Biografischer Roman von Edo Popović: Vögel beobachten bei Zagreb
Der kroatische Autor Edo Popović ist ein Rebell. Wie er das eigene Spiel nach einer Chemotherapie weiterspielt, erzählt er in „Das Leben: es lebe!“.
Wer dem Tod von der Schippe gesprungen ist, steht vor der Wahl: sich Sorgen um die eigene Zukunft machen oder jetzt leben? Der 1957 im bosnischen Livno geborene kroatische Schriftsteller Edo Popović entschied sich fürs Jetzt.
Stark biografisch geprägt, erzählt er in seinem neuen Roman „Das Leben: es lebe!“ von Fragen, die sich so stellen, wenn man eine Lungenembolie überlebt hat und eine Krebserkrankung mit Chemotherapie behandeln lassen muss. Die Fragen danach, was lebendig sein heißt. „Ich lebe in den Tag hinein. Keine Pläne, keine Wünsche. Nichts“, schreibt er. Was sich schrecklich fatalistisch und traurig anhört, ist es nicht. Es ist Ausdruck des unbedingten Willens, alles zu genießen, was geboten wird, ohne sich dafür in irgendeiner Art zu korrumpieren.
Dass Popović – Mitgründer der jugoslawischen Literaturzeitschrift Quorom, Autor des Indie-Kultromans der 80er Jahre „Mitternachtsboogie“, legendärer Kriegsreporter – angesichts des Todes nicht bangend in die Zukunft schaut, sondern in einem alten Haus eines verlassenen Dorfes in der Nähe von Zagreb Vögel beobachtet, eine ganze Armada Katzen großzieht, Bibel und Buddhismus studiert, fällt ihm allerdings weniger schwer als anderen.
Die Gegenwart leben
Ihn, einen der bekanntesten Autoren des Landes, hat das Jetzt immer schon mehr interessiert als das Morgen: Karriere machen, Geld scheffeln, Immobilien kaufen, Rente absichern, die Angst vor dem Urteil der anderen – dafür hat er sich noch nie interessiert.
Edo Popović: „Das Leben: es lebe!“. Aus dem Kroatischen von Mascha Dabić. Voland & Quist, Berlin 2024, 162 Seiten, 20 Euro
Er, der antiautoritäre Rebell unter den talentierten Autoren seiner Generation, hat inzwischen zwar kaum noch Geld, keine Kolumne mehr und auch sonst kaum Aufträge, aber: „Lieber würde ich allein Hunger leiden, als in ihrer Gesellschaft die Reste zu essen“, schreibt er. „Ich spiele mein Spiel, für das ich die Regeln selbst festgelegt habe, und das, was diese Leute für superwichtig und wertvoll erachten, sind bloß Rasseln, die man Kindern zusteckt, damit die aufhören zu weinen.“
So sehr sich Popović über die Fremdbestimmheit der Städter, das Böse im Allgemeinen und den Kapitalismus im Besonderen noch immer aufregen kann, so sehr ist er derjenige geblieben, der sich das, was um ihn herum ist, sehr genau anschaut: die Natur, seinen Schatten, seine eigenen Gedanken und die schlecht gealterten Gedanken anderer.
Es tut gut zu lesen, dass Edo Popović immer noch derselbe zu sein scheint. Dass er lebendig ist. Auch wenn er inzwischen die Musik hört, die sein Sohn gut findet, seine Frau ihn aushalten muss und er sich fragt, was aus Beethoven geworden wäre, wäre der in Livno geboren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?