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Birgit Hein beim Filmfest BraunschweigDie Bilder-Finderin

Birgit Hein ist eine der Wegbereiterinnen des Experimentalfilms in Deutschland. Auf dem Filmfest Braunschweig wird sie mit einer Werkschau geehrt.

"Vom Abbild zum Bild": die Filmemacherin Birgit Hein. Bild: Filmfest Braunschweig

Der Bruch in ihrer künstlerischen Arbeit kam in den späten 1960er-Jahren. Birgit Hein war damals angehende bildende Künstlerin und entdeckte bei einer Luis Buñuel-Retrospektive den Film. Zusammen mit ihrem damaligen Partner und späteren Ehemann Wilhelm Hein begann sie, Experimentalfilme zu drehen. In denen ging es um den Film als Material, darum „vom Abbild zum Bild“ zu gelangen. Das Filmfest Braunschweig, das kommenden Dienstag beginnt, ehrt die Filmemacherin mit einer Werkschau.

Mit ihrem Debüt „Rohfilm“ aus dem Jahr 1968 wurde Birgit Hein gleich international bekannt. Darin bearbeitete sie Filmstreifen möglichst unsachgemäß, ließ sie durch einen Projektor laufen und filmte das Ergebnis. Wenn der Film dann stecken blieb und Feuer fing, war das der gefeierte Höhepunkt.

Mit diesen Experimentalfilmen waren Hein und ihr Mann bald renommierte Künstler, die auf die Dokumenta eingeladen wurden. Mitte der 70er-Jahre machten sie damit Schluss. „Wir erreichten niemanden mehr und wir selber kamen in unseren Filmen nicht mehr vor“, sagt Birgit Hein heute. Sie und Wilhelm begannen, als Performancekünstler in Kneipen aufzutreten und spielten dort Superman und Wonderwoman. Einen stärkeren Kontrast zu „Strukturellen Studien“ – so der Name ihres letzten avantgardistischen Werkes – lässt sich kaum denken.

Filmfest Braunschweig

Das Internationale Filmfest Braunschweig findet vom 5. bis 10. November statt. Zu sehen gibt es 160 Lang- und Kurzfilme in den Kinos Universum und Cinema.

Der Eröffnungsfilm ist der 2011 gedrehte spanische Stummfilm "Blancanieves", in dem das Märchen von Schneewittchen in das Milieu der Stierkämpfer verpflanzt wird. Die Musik spielt das Staatsorchester Braunschweig live.

Ein Schwerpunkt des Festivals ist das Thema "Musik im Film". Der Schweizer Filmkomponist Niki Reiser ist in diesem Jahr Ehrengast. Er wird neben seinen bekanntesten Werken auch seine neuste Arbeit in "Exit Marrakech" von Caroline Link vorstellen und in einer "Musik Master Class" über seine Arbeit berichten.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das junge europäische Kino.

Den europäischen Schauspielerpreis "Die Europa" bekommt Barbara Sukowa. Die Laudatio hält Margarethe von Trotta.

Ganz anders sah dann auch ihr nächster Film aus. „Love Stinks – Bilder des täglichen Wahnsinns“ wurde auf einer Reise nach New York gedreht. In dem Film gibt es neben Bildern von Obdachlosen auch Bilder von leidenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Künstlerpaar.

Hier überschritt Birgit Hein zum ersten Mal Tabugrenzen, als sie ihren Körper mit ihrem Menstruationsblut einrieb. Und hier gab es auch zum ersten Mal diese Mischung aus Erzählung und Bildern, die extrem bearbeitet und verfremdet waren. „Damals galt das auch noch als Experimentalfilm, heute nennt man das einen inszenierten Dokumentarfilm. Es hat lange gedauert, bis er so gesehen werden konnte“, sagt Hein.

Von 1990 bis 2007 war Birgit Hein Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. In diesen Jahren entwickelte sie eine ganz eigene Filmsprache, bei der sie viel mit fremdem Filmmaterial, sogenanntem „found footage“, arbeitete, aber auch oft intime Bilder vom eigenen Körper aufnahm. Diese Aufnahmen waren aber nur das Ausgangsmaterial. Sie wurden in verschiedenen Arbeitsprozessen verfremdet: Zum Beispiel übertrug sie Videomaterial auf Filmmaterial und filmte das Ergebnis dann noch einmal von einer Leinwand ab, so dass den Bildern jeder Wirklichkeitsanspruch entzogen wurde.

Zeigen wollte Hein so den „malerischen Charakter der Bilder“. Aber dieses ästhetische Programm wurde nie zum Selbstzweck. Stattdessen haben die Filme inhaltlich oft eine politisch provokante Stoßrichtung.

In „Die Unheimlichen Frauen“ von 1991 geht Hein etwa gegen die Klischees von den sanften Frauen an. Sie zeigt Archivmaterial von KZ-Wärterinnen, denen nach dem Krieg der Prozesse gemacht wird, zitiert Texte darüber, dass Frauen im Krieg oft grausamer seien als Männer, und reiht Aufnahmen von Frauen in Uniformen aneinander.

Dabei zeigt sich, mit welch einem guten Auge die Bilder ausgewählt sind. So gibt es etwa eine alte historische Aufnahme von einer jungen russischen Frau, die vor der Kamera stolz ihre neue Kosaken-Uniform präsentiert. Ähnlich intensiv wirkt das Foto von einer Soldatin der US-Armee, die ihr Baby auf dem Arm trägt. Für Hein ist „das Finden der Bilder ein künstlerischer Akt. Für die Frage des Copyrights habe ich mich damals überhaupt nicht interessiert.“

Auch in „Baby I will make You Sweat“ von 1994 gibt es eine radikale Umkehrung der Geschlechterrollen. Diesen autobiografischen Film drehte Birgit Hein mit einer Videokamera in Jamaika, wo sie vor allem junge, schwarze Männer aufnahm und im Kommentar in sehr deutlicher Sprache den Sex mit ihnen schildert. Für sie besteht „die Befreiung der Frau darin, auch begehrlich gucken zu dürfen. Das darf nicht nur darum verdammt werden, weil der männliche Blick so lange vorherrschend war.“

Auf einer anderen Ebene eine Provokation ist ihr bisher letzter langer Film „La Moderna Poesia“ von 2000. Diesen nahm sie ebenfalls mit einer Videokamera auf einer Kubareise auf. Hein demontiert den Mythos von Che Guevara, indem sie zeigt, wie allgegenwärtig und banal in Kuba sein Bildnis geworden ist: Er erscheint als Wachsfigur im Revolutionsmuseum sowie als Aufdruck auf Aschenbechern und Coladosen. Auch hier sind die Bilder wieder so bearbeitet und verfremdet, dass dadurch ein schwer zu beschreibender ästhetischer Mehrwert entsteht.

Bei ihrem neusten Film hat Birgit Hein dagegen auf jede Nachbearbeitung verzichtet. Der neun Minuten lange „Abstrakter Film“ ist stilistisch eine Rückkehr zu Found Footage und besteht ausschließlich aus Handyvideos von Kampfhandlungen in Libyen, dem Jemen und Syrien.

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