung und der kulturhistorischen Bedeutung dieses Denkmals zu tun“. Im selben Jahr führte das ZDF eine breit angelegte Bevölkerungsumfrage durch, um die „100 größten Deutschen“ zu küren. Bismarck landete auf Platz 9 – vor Albert Einstein und hinter Johannes Gutenberg.
Zu seinem 120. Todestag im vergangenen Jahr kletterten die Rechtsextremen der Identitären Bewegung auf den Sockel des Hamburger Denkmals und entrollten ihre Banner. Die NPD gratulierte auf Facebook zum 203. Geburtstag, „denn Bismarck wäre heute einer von uns“. Doch vor allem die AfD macht Bismarck zu ihrem Posterboy. Die Partei druckt den Reichskanzler auf Tassen, T-Shirts und Transparente.
Zur Bundestagswahl warb die AfD in Jena mit einem großen Bismarck-Plakat. Das Porträt zeigt Bismarck von der Seite, Blickrichtung rechts. „Ein Gedanke, der richtig ist, kann auf die Dauer nicht niedergelogen werden“, wird er zitiert. Beim Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke hängt Bismarck sogar im Büro.
Auch der Berliner AfD-Abgeordnete und Höcke-Freund Thorsten Weiß posiert auf seiner Website vor einem Bismarck-Gemälde. Der Bundestagsabgeordnete Enrico Komning aus Mecklenburg-Vorpommern hat gleich fünf Bismarck-Bilder und eine Büste für seinen Schreibtisch. Innerhalb der Jungen Alternative gibt es eine Gruppe, die sich „Bismarck-Bund“ nennt. Nach der Landtagswahl in Brandenburg feierte die AfD auf der Bismarckhöhe.
Eigentlich sei bei den ideologisch geschulten Neuen Rechten „das Preußentum und damit die Person Bismarck in den letzten Jahren eher in den Hintergrund getreten“, sagt Volker Weiß, der mehrere Bücher über die Neue Rechte geschrieben und herausgegeben hat. Im Wahlkampf würden die Rechten jedoch alles nutzen, „was irgendwelche positiven nationalen Gefühle weckt“. In den ehemaligen preußischen Gebieten funktioniere das vermutlich noch eher, so Weiß: „Letztlich hat auch die DDR dem Preußentum gehuldigt.“
Reichseiniger
Mit drei Einigungskriegen trieb Otto von Bismarck die Gründung des Deutschen Reichs voran, das 1871 im Deutsch-Französischen Krieg ausgerufen wurde. Davor gab es im Reichsgebiet eine ganze Reihe von souveränen Kleinstaaten, Königreichen, Fürstentümern und freien Städten.
Außenpolitik
Bismarck galt als ausgefuchster Diplomat. Seine Außenpolitik basierte nach der Reichsgründung auf einem Geflecht an strategischen Bündnissen. So wollte er verhindern, dass das Deutsche Reich angegriffen wird.
Kolonialismus
Entgegen dem damaligen Zeitgeist hatte Bismarck zunächst kein Interesse an deutschen Kolonien. Dennoch baute er das Deutsche Reich zur Kolonialmacht auf. In der Kolonie Deutsch-Südwestafrika töteten deutsche Besatzer beim Völkermord an den Herero und Nama über 70.000 Menschen. Zu dem Zeitpunkt war Bismarck allerdings schon tot.
Sozialistengesetze
Mit seinen Sozialistengesetzen verbot Bismarck ab 1878 sozialdemokratische Parteien, Gewerkschaften und Vereine und erklärte sie zu „Reichsfeinden“.
Sozialgesetze
Während Bismarcks Kanzlerschaft wurden zum ersten Mal soziale Sicherungssysteme wie Krankenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung eingeführt – wenn auch nicht ganz freiwillig. Bismarck gab dem Druck der Arbeitenden nach, weil er um den innerstaatlichen Frieden fürchtete.
Die Geschichtswahrnehmung sei „ein Hebel, um Parteiinteressen durchzusetzen und zu legitimieren“, sagt Historiker Michael Jeismann. Besonders in der Außenpolitik beruft sich die AfD immer wieder direkt und indirekt auf den Diplomaten Otto von Bismarck. So begründet die Partei zum Beispiel ihre Nähe zum Kreml gerne damit, dass Bismarck ebenfalls mit Russland zusammengearbeitet hatte. In bismarckscher Tradition fordert sie außerdem, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten nicht mehr von gemeinsamen Werten, sondern von gemeinsamen Interessen abhängig zu machen.
Musterbeispiel für AfD-„Dienstethos“
Bismarcks Außenpolitik heute noch als Vorbild heranzuziehen hält Jeismann für falsch: „Das ganze Koordinatensystem des Politischen und Symbolischen im 19. Jahrhundert war ein völlig anderes. Da ging es um Kategorien wie Größe, Macht, Ruhm, Beherrschen – all diese Kategorien sind heute wirklich obsolet geworden.“ Der Rückbezug auf Bismarck geht aber über die Außenpolitik hinaus. Vielmehr scheint er mit einem bestimmten Ideal von Politik und Gesellschaft verknüpft zu sein. Die AfD glorifiziert nicht nur Bismarck, sondern das Deutsche Reich insgesamt. Am deutlichsten macht das Björn Höcke.
„Was war das für eine Zeit ab 1871“, schwärmte er vor drei Jahren beim Treffen seines AfD-Flügels. Es könne doch gar kein Zweifel bestehen, „dass diese Zeit von 1871 bis 1914 eine Hochzeit unseres Volkes gewesen ist“. Höcke will an diese Epoche anknüpfen. In seiner berüchtigten Dresdner Rede („Denkmal der Schande“) sagte er der Parteijugend, er wolle sie „als neue Preußen“ mit „preußischen Tugenden“. Dazu gehört laut Höcke, dass man sich „im Dienst verzehrt“. Sein Musterbeispiel für diesen „Dienstethos“, wie er es nennt, ist: Otto von Bismarck.
Ohnehin ist Höcke wahrscheinlich der größte Bismarck-Fan innerhalb der AfD. Genau wie Bismarck ist er am 1. April geboren und nutzt das Datum seit mehreren Jahren, um bei Facebook Lobreden auf den Preußen zu halten. Auch sonst spielt Bismarck in seinen Reden immer wieder eine Rolle. Beim diesjährigen Flügel-Treffen hat Höcke zum ersten Mal eine Bismarck-Medaille verliehen. Dabei bezeichnete er Bismarck als „einen der größten deutschen Staatsmänner“, und es sieht so aus, als wolle er ihm nacheifern.
Denkmäler mit Hinweisen historisieren
Höcke hat bereits jetzt einen Personenkult um sich selbst aufgebaut, der inzwischen sogar Teile seiner eigenen Partei nervt. Höckes Anhänger*innen scheinen in ihm den starken Mann zu sehen, der die Partei und das Land vereinen kann – eine Parallele zum Bismarck-Mythos. So wie Höcke Bismarck wegen seines „Dienstethos“ glorifiziert, inszeniert er sich selbst gerne als treuer Diener seines Landes. Der beurlaubte Geschichtslehrer instrumentalisiert die Vergangenheit.
„Es ist Teil der Geschichte, dass über sie gestritten wird“, sagt Michael Jeismann. Denkmäler können dazu führen, dass sich die Gesellschaft mit ihrer Historie auseinandersetzen muss. „Denkmäler werden zwar im Alltag wenig beachtet, enthalten aber Sprengstoff“, so Jeismann, denn sie würden markieren, was eine Gesellschaft als erinnerungswürdig erachte und was nicht. Mit dem drohenden Verfall der Statue in Hamburg war Bismarck plötzlich wieder Thema. Bei den Verantwortlichen der Stadt und in den Hamburger Medien wurde diskutiert, ob das Denkmal saniert werden soll oder nicht.
Als Historiker hält Michael Jeismann „wenig davon, Denkmäler zu stürzen, weil sie doch immer eine interessante Quelle sind über vergangene Anschauungen“. Man könne aber Denkmäler historisieren, indem man erklärende Hinweise anbringt. Genau das plant auch der Bezirk Mitte, in dem das Bismarck-Denkmal steht. Er will den Sockel der Statue für Kleingruppen zugänglich machen und Schautafeln aufstellen. Das Museum für Hamburgische Geschichte und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme würden gerade an einem pädagogischen Konzept arbeiten, heißt es aus dem Bezirksamt.
Die Nazis hatten den Sockel zum Luftschutzbunker ausgebaut, in dem Platz für 650 Menschen war. Hamburg hat sich entschieden, wie es mit dem steinernen Erbe umgehen will. Doch es gibt noch Hunderte Bismarck-Denkmäler, über die man streiten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste