Binnenschifffahrt auf der Elbe: Kein Schiff wird kommen
Die Trogbrücke bei Magdeburg gilt als technisches Meisterwerk. Allerdings stagniert der Schiffsverkehr schon seit Jahren. Eine Besichtigung.
Es kommt selten vor, dass man aufwärts steigen muss, um Schiffe zu sehen. Hier in Magdeburgs Norden ist es Realität: Stahlwände bannen einen Wasserstrang in einen über dreißig Meter breiten und gut vier Meter tiefen Trog, doch ohne Anfang und ohne Ende. Friedrich Koop, der Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Magdeburg, steht zufrieden an der Stahlkante und blickt auf den Kahn. Wüsste der Kapitän, wer da steht, er würde das Schiffshorn ertönen lassen. Denn der 64 Jahre alte Koop ist Gebieter über das Wasserstraßenkreuz Magdeburg mit der Trogbrücke über die Elbe als Prunkstück.
Es ist ein Bauwerk, das es mit den Pyramiden aufnehmen kann – mit seiner Größe, nicht mit dem Alter. Die Brücke wurde 2003 eröffnet und ihre Haltbarkeit auf 80 Jahre ausgelegt, sagt Koop. Doch wie er das erzählt, erweckt er nicht den Eindruck, dass dieser Bau irgendwann wieder verschwinden würde. Warum auch? „Wir machen Schifffahrt möglich“ lautet der Wahlspruch seiner Behörde.
Kaum hat die „Samaro“ die Brücke passiert, schiebt sich vom Westen her ein deutlich kleineres Kaliber heran. Die „Präsident“, ein Ausflugsschiff, bietet täglich Fahrten über die Trogbrücke.
Die „weltgrößte Trogbrücke“, „gigantische Hebewerks- und Schleusenkonstruktionen“ - Touristiker haben keine Mühe, Superlative zu finden. Logistiker schon.
Ein Schiff tuckelt näher. Welche Fracht hat es an Bord?
Der Pharao, der das Bauwerk veranlasst hat, war der Christdemokrat Matthias Wissmann, Bundesverkehrsminister von 1993 bis 1998 und zuständig für die 17 „Verkehrsprojekte deutsche Einheit“ – Projekte für Straße und Schiene, die Deutschlands Osten mit der alten Bundesrepublik verbinden sollten. Doch auch der Wasserweg von Hannover nach Berlin sollte endlich so ausgebaut werden, wie es in den dreißiger Jahren bereits geplant war – mit Hebewerken und einer Trogbrücke. Die Bauarbeiten wurden 1942 eingestellt. Schiffe, die von Westen nach Berlin wollten, mussten nach dem Krieg bei Magdeburg über ein Hebewerk zur Elbe hinunter, zwölf Kilometer talwärts fahren, um dann, über eine Schleuse nach oben gehoben, ihre Fahrt Richtung Ost fortzusetzen.
„Hier werden ab 2003 große Motorgüterschiffe und Schubverbände die Elbe auf einer fast einen Kilometer langen Kanalbrücke überqueren können“, prophezeite Wissmann 1997. Koop, Beamter aus dem Bundesbauministerium, wurde nach Magdeburg beordert und war zuständig für den Bau.
Damals glaubte wohl auch Koop, dass 2010 über die Trogbrücke 19 Millionen Tonnen Güter strömen würden, wie ein Gutachten prognostizierte. „In Erwartung der blühenden Landschaften“, sagt Koop jetzt milde und schaut sich um. Ein Schiff tuckelt näher. Welche Fracht hat es an Bord? Erze? Kohle? Weizen? Fehlanzeige. Die „Katharina II.“ ist ein privater Kahn. Er wirkt zwischen den beiden Betontürmen an der Einfahrt wie eine weiße Nussschale.
Es scheint, als würden Güterschiffe die Brücke meiden. 2008, fünf Jahre nach der Eröffnung, überquerten die Brücke statt der erwarteten 19 Millionen Tonnen nur 2,3 Millionen Fracht. In diesem Jahr sollen es 3,8 Millionen Tonnen werden. Doch was wie eine Steigerung wirkt, ist Stagnation. Denn bereits 1995 querten die Elbe 4 Millionen Tonnen – ganz ohne Trogbrücke, sondern über den Umweg auf dem Fluss.
Es kommen zwei bis drei Schiffe pro Stunde
Manchmal wirkt Friedrich Koop bei seiner Inspektion ein wenig bekümmert, weil das Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst vor allem von Hobbyskippern und Fahrgastschiffen frequentiert wird. Etwa 30 bis 35 Schiffe passieren die Brücke täglich, sagt Koop. Macht zwei bis drei Schiffe pro Stunde zwischen Morgen- und Abendstunde, vom Freizeitkahn bis zum Güterschiff. Kein Vergleich zum Rhein, wo rund 200 Millionen Tonnen jährlich transportiert werden.
Die „Präsident“ und die „Katharina II.“ haben ihre Fahrt fortgesetzt, auf der Trogbrücke kräuselt nur noch der Wind das Wasser. Die Brise weht über die Elbwiesen, ein Milan kreist. Eine Idylle, wäre da nicht das Donnern in der Ferne. In Sichtweite fahren Lkw auf der A2 über die Elbbrücke. Container an Container, Ladung an Ladung. Hier oben an der leeren Wanne könnte man neidisch werden. „Wir haben Transportbedarf“, wird Koop später bekräftigen und vorhersagen: Wenn der Kanal bis Berlin ausgebaut, das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 17 vollendet ist, werde der Verkehr auf der Trogbrücke zunehmen.
„Trogbrücke?“ Ernst Paul Dörf ler klingt amüsiert. „Trugbrücke heißt die bei mir!“ Dörfler – braungebrannt, weißer Bart, weiße Haare und ein Käppi gegen die Sonne – turnt wie ein Wassergeist über felsigen Boden, von Vorsprung zu Vorsprung, von Elbpfütze zu Elbpfütze. Den Domfelsen mitten in Magdeburg hatte er als Treffpunkt vorgeschlagen. Dörfler hat sein Rad oben an das Geländer angeschlossen. Um zur Elbe zu gelangen, muss man derzeit tief hinabsteigen.
„Was soll denn überhaupt transportiert werden?“ fragt Dörfler als stünde Koop vor ihm. Steinkohle? Erze? Stahl? Dazu müsste es in Ostdeutschland doch die passende Industrie geben. Aber die ostdeutsche Wirtschaft sei kleinteilig und brauche kaum Schüttgutfrachter, Schubverbände und Tanker. Daher werde es auch auf der Trogbrücke überschaubar bleiben.
Dörfler, Jahrgang 1950 und nur ein Jahr älter als Koop, hat eine ähnliche Ausbildung wie der Mann aus dem Ruhrpott, wohnt wie dieser in einem Dorf am Ostufer und ist doch in Sachen Binnenschifffahrt und Elbe sein Antipode. Für den einen ist die Elbe vor allem eine europäische Wasserstraße, für den anderen ein Biotop, eine einzigartige Landschaft, ein lebendiges Wesen. Es ist, als müsste er sie jeden Tag sehen, erleben, den Fuß darin eintauchen. Dörfler badet in ihr, er fährt sie mit dem Schlauboot ab, er hält Vorträge, er schreibt Bücher, mit „Flussgruß“ beendet er gern seine Korrespondenz.
Für die nötige Fahrrinnentiefe fehle das Wasser
Bis 1982 arbeitete Dörfler als Ökochemiker am DDR-Institut für Wasserwirtschaft. Danach war er freischaffender Publizist und Umweltschützer. Ein Dissidentendasein in der DDR-Provinz, aber immer mit Elbblick. 1989 hat er die Grüne Partei mitgegründet.
Immerhin, in der Trogbrücke gebe es ausreichend Wasser. Was man von der Elbe, der Nord-Süd-Achse des Wasserstraßenkreuzes derzeit nicht behaupten kann. Güterverkehr auf der Elbe? Dörfler lacht wieder und tritt näher an die Stromschnellen heran, wo sich die Elbe hindurchzwängt. Eine komplizierte „Engstelle“, hatte Friedrich Koop erklärt, die von seinem Amt rund um die Uhr per Kamera überwacht wird. Die Schiffe werden hier per Ampelschaltung vorbeigelotst.
Ernst Dörfler kneift die Augen zusammen, blickt stromaufwärts. Kommt da was? Es muss was sehr Kleines sein. Im nächsten Moment hüpft eine Armada von Paddelbooten durch die Wasserschnellen – die Elbe als Gebirgsbach. „Ich habe nichts gegen Schifffahrt“, bekräftigt Dörfler und blickt den Booten hinterher. „Aber es hat mir noch keiner gesagt, wie es auf der Elbe gehen soll, ohne sie zu kanalisieren.“ Für die nötige Fahrrinnentiefe fehle das Wasser.
Dörfler wird grundsätzlich und zückt ein Diagramm, das seit 1973 die Zahl der Tage anzeigt, an denen die Elbe weniger als 1,60 m Fahrrinnentiefe aufwies. Die Tiefe, die Güterschiffe mindestens brauchen, um wirtschaftlich fahren zu können. Doch die Zahl der Niedrigwassertage hat seit 1989 erheblich zugenommen. Im Dürrejahr 2003 hatte die Elbe 197 Tage lang Niedrigwasser. „Woher soll das Wasser denn kommen?“ Dörfler schaut auf. Die Mindesttiefen wurden immer öfter unterschritten. In der Summe fehle der Elbe seit der Wende fast ein halber Meter an Wassertiefe. Es scheint, als wäre das Jahr 1989 auch für die Elbe ein Wendepunkt. „Die Elbe ist nicht mehr dieselbe“, reimt Dörfler. Man könne Wasser nun einmal nicht herbei bauen, schließt er und hofft, dass sich diese Erkenntnis nun langsam auch bei Wasserbauingenieuren und Verkehrspolitikern rumspricht.
Noch einmal geht er in die Hocke, sucht in einer Pfütze nach irgendwas. Die Mittelelbe hat wieder 40 Fischarten, erzählt er und deutet auf die Schwärme winziger Fische, die durch das Wasser schießen. „Was man jetzt nicht sieht, sind Süßwasserschwämme.“ Er hätte sie wohl gern gezeigt.
„Kollegen von der grünen Front“ – so hatte Friedrich Koop Leute wie Dörfler genannt, die Verkehrskonzepte, Flussausbau und Kanalbauwerke in Frage stellen. Über das Niedrigwasser hat Koop natürlich gestöhnt. Um 7 Meter „oszilliere“ das Mittelwasser der Elbe. Es ist ein ewiges Pulsieren, das Wasserbauer gern in einen berechnenbaren gleichmäßigen Strom verwandeln würden, der Güterschiffe trägt, die am Wasserstraßenkreuz wie auf einer Autobahn abbiegen als wären sie Lkw
Dörfler hat natürlich andere Träume. Dass die Elbe ein Fluss wird so wie die Loire – völlig frei fließend in offener Landschaft. Immerhin, ein hübscher Bau drängt hier zum Wasser. Mit seinen Zinnen und Türmchen wirkt er wie ein Kastell, wie die Residenz eines Deichgrafen. Ernst-Paul Dörfler kennt das stolze Haus nur zu gut. Er lacht kurz auf und schwingt sich aufs Rad. Es ist der Amtssitz von Friedrich Koop.
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