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Bildungsgerechtigkeit„Ich bin eine Strebermigrantin“

Maja Lasić ist eine der neuen HoffnungsträgerInnen der SPD-Fraktion. Mit der taz spricht sie über Schulpolitik – und warum sie nicht Fraktionschefin werden will.

Maja Lasić in ihrem Bürgerbüro in der Brunnenstraße Foto: Dagmar Morath
Anna Klöpper
Uwe Rada
Interview von Anna Klöpper und Uwe Rada

taz: Frau Lasić, seit Freitag verhandelt Ihre Partei mit der CDU/CSU über eine Große Koalition. Große Teile der Basis, auch des Berliner Landesverbands, waren dagegen. Macht es gerade Spaß, für die SPD Politik zu machen?

Maja Lasić: Wir sind alle ziemlich skeptisch gegenüber der Großen Koalition. Das einzige, was uns unterscheidet, ist: Wie kategorisch lehnen wir die Groko ab?

Wie kategorisch lehnen Sie sie ab?

Ich glaube nicht, dass der Koalitionsvertrag in dem Maße soziale Verschiebungen mit sich bringen wird, die notwendig wären für das Land und für uns als SPD. Wir müssen bei den nächsten Wahlen mit einem klaren sozialdemokratischen Programm antreten. Das können wir nur, wenn wir vorher in der Opposition waren oder diese Politik in einer Koalition umgesetzt hätten.

Sie mögen die Groko nicht. Seit Ihrer Fraktionsklausur in Hamburg Mitte Januar kann man den Eindruck haben, dass Sie die rot-rot-grüne Koalition in Berlin auch nicht mehr wollen. Zumindest nicht mit einer linken Bausenatorin Katrin Lompscher.

Das täuscht. Es ist so, dass wir uns beim Wohnungsbau mehr Engagement wünschen. Unsere Koalitionspartner äußern ihre Wünsche auch, siehe Neutralitätsgesetz.

Die Grünen wollen, im Gegensatz zur SPD, muslimischen Lehrerinnen im Dienst das Kopftuch erlauben. Aber noch mal zum Wohnungsbau: Tatsächlich wäre die Einrichtung einer Wohnungsbauleitstelle in der Senatskanzlei, wie sie die SPD fordert, eine Entmachtung der Bausenatorin.

Wir machen gute Arbeit, aber das Gefühl in der Stadt passt nicht dazu

Das mit der Leitstelle ist ein Thema für sich. Tatsache ist aber, dass wir eine Lösung finden müssen, wenn es zu Unstimmigkeiten zwischen Bezirken und Land kommt. Das ist wie beim Schulbau …

Im Interview: Maja Lasić

Geboren 1979 in Mostar, Bosnien und Herzegowina, promovierte Biochemikerin, seit 2016 bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und direkt gewählte Abgeordnete ihres Wahlkreises in Mitte. Auch Mitglied im SPD-Landesvorstand. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem fünfjährigen Sohn in Wedding.

wo die Landesebene künftig neu bauen und auch Sanierungsvorhaben umsetzen soll.

Da haben wir sechs CDU-Bildungsstadträte. Da frage ich mich manchmal, ob es manchen von ihnen primär um das Amt geht oder um die Partei. Wenn sich die Bezirke querstellen, brauchen wir die Möglichkeit, einzugreifen. Mit einer Entmachtung der Bezirke, was uns oft in den Mund gelegt wird, hat das nichts zu tun.

Bei der Senatsklausur am Dienstag (30. Januar) wird das ein Thema sein. Ist das die nächste Zerreißprobe zwischen SPD und Linkspartei?

Da wird es bestimmt eine einvernehmliche Lösung zwischen Frau Lompscher und dem Regierenden Bürgermeister geben.

Stichwort Zerreißprobe: Sie und andere Fraktionskollegen haben im November in einem Offenen Brief Ihren Chef Raed Saleh kritisiert und ihm mangelnde Bürgernähe und wenig Interesse an versierter Fachpolitik vorgeworfen. War das Ihrerseits nicht ein, sagen wir mal, Vatermord? Als Parlamentsneuling wird man ja nicht gleich bildungspolitische Sprecherin …

Ich bin definitiv nicht diejenige, die die Anti-Saleh-Bewegung anführt. Aber ich kann erklären, aus welcher Logik heraus ich unterschrieben habe: Ich möchte gute Fachpolitik machen. Da habe ich im letzten Jahr die Erfahrung gemacht, dass es durchaus Bereiche gibt, die mäßig bis stark ausbaufähig sind. Wir brauchen einen Prozess, der die Arbeit in der Fraktion weiterentwickelt. Wir haben eine Woche vor der Klausur damit angefangen. Aber wir sind noch nicht fertig damit.

Nächstes Jahr wird der Fraktionsvorstand neu gewählt. Es wurde bereits über eine Doppelspitze diskutiert. Sind Sie dafür?

Ich bin grundsätzlich ein Fan von Doppelspitzen. Ich wäre in der Partei dafür, aber auch in der Fraktion. Das hat weniger mit der aktuellen Diskussion in der Fraktion zu tun als vielmehr mit den Dynamiken, die eine solche Doppelspitze erzeugt. Andere Parteien fahren sehr gut damit.

Das wäre ein neuer Affront gegen Saleh.

Das hängt davon ab, wie man es diskutiert. Ich sehe es nicht als Affront.

Und die Ko-Fraktionschefin heißt dann Maja Lasić?

Ich bin Fachpolitikerin. Ich will nichts anderes machen.

Ein Sprung in Ihre Vergangenheit: Sie sind als Jugendliche mit Ihren Eltern aus Bosnien geflohen. Wie sehr bestimmt diese Fluchterfahrung Ihr politisches Handeln?

Ich bin als 14-jähriges Mädchen 1993 aus Bosnien nach Deutschland gekommen. Ich kann so gut wie jeden Aspekt meiner Persönlichkeit in den Kontext der Migration und des Ankommens in Deutschland einordnen.

Und angekommen sind Sie: Sie haben in Biochemie promoviert und sind dann in die Pharmabranche gegangen.

Als ich ungefähr 30 war, habe ich festgestellt, dass ich keine Lust habe, die nächsten 30 Jahre nur Geld zu verdienen. Ich wollte etwas machen, wo ich die Sinnhaftigkeit dahinter erkenne. Wenn ich mir meinen Freundeskreis aus den ersten Jahren in Deutschland anschaue, muss ich sagen, dass Werdegänge wie der meine, in denen vieles gut geklappt hat, nach wie vor die Ausnahme sind. Mein Beitrag soll sein, dass mehr benachteiligte Jugendliche erfolgreiche Bildungswege gehen.

Sie haben dann zwei Jahre als Hilfslehrerin an einer Weddinger Schule unterrichtet. Warum sind Sie nicht geblieben? Da hätten Sie vor Ort ganz konkret etwas verändern können.

Das war eine harte Entscheidung. Vor Ort kann man aber vor allem Schicksale einzelner Schülerinnen und Schüler beeinflussen. In der Politik dreht man an anderen Schrauben.

Manchmal dreht man auch lange vergeblich.

Angst vor Frust ist der falsche Ratgeber, wenn man in die Politik gehen will.

Von Ihrem Job in der Pharmabranche, mit Dienstwagen und übervollem Konto, wie Sie mal sagten, an eine Brennpunktschule im Wedding: Sind Sie eine mutige Frau?

Ich bin nicht alles, was ich gerne wäre, aber mutig bin ich.

Sind Sie, wie es die polnischstämmige Autorin Emilia Smechowski in ihrem Buch über polnische Einwanderer schreibt, eine Strebermigrantin?

Ja, ich bin eine Strebermigrantin.

Ihre Migrationsgeschichte macht Sie ja nicht nur glaubwürdig, es nützt Ihnen auch.

Das ist ein Vorwurf, der mit permanent entgegenschlägt. Sie formulieren es nicht als Vorwurf, aber innerhalb der Partei wird das immer wieder als Vorwurf formuliert.

Inwiefern?

Dass ich Teile meiner Biografie nutze, um mich selber zu profilieren. Aber das lasse ich an mir abprallen. Mein offensives Umgehen mit meiner Migrationsgeschichte zielt ja auf eine Vorbildfunktion, die ich erfüllen will. Wenn ich zum Beispiel mit Geflüchteten rede, und ihnen erzähle, dass ich fünf Jahre nur geduldet wurde: Erst dann realisieren sie, dass ich mal in der selben Lage wie sie war und erfolgreiche Wege für sie in Deutschland vielleicht auch möglich sind.

Sie haben gesagt, Sie wollen verändern, an den großen Schrauben drehen. Welche sind das?

Sie fragen nach dem roten Faden?

Genau. Was ist Ihr Masterplan?

Ich bin im Alltag bis aufs Blut pragmatisch. Gleichzeitig glaube ich, dass es entscheidend ist, dass man eine innere Vision hat: Wofür macht man das Ganze? Meine Vision ist das klassische Ziel sozialdemokratischer Politik: die Schere zwischen bildungsbenachteiligten Schülern, vor allem auch solchen aus migrantischen Familien, und der Mehrheitsgesellschaft zu verringern.

Das wollten schon viele vor Ihnen. Die Schere ist nicht kleiner geworden.

Manche Erfolge werden größer sein, andere kleiner. Zum Beispiel die Zulage für Lehrer in Brennpunktschulen, die wir in der Koalition beschlossen haben und wo wir gerade noch in der Diskussion sind, wie wir die ausgestalten: ob es Geld gibt, oder eine entlastende Stundenreduzierung. Das ist so ein Erfolg, das fügt sich in meine Vision der Umverteilung. Ich will, dass wir hier im Wedding, in meinem Wahlkreis, einmal die besten Schulen der Stadt haben.

Da werden Sie noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Immer mehr Berliner Schüler gehen auf Privatschulen, aktuell ist es jeder zehnte.

Die sind überhaupt kein Widerspruch zu meiner Vision. Ich bin keine Gegnerin von Privatschulen, auch wenn das anders berichtet wurde. Der Punkt ist: Wir müssen die privaten Schulen dazu bringen, ihren Teil der Verantwortung wahr zu nehmen, wenn es um soziale Durchmischung geht.

Da gab es zuletzt gerade Krach mit Ihrem grünen Koalitionspartner um die künftige Finanzierung der freien Schulen. Die Grünen wollen alle freien Schulen besser finanzieren, plus einem Bonus obendrauf, wenn sie auf die soziale Mischung achten. Sie sagen: Wir müssen den Schulen, die das nicht tun, etwas wegnehmen.

Wir haben Privatschulen, da gehen kaum Kinder aus ärmeren Familien hin, unter 5 Prozent. Manche haben überhaupt keine benachteiligten Kinder. Ich sage: Diese Schulen dürfen in einem ersten Schritt gerne etwas weniger Geld bekommen. Denn wann werden sich diese Schulen damit befassen, wie sie ihre Durchmischung steigern können? Wenn man alles so belässt, wie es ist? Ich glaube nicht. Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir in der Koalition das gleiche Ziel haben. Der Mut ist nur unterschiedlich stark ausgeprägt.

Wenn man mutig ist, müsste man da bei dem Thema Segregation durch Bildung nicht sagen: eine Schule für alle? Die Gemeinschaftsschule, wo alle Kinder von der Grundschule bis zum Abitur lernen, ist in Berlin lange Jahre wissenschaftlich begleitet worden – mit dem Ergebnis, dass sie am ehesten eine Antwort auf dieses Problem ist.

Ich behaupte: Segregation ist nichts, was sich nur durch eine Schulstrukturreform lösen lässt. Auch mit der Gemeinschaftsschule als einziger Schulform hätten Sie innerhalb des Systems wahrscheinlich bald ein Gefälle. Wir müssen das anders lösen. Wenn ich sage, ich will die besten Schulen hier im Wedding, dann muss ich überlegen, wie ich die Schulen hier so attraktiv mache, dass die bildungsorientierten Eltern bleiben.

Wie wollen Sie das machen?

Bei einigen Schulen ist das schon gelungen: Zum Beispiel die Gustav-Falke-Schule im Brunnenviertel. Der Anteil von lernmittelbefreiten Schülern hat sich von 90 auf 70 Prozent verringert. Das liegt auch an dem starken naturwissenschaftlichen Profil, das die Schule inzwischen hat. Wir haben demnächst die ersten Fälle von Elternklagen, die dort keinen Schulplatz für ihre Kinder bekommen haben, sie aber unbedingt dort einschulen wollen. Das ist mal etwas Neues.

Sie haben im Wahlkampf 2016 an viele Türen geklopft. Sind hier im angeblich bildungsfernen Wedding wirklich alle so desinteressiert, was mit ihrem Kind geschieht?

Nein. Das Problem ist ein anderes. Es ist eine nicht ausreichend vorhandene Kenntnis darüber, wie das Bildungssystem hier funktioniert. Da muss man die Eltern mitnehmen. Das ist jetzt vielleicht sehr weich formuliert. Aber ich glaube, nur so funktioniert es.

Welche Note geben Sie der rot-rot-grünen Koalition?

(Denkt nach) Wirklich schwere Frage. Eine „Drei plus“.

Tendenz also steigend?

Ja.

Warum kommt das beim Wähler nicht an? Die Berliner Landesregierung hat die schlechtesten Beliebtheitswerte im Bundesvergleich.

Und das wurmt mich. Aber ich sage Ihnen, woran das meiner Meinung nach liegt. Das Beispiel Schulbau: Da findet der größte Teil der Vorarbeit jetzt statt. Aber die meisten dieser neuen Schulen werden nicht vor 2021 stehen. Die Erfolge sind noch nicht sichtbar. Und das gilt auch für andere Bereiche, wie etwa bei der Verwaltungsreform. Deshalb mache ich mir schon jetzt Sorgen um die nächste Wahl. Wir machen gute Arbeit, aber das Gefühl in der Stadt passt nicht dazu.

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