Bildungspolitik: Schulreform vom Eis geholt
Bürgerschaft beschließt die Novellierung des Hamburger Schulgesetzes. Zuvor heftige Debatten in der CDU. Prominenter Reformgegner zieht NS-Vergleich.
In Hamburg dürfen SchülerInnen künftig länger gemeinsam lernen. Die Hamburgische Bürgerschaft beschloss am Mittwochabend in erster und zweiter Lesung die Novellierung des Hamburger Schulgesetzes - nach hitziger und mehr als zweistündiger Debatte. Kernpunkte der von Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) betriebenen tiefgreifendsten Reform seit Jahrzehnten ist das neue System aus Primar- und Stadtteilschulen sowie Gymnasien.
Umstritten blieb die Neuerung, die seit eineinhalb Jahren in Politik und Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde, bis zum Schluss auch im Parlament: Als einzige Fraktion stimmte die GAL geschlossen für den Gesetzentwurf ihrer Senatorin und Zweiten Bürgermeisterin Goetsch, die in einer leidenschaftlichen Rede erneut für die Reform warb. Bei der CDU stimmte die Abgeordnete - und frühere Schulsenatorin - Alexandra Dinges-Dierig mit Enthaltung. Somit votierten 67 der 68 Abgeordneten von CDU und GAL für das erste wichtige Reformwerk der Koalition.
Uneinheitlich zeigte sich die rot-rote Opposition: Die Linksfraktion votierte in der schrittweisen Abstimmung zwar für den Artikel, der die Einführung der Primarschule regelt. Das Gesetz als Ganzes aber lehnte sie wegen der Passagen zu Büchergeld und kostenpflichtigen Mittagessen ab. Die SPD wiederum votierte gegen die Reform als solche, stimmte aber einzelnen Punkten zu. Einzig Ex-Parteichef Mathias Petersen votierte mit der Regierungskoalition für das ganze Gesetz, der Abgeordnete Thomas Böwer enthielt sich.
Hohe Wellen hatten die Schulreform und ihre Gegner am Dienstagabend auf einem Kleinen Parteitag der CDU gesorgt. In die "Tradition der NS-Pädagogik" hatte Walter Scheuerl, Sprecher der Volksinitiative gegen die Primarschulreform, die Pläne gerückt. In einer Mail an Eltern, Lehrer und Politiker hatte er tags zuvor die CDU-Fraktion gefragt, wie lange sie "den Goetschschen Spuk weiter dulden" wolle.
Als Beleg zog er einen Text aus der taz von Montag heran: Der Erziehungswissenschaftler Peter Petersen hatte bereits Ende er 1920er Jahre eine mindestens sechsjährige Grundschule und einzelne Elemente der internationalen Reformpädagogik befürwortet - etwa wie schriftliche Berichte statt Noten und jahrgangsübergreifende Gruppen. Umstritten ist, ob Petersen sich später bei den Nationalsozialisten anbiederte oder vielmehr von ihnen missbraucht wurde. Petersen sei in der Bundesrepublik nach seiner Rehabilitierung "in Unkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge zum Reformpädagogen verklärt" worden, heißt es in Scheuerls Mail, die der taz vorliegt.
"Das ist eine nicht zu entschuldigende Entgleisung", sagte der aufgewühlte CDU-Fraktionschef Frank Schira in seiner Rede vor gut 200 Delegierten. Die Initiative "Wir wollen lernen" müsse sich distanzieren. Der Schulpolitiker Wolfgang Beuß verlangte eine Entschuldigung von Scheuerl.
Zugleich verwahrten sich führende CDU-Politiker in der mehr als zweistündigen Debatte gegen den Vorwurf der Initiative wie auch innerparteilicher Kritiker, das Gesetz sei in der Partei nicht demokratisch debattiert worden und solle im Parlament "durchgepeitscht" werden. Solche Behauptungen seien nach über einem Jahr Debatte in Öffentlichkeit, Partei und Koalition "nicht infam, sondern einfach nur dummerhaft", stellte Bürgermeister Ole von Beust klar. Zugleich forderte er die Reformgegner in der eigenen Partei auf, sich der Realität zu stellen: "Eine Mehrheit in dieser Stadt ist zu Recht für längeres gemeinsames Lernen." Seit gestern Abend auch im Landesparlament.
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