Biodiversität im eigenen Heim: Das große Krabbeln unter dem Bett
Eine Studie zeigt: Wir teilen unsere heimischen vier Wände mit fast 600 Arten von Spinnen, Insekten und anderen Gliederfüßern.
Nicht erst seit „Dschungelcamp“ sorgen Kakerlaken, Spinnen und Wanzen beim Menschen oft für Ekelgefühle. Weswegen die Bundesbürger jährlich über 400 Millionen Euro für Raumdüfte und Haushaltsinsektizide ausgeben. Doch die Investitionen sind zwecklos. Laut einer aktuellen Studie teilen wir unsere Häuser mit fast 600 Krabbeltierarten.
Ein dänisch-US-amerikanisches Forscherteam hat 50 frei stehende Häuser in North Carolina auf sogenannte Gliederfüßer oder Arthropoden untersucht. Zu diesem überaus erfolgreichen Tierstamm gehört alles, was auf sechs, acht oder noch mehr Beinen krabbelt: Spinnen, Tausendfüßer, Insekten und auch Krebse, zu denen beispielsweise die weit verbreiteten Asseln gehören.
Die Entomologen (Insektenkundler) pirschten und krochen zu zweit oder dritt durch die Häuser, und was nicht schnell genug wegkrabbelte, wurde eingesackt. „Wir hatten Taschenlampen, Sauggeräte, Netze, Pinzetten und andere Geräte als Hilfe“, erläutert Studienleiter Matt Bertone. „Doch es blieb ein Knochenjob.“ Der sich aber am Ende lohnen sollte.
Denn man sammelte über 10.000 Gliedertiere ein, also durchschnittlich 200 pro Haus. Gerade mal fünf der untersuchten 550 Räume waren so sauber, dass ein Mensch von ihnen sagen konnte: „Hier bin ich allein mit mir.“ Ansonsten tobte das Leben auf Gliederfüßen. Aufgeteilt auf 579 Arten, von denen in jedem einzelnen Haus 32 bis 211 eine Heimat gefunden hatte. „Unser Heim beherbergt also eine weitaus höhere Artenvielfalt, als man gemeinhin annimmt“, resümiert Bertone. Doch glücklicherweise sind die meisten Haus- und Hofarthropoden harmlos. Einige sind sogar nützlich, nur die wenigsten sind wirklich ein Problem.
Zu den nützlichen Dauergästen zählt beispielsweise die Kugelspinne, die man in 65 Prozent aller untersuchten Räume fand. Sie lebt von Insekten und hält uns damit auch die ungeliebten Mücken vom Leib. Der Ohrwurm sieht zwar mit seinen Kneifzangen am Hinterleib geradezu martialisch aus, doch er ist ein Allesfresser und damit stehen auch Ameisen, Blattläuse und andere ungeliebte Hausgäste auf seinem Speiseplan.
Staubmilben und Silberfischchen
Eher lästig sind hingegen die Kleider- und Dörrobstmotten, und auch die Fruchtfliege kann in den warmen Monaten zur Plage werden. Eine Gefahr für den Menschen sind sie jedoch genauso wenig wie die Silberfischchen im Ausguss von Waschbecken und Badewanne. Diese nachtaktiven Insekten bleiben gerne im Untergrund, wo sie sich asketisch von Haaren und Hautschuppen ernähren. Und wenn sie die eine oder andere Hausstaubmilbe fressen, werden sie sogar vorübergehend zum Nützling.
Eindeutige Schädlinge sind jedoch die Kakerlaken oder Küchenschaben. Und zwar nicht wegen ihrer Fraßschäden, sondern wegen der Exkremente und Speicheltropfen, die sie auf den Nahrungsmitteln hinterlassen. Das ungefähr 200 Millionen Jahre alte Erfolgsmodell der Evolution kann Milzbrand, Salmonellose und Tuberkulose übertragen. Doch die Forscher fanden das Probleminsekt glücklicherweise nur in 6 Prozent der untersuchten Häuser. Und die berüchtigte Bettwanze – ihre Stiche können schmerzhaft sein und 28 unterschiedliche Krankheitserreger übertragen – fand man in keinem der Häuser.
Allerdings gibt Bertone zu bedenken, dass der tatsächliche Arthropodenbestand in den heimischen vier Wänden wohl erheblich größer ist als das, was die Forscher gefunden haben. Denn man beschränkte sich auf die Untersuchung sichtbarer Oberflächen. „Hinter die Tapete etwa schauten wir nicht“, so Bertone. Und Schrankwände und Einbauküchen hätte man auch nicht verrückt. Durchaus möglich also, dass im Haus- und Hof-Biotop noch ungeahnte Überraschungen auf uns warten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance