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Bis dasLachen vergeht

Jugendliche inhalieren immer mehr Lachgas – das kann schwere gesundheitliche Folgen haben. Der Leiter des Giftnotrufs der Charité unterstützt ein geplantes Verbot der Abgabe an Minderjährige

Fast je­de:r fünfte Jugendliche hat schon einmal Lachgas probiert Foto: Ralf Rottmann/funke foto/imago

Von Heike Grosse

Lachgas ist unter Jugendlichen extrem beliebt – als Droge, die euphorisch und sorgenfrei macht. So weit nichts Neues. Neu ist, dass die gesundheitlichen Nebenwirkungen nach Lachgas-Konsum zunehmen. Kein Wunder: Inzwischen ist die kleinste Lachgas-Kartusche fast in jedem Späti für zwei Euro zu haben. Musste man früher eine Kapsel mühsam aufpopeln, um eine Ballon-Dröhnung zu bekommen, lassen sich heute mit den kleinsten Kartuschen bis zu 80 Ballons befüllen. Es ist ein billiges Vergnügen, einfach zu kriegen, die Eltern riechen es nicht und es wirkt harmlos.

Einige taz-Leser:innen denken an dieser Stelle vielleicht: „Wir haben damals auch gekifft und es hat uns nicht geschadet.“ Da ist auch was dran: Die meisten Menschen inhalieren Lachgas, ohne dass ihre Gesundheit leidet. Weil sie es selten inhalieren und dann nicht so viel, wie aus Erhebungen der europäischen Drogenagentur EUDA hervorgeht.

Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zwischen Lachgas heute und Cannabis damals: Cannabis brauchte damals verhältnismäßig lange, bis es anhaltende Schäden anrichten konnte. Bei Lachgas gibt es immer mehr Fälle, die schon nach einem halben Jahr regelmäßigen Konsums nicht mehr laufen können. Selten sterben Menschen beim Konsum auch durch Ersticken. Häufiger sterben User:innen, weil sie sich berauscht verletzten oder Autounfälle bauen.

Lachgas sorgt dafür, dass das Vitamin B12 nicht mehr gut vom Körper genutzt werden kann. Dann fehlt der Schutz der Nervenzellen, sodass diese kaputtgehen. Nervenzellen, mit deren Hilfe wir denken, unsere Beine bewegen und Ausscheidungen kontrollieren. Schlimmstenfalls haben Lachgas-Schnüffler:innen nicht nur Probleme beim Laufen, sondern zusätzlich noch Halluzinationen und nässen ein. Meistens verschwinden diese Symptome wieder, aber leider nicht immer.

Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) plant deshalb, die Abgabe von Lachgas an Minderjährige zu verbieten. Einige Städte haben dieses Verbot schon seit Anfang dieses Jahres umgesetzt, weil ihnen der Bund als Gesetzgeber zu langsam war. Auch der Berliner Senat strebt schon länger ein Verkaufsverbot an Minderjährige an.

Diese Forderung vertritt auch Dr. David Steindl, der Leiter des Giftnotrufes der Charité Berlin. Beim Giftnotruf rufen beispielsweise Ärz­t:in­nen an, wenn sie Medikamente überdosiert haben, oder – und das sind die meisten An­ru­fe­r:in­nen – Eltern kleiner Kinder, weil diese Putzmittel probiert, Pflanzenteile gegessen oder Tabletten geschluckt haben.

Lachgas spielte in den Anfragen lange kaum eine Rolle. Doch 2023 stolperte einer von Steindls Mitarbeitenden über immer mehr schwarz-grün-gelbe Lachgas-Kartuschen in der Hasenheide. Daraufhin überprüfte Steindl, ob auch die Anrufe zum Thema Lachgas zugenommen hatten. Und so war es: Seit 2021 verdoppelt sich jedes Jahr die Zahl der Anrufer:innen. Gab es von 2000 bis 2020 nur 2 bis 3 Anrufe im Jahr, waren es 2023 etwa 20 und 2024 schon 52 Menschen, die wegen Lachgas anriefen. In diesem Jahr fragten laut Steindl bis Mai bereits 18 Menschen wegen Lachgas um Rat – wobei die Partysaison noch gar nicht richtig angefangen habe.

52 Anrufe im Jahr 2024, ist das wirklich so viel? Steindl gibt zu bedenken, dass sich ja nur die melden würden, die Angst bekommen und Wirkungen spüren, die sie nicht beabsichtigt haben. Um nachzuprüfen, ob der Konsum überregional gestiegen ist, holte Steindl die bundesweiten Giftinformationszentren ins Boot.

Und tatsächlich zeigten die Daten von sechs der sieben Zentren, dass die Anfragen angestiegen sind: 2023 gingen bundesweit 77 Anfragen zu Lachgas ein.

Steindl ist zudem aufgefallen, dass sich nicht nur die Anzahl der Anrufe beim Giftnotruf der Charité verändert hat, sondern auch die Anrufer:innen: „Bis 2020 war Missbrauch selten ein Thema. Aber seit 2021 melden sich immer häufiger Laien, die von den unerwünschten Wirkungen des Gases überfordert sind“, berichtet Steindl. Meistens ging es um Nebenwirkungen wie Schwindel, Gangunsicherheiten oder drohende Bewusstlosigkeit.

Besonders bitter: Zunehmend machen Minderjährige Erfahrungen mit Lachgas. Wie viele von ihnen die Kapseln in Deutschland schon einmal ausprobiert haben, hat bisher nur eine Umfrage erfasst: die Mosyd-Studie aus dem Jahr 2022. Danach haben sich 17 Prozent der 15- bis 18-Jährigen in ihrem Leben bereits mit Lachgas berauscht. Umfragen aus Ländern wie England und Wales zeigen, dass Lachgas unter den 16- bis 24-Jährigen schon seit Jahren zur zweitbeliebtesten Droge aufgestiegen ist – nach Cannabis.

Ab wann Lachgas eindeutig schädlich ist, lässt sich schwer beantworten. Oft können Kon­su­men­t:in­nen nicht sicher angeben, wie viele Ballons sie über welche Zeitspanne inhaliert haben. Einen ersten Hinweis auf eine schädliche Dosis geben aber Forschungsergebnisse aus Australien. Dort haben Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Folgen von Lachgas-Inhalationen in einer Überblicks-Studie erforscht. In einer der Fallstudien ist beschrieben, dass bereits 15 Ballons mit 10 Milliliter flüssigem Lachgas, über sechs Wochen inhaliert, Taubheitsgefühle, Kribbeln auf der Haut und Probleme beim Gehen auftreten können. Auch die Blase drückt bei den Betroffenen.

Da das Gas heute in viel größeren Mengen zu haben ist, steht Jugendlichen mit einer handelsüblichen Kartusche knapp fünfmal so viel Lachgas zur Verfügung, wie die kleinste Menge, die laut der Studie zu gesundheitlichen Nebenwirkungen führte. Und häufig inhalieren Jugendliche statt zehn Ballons eben zwanzig oder dreißig. Einfach, weil es sich so gut anfühlt. In den sozialen Medien kursieren zahlreiche Videoclips, in denen junge Menschen zu sehen sind, die auf Schulhöfen tiefe Züge aus bunten Ballons nehmen und anschließend glücklich in den Himmel blinzeln.

Nach einem halben Jahr regelmäßigen Konsums können manche Use­r:in­nen nicht mehr laufen

Auch die Lachgas-Industrie scheint längst entdeckt zu haben, dass ihr Produkt als Droge taugt. Im Werbefilm des Lachgas-Anbieters Exotic Whip stoßen attraktive Erwachsene an einer Strandbar mit Sahne-Cocktails an, plaudern und lachen in die tropische Sonne. Offiziell handelt die Firma mit Kartuschen für Sahne-Aufschäumer – sie wirbt aber mit einer Tropenauszeit. Auf der Homepage ist Lachgas in verschiedenen Geschmacksrichtungen zu kaufen. Die haben auf den Geschmack der Sahne gar keinen Einfluss.

Damit Firmen auf Plattformen wie Tiktok nicht länger für Lachgas werben können, tritt Steindl für ein Verbot von Lachgas-Werbung ein. Außerdem befürwortet er die Beschränkung des Verkaufs an Minderjährige, wie es nun auch Bundesgesundheitsministerin Warken plant. In den Niederlanden hat das funktioniert: Seit dort die Lachgas-Abgabe streng geregelt wird, gingen die Anrufe beim holländischen Giftnotrufzentraum stark zurück. Steindl fordert zudem eine große Öffentlichkeitskampagne über die negativen Folgen von Lachgas.

Auch die Polizei berichtet immer häufiger von benommen wirkende Au­to­fah­re­r:in­nen mit Lachgas-Kartuschen auf dem Beifahrersitz. Bisher konnte allerdings kein Test Lachgas zuverlässig nachweisen. Um damit Schluss zu machen, haben Rechtsmediziner aus Hamburg im November 2024 ein Analyseverfahren vorgestellt, mit dem Lachgas im Blut nachgewiesen werden kann. Bald soll der Service in ganz Deutschland zur Verfügung stehen.

Schließlich könnte auch das Ende der Kürzungspolitik gegen Lachgas helfen. Denn wo gute Lernbedingungen an Schulen und sinnvolle Freizeitangebote fehlen, suchen Jugendliche nach Entspannung – zum Beispiel mit ein paar Zügen Lachgas. Gut ausgestattete Jugendclubs, stark subventionierter Musikunterricht, hoch motivierte, weil gut bezahlte Leh­re­r:in­nen für schwierige Schulen – so könnten Jugendliche wohl ähnlich wirksam vom Lachgas-Schnüffeln abhalten werden wie durch ein Verbot.

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