Biosphärenreservat in Spanien: Wie eine reale Fototapete
Alte Filmkulissen in der spanischen Halbwüste bei Navarra sollten als Biosphärenreservat geschützt werden. Doch warum ist da immer noch so viel los?
Der Jeep rast zwischen kargen Hügeln über einen breiten Schotterweg, Fahrer Mikel versucht, das Film-Trailer präsentierende Smartphone in dem winzigen Gestell über dem Armaturenbrett einigermaßen stabil zu halten und gibt dazu in einer Art Spenglish euphorische Erklärungen.
Der hagere Allrounder hat hier bereits zahlreiche Produktionen begleitet, obwohl das rund 400 Quadratkilometer umfassende Gebiet ein Unesco-zertifiziertes Biosphärenreservat ist, eigentlich.
Eigentlich aber hatte auch der Dokumentarfilm „Lost in La Mancha“ die Dreharbeiten zu einer als Kassenschlager anvisierten europäischen Gemeinschaftsproduktion zeigen sollen: der französische Starschauspieler Jean Roquefort als Don Quichotte und Johnny Depp als eine Art zeitreisender Sancho Panza. Das Geld wurde schnell knapp, Roquefort begann an der Bandscheibe zu leiden und Johnny Depp guckte mehr gen Himmel als in die Kamera. Das ambitionierte Projekt versank im Halbwüstensand.
Einmalige Landschaft mit Reptilien und Amphibien
Die sechste Staffel von „Game of Thrones“ konnte hingegen problemlos gedreht werden, sowie einige Szenen von Ridley Scotts „The Counselor“ von 2013, in denen Penelope Cruz, Brad Pitt und Javier Bardem in der amerikanisch-mexikanischen Wüste unterwegs sind, eigentlich. Und die kasachische Atomanlage, in der James Bond in „Die Welt ist nicht genug“ herumkraxelte, war ebenfalls eine in den Bardenas Reales aufgebaute Kulisse.
Eine Vollbremsung. Die Fensterscheiben surren herunter, Kopf aus dem Jeep gehalten: Auch jetzt sind wieder Kampfjets am Himmel, doch in solcher Höhe, dass sie nur ein Rauschen verursachen, Hintergrund zum Wüstenwind, der – eigentlich – ja nur ein „Halbwüstenwind“ ist, da er hier immerhin auch über Restbestände schütterer Gras- und Gesträuchvegetation pfeifen kann.
Sollte das Bioreservat, diese in Europa einmalige Landschaft mit ihren über zwanzig Vogelarten, Wildkatzen, Reptilien und Amphibien, geschützt werden? Das Militärgebiet befinde sich weit außerhalb davon, sagt Mikel, und hier im Inneren sorgten Kontrollen dafür, dass Touristen nur auf diesem Schotterweg – „unsere Route 66“ – unterwegs wären, um die Ursprünglichkeit der Gegend zu genießen. Kaum war es gesagt, zuckelt hinter einem der Hügel ein Caravan mit holländischem Nummernschild heran.
„Das ist verboten“, ruft Mikel herüber, und die blonde Frau antwortet keck aus dem Beifahrerfenster: „Aber wir sind eh schon hier!“ Später überholen uns, immerhin auf der lokalen „66“, noch etliche Harley-Davidson-Easy-Rider und behelmte Quadfahrer.
Vor Jahrtausenden war hier Wasser von den Pyrenäen ins Mittelmeer geflossen; was geblieben ist, sind ausgetrocknete Flussbetten, dunkelgelbe Plateauberge, wellenförmige Hügel und schattige Grotten, in denen die Sedimente von Sandstein, Kalk und Lehm ein eigenes Universum bilden, eine Art Ur-Welt, fern von allem. Überlaufen sind die Naturpfade nicht.
Doch dann ist an einer bestimmten Stelle hinter der Flussbettbiegung plötzlich eine Kakofonie aus Gelächter und Gehüstel zu hören. Von hier aus nämlich ähnelt der riesige Monolith des Areals mit seinem steinernen Hütchen einem erigierten Penis.
Hemingway als lebensgroße Bronzestatue
Eine Fahrtstunde von hier liegt Pamplona, wo Ernest Hemingway 1925 zu seinem wohl besten Roman inspiriert worden war. Die wohlhabenden, desillusionierten amerikanischen Nachkriegsfiguren in „The sun also rises“ (deutscher Titel: „Fiesta“) plaudern im Arkaden-Café an der Plaza über alle möglichen Ausflüge – und natürlich über Sex –, doch von jenem Phallusmonolithen in den Bardenas Reales ist nirgendwo die Rede. Dafür umso mehr von Stieren, Wein, la Vida und la Muerte, von Männern und Frauen.
Wobei die Frauen – so viel Fairness gegenüber dem alten Macho müsste schon sein – in diesen vom frühen Morgen bis in die Nacht andauernden Gesprächen keineswegs nur stille Zuhörerinnen sind. Und doch steht „Papa Hem“ schließlich allein da, in einem Barhinterzimmer des bis heute mit seinen Spiegeln, Säulen und Marmortischen bezirzenden Café Iruna.
Erstarrt zur lebensgroßen Bronzestatue mit melancholischem Gesicht, während die Theke längst nur noch Fotomotiv ist und die Schwarz-Weiß-Fotos des einstigen Großwildjägers und Stierkampf-Aficionados in ihrem bemühten Vitalismus fast deprimierend wirken.
Draußen auf der Plaza, vor den bordeauxroten, gelben und weißen Fassaden der Häuser mit den maurischen Fensterbögen und Balkonen, muss das Leben gar nicht toben, um einen viel lebhafteren Eindruck zu hinterlassen. Cafés, ein kleiner Musikpavillon, Spielplätze und Grünflächen und ganz in der Nähe jene zahlreichen kleinen Tapas-Gassen innerhalb der mittelalterlichen Stadt, die schon deshalb keine Fressmeilen sind, weil hier in Pamplona gute Laune keinen Exzess zu benötigen scheint.
Genauso still und unbeweglich wie die Hemingway-Skulptur stehen jene Eisenstiere unterhalb der Stadtmauer – hier befinden sich Anfang Juli die Stierpferche, ehe die Tiere zum Galoppieren losgelassen werden.
Auf dem engen Serpentinensträßchen aufwärts markiert eine waagerechte weiße Linie jene Stelle, von der die wagemutigen (andere sagen: die bekloppten) Zweibeiner zu sprinten haben, um von den herantrampelnden Stierhufen samt Hörnern nicht getroffen zu werden.
Interessanterweise scheint die unscheinbare Linie eine solche Magie der Abwesenheit – vielleicht ja auch der Vergeblichkeit – auszustrahlen, dass Touristen gleichermaßen wie Familien mit Kinderwagen hier Halt machen, um sich aufs Smartphone zu bannen, beinahe scheu.
Plakate gegen Femizide
Der Blick im Stadtzentrum fällt aber nicht nur auf das berühmte Muschelsymbol, das seit jeher den Jakobsweg markiert, auch auf die Banderole, die am hiesigen Rathaus an die Femizide im Land erinnert: bereits elf seit Jahresbeginn. Auch in den Städten und Dörfern außerhalb der Stadt, in Puente La Reina oder Olite, hängen die Banderolen und gemahnen so vielleicht ja auch die auf dem Jakobsweg Wandernden an Entscheidendes im Diesseits.
Ohnehin wäre die Vorstellung absurd, auf dem Wanderweg wären nur Frömmler unterwegs. So verdanken wir einer rumänischen Studentin, die sich nach der Besichtigung des aus dem 12. Jahrhundert stammenden romanischen Landkirchleins Santa Maria de Eunate zu Fuß ins fünf Kilometer entfernte Olite aufmacht, einen nicht unwichtigen Hinweis.
Die berühmte mittelalterliche Brücke in Puente la Reina mag für Hardcore-Fans der Mittelalterhistorie von großem Interesse sein – hier vereinigen sich der narvarresische und aragonesische Zweig des Jakobswegs –, vor allem aber wurden hier Szenen des berühmten Spielfilms „Dein Weg“ gedreht, in dem Martin Sheen eindrucksvoll einen tief trauernden Vater spielt – quasi einen ungleich sensibleren „Papa Hem“ und natürlich auch ein anderes Kaliber als Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg“.
Dass in der Spukburg von Olite eine spanische Serie über die Borgias gedreht wurde und Netflix im Städtchen eine „Vampire Academy“ produzierte, scheint dagegen zweitrangig. Angesichts der von Kirchtürmen und Windrädern flankierten Landschaft, die auch im Hochsommer von sattem, sonnengesprenkeltem Grün ist, bekommt selbst der breitbeinige „Bond“-Titel etwas seltsam Verzagtes, sodass wohl eher das Gegenteil zu gelten hätte: The world is enough.
Die Reise wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt
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