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Bildungsarbeiter gegen Antisemitismus„Rassismus kann nicht die Lösung sein“

Iven Saadi arbeitet mit dem Verein Bildungsbausteine an Schulen gegen Antisemitismus. Nun äußert er sich zu den Vorwürfen der Berliner CDU-Fraktion.

Auf der Straße sind Positionen zu Israel/Palästina oft stark polarisiert. Politische Bildungsarbeit versucht, dies zu überwinden Foto: Achille Abboud/imago
Uta Schleiermacher

Interview von

Uta Schleiermacher

taz: Herr Saadi, in der Affäre um die Vergabe von Fördermitteln gegen Antisemitismus in Berlin hat Timur Husein, Sprecher der CDU-Fraktion für Antisemitismusbekämpfung, sich dezidiert gegen die Bildungsbausteine ausgesprochen. War Ihnen bekannt, dass Po­li­ti­ke­r*in­nen so über Ihren Träger denken?

Iven Saadi: Wir haben das auch erst aus der Berichterstattung mitbekommen.

taz: Husein schrieb in einer E-Mail: „Dieser Träger ist ungeeignet, Antisemitismus zu bekämpfen, da hohe Vertreter dieses Vereins linken Antisemitismus verharmlosen und die Politik von AfD und CDU (!) als größere Gefahr für Juden ansehen.“ Was sagen Sie dazu?

Saadi: Zuerst einmal: Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Der Fokus auf Linke oder Mus­li­m*in­nen dient nur dazu, vom Antisemitismus der gesamten Gesellschaft abzulenken und das halten wir für gefährlich. Jüdinnen und Juden sind keineswegs nur vom Antisemitismus von links oder durch Mus­li­m*in­nen betroffen, sondern überall. Dass wir damit anecken, wenn wir das betonen, überrascht uns nicht. Das hat viel mit Schuld- und Verantwortungsabwehr zu tun. Wir denken auch, dass da Aussagen von einer Kollegin aus dem Kontext gerissen wurden. Wir machen übrigens regelmäßig in zivilgesellschaftlich links stehenden Organisationen Workshops gegen Antisemitismus.

taz: Was bedeuten solche Aussagen und die Fördergeldaffäre allgemein für Ihre Arbeit?

Saadi: Wir sehen das in Zusammenhang damit, dass Timur Husein, der Sprecher gegen Antisemitismus einer Regierungsfraktion in Berlin, offen rassistische Positionen geäußert hat. Rassismus kann nicht die Lösung sein in der Bekämpfung von Antisemitismus. Das und die Affäre um die Vergabe von Fördermitteln schädigen das Ansehen von antisemitismuskritischer Arbeit, weil die in der öffentlichen Wahrnehmung jetzt scheinbar einhergeht mit Rassismus, mit einer Instrumentalisierung von Jüdinnen und Juden und mit Korruptionsvorwürfen. Das ist für uns ein Drama: Denn wir müssen dann immer mehr Arbeit dafür aufwenden, u erläutern, dass Antisemitismuskritik emanzipatorisch und notwendig ist.

Im Interview: Iven Saadi

Iven Saadi ist seit über 20 Jahren in der Jugend- und Fachkräftebildung und Prozessbegleitung tätig, insbesondere zu den Themen Rassismus, Antisemitismus und Geschlechterverhältnissen. Derzeit leitet er das Projekt „as_ra – Intersektional gegen Rassismus und Antisemitismus“ von BildungsBausteine e.V.

taz: Was machen Sie in Ihren Workshops?

Saadi: Wir arbeiten seit 2001 zum Thema Antisemitismus und arbeiten sowohl historisch-politisch, etwa mit Zeitstrahl-Methoden, als auch zu aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus wie israelbezogenem Antisemitismus und sekundärem Antisemitismus. Das haben wir dann irgendwann aufgefächert und stärker auch Rassismus einbezogen, darunter Rassismus beim Sprechen über den Israel/Palästina-Konflikt.

taz: Was war der Anlass dafür?

Saadi: Wir haben gemerkt, wir können nicht gegen Antisemitismus arbeiten, ohne Rassismus zu behandeln. Wenn wir über Israel/Palästina reden, dann besprechen wir hier in Berlin ja den Konflikt über den Konflikt. Und Positionierungen dazu können teils antisemitisch sein, teils kann in solchen Positionierungen auch Rassismus stattfinden. Wenn wir dann in Schulklassen nur über Antisemitismus sprechen, bagatellisieren oder missachten wir den Rassismus, den die Schü­le­r*in­nen auch erleben. Das widerspricht unseren Ansätzen und würde auch unsere Arbeit gegen Antisemitismus unglaubwürdig machen.

Wir beobachten zunehmend, dass es akzeptiert wird, wenn der Kampf gegen Antisemitismus auf Kosten von rassifizierten Menschen geht

taz: Was bedeutet das konkret?

Saadi: Wir haben unsere Methode „Alarm“, um israelbezogenen Antisemitismus im Sprechen zu identifizieren. Die haben wir erweitert um „Alert“, wo es darum geht, Rassismus im Sprechen über Israel und Palästina zu erkennen. Es ist leichter für unsere Lerngruppen, Antisemitismus zu behandeln, wenn wir uns gleichwertig mit Rassismus befassen. Das ist nicht manipulativ gemeint, sondern eine realistische Betrachtung dessen, was wir vorfinden in pädagogischen Räumen.

taz: Wen treffen Sie denn in Ihren Workshops?

Saadi: Wir arbeiten oft mit Jugendlichen in der 9. oder 10. Klasse. Die haben eine Vorahnung, wie bestimmte Themen diskutiert werden. Es herrscht die Wahrnehmung vor, dass Antisemitismus über Rassismus gestellt wird und dass es Unterschiede darin gibt, wer mit wem Empathie empfindet. Sie sehen, welche Flagge vor dem Roten Rathaus hängt, sie hören, wie sich etwa der Regierende Bürgermeister oder der Bundeskanzler äußern. Die Jugendlichen nehmen das als ungerecht wahr. Und das ruft eine Lernbarriere hervor. Wir kommen ja oft wie eine Feuerwehr an Schulen: Da gab es einen antisemitischen Vorfall oder Leh­re­r*in­nen wissen nicht, wie sie mit Jugendlichen über Israel/Palästina sprechen sollen.

taz: Und wie sprechen Sie mit ihnen darüber?

Saadi: Wir greifen die Erfahrungen der Jugendlichen auf, mit denen wir arbeiten. Wir gehen davon aus, dass unter ihnen auch Jugendliche sind, die selbst von Antisemitismus oder von Rassismus betroffen sind – ohne dass wir das spezifisch abfragen. Bei unserer Methode Alarm-Alert verteilen wir Zitate und Beschreibungen von bestimmten Situationen, die teils antisemitisch oder rassistisch sind oder beides. Wir bitten die Jugendlichen, diese auf einer Pinnwand einzuordnen. Am Ende entsteht dann ein Bild, bei dem Rassismus und Antisemitismus gleichwertig nebeneinander stehen.

Auf die größten Widerstände stoßen wir bei extrem rechts auftretenden Jugendlichen

taz: Ist das nicht problematisch? Antisemitismus ist ja mehr als eine Form von Rassismus.

Saadi: Wir finden es wichtig, auf Unterschiede hinzuweisen, ohne Gemeinsamkeiten zu unterschlagen. Sowohl Antisemitismus als auch Rassismus konstruieren Menschen als fremd und andersartig. Rassismus wertet überwiegend ab. Antisemitismus stellt dann diejenigen, die abgewertet werden, unter anderem als gefährlich und mächtig dar. Wir beobachten aber zunehmend, dass die Bekämpfung des einen auf Kosten des anderen geht. Nach dem Motto: Der Kampf gegen Antisemitismus „darf“ auf Kosten von rassifizierten Menschen gehen. Das Bild, das durch unsere Methode entsteht, setzt dem etwas entgegen. Wir beenden die Methode häufig mit einem Foto von einem Plakat einer von palästinensischen und jüdischen Menschen organisierten Demonstration in Köln. Da steht drauf: I see your pain despite of mine.

taz: Übersetzt also etwa: Ich sehe deinen Schmerz, trotz meines eigenen Leids. Wie lassen sich Jugendliche denn dann darauf ein?

Saadi: Wir werden ja erst mal wahrgenommen als Ver­tre­te­r*in­nen von staatlicher Antisemitismusbekämpfung. Die ist auch wichtig. Aber das geht für uns auch mit Problemen einher. Wir versuchen, die Jugendlichen dazu zu bringen, sich auf unsere Themen einzulassen, auch, indem wir eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen. Auf die größten Widerstände stoßen wir allgemein mit der Thematisierung von Diskriminierung bei extrem rechts auftretenden Jugendlichen. Das ist für uns die belastendste Erfahrung.

Die Förderlogiken legen eine Trennung von Antirassismus und Antisemitismuskritik nah, dabei sind beide miteinander verflochten

taz: Inwiefern?

Saadi: Das ist eine andere Qualität von Abwehr, und gleichzeitig sehen sie ihre Position als gesellschaftlich anerkannt und moralisch richtig an. Es hat da einen Umschwung gegeben. Früher gab es vereinzelt Jugendliche, die dieses Selbstverständnis hatten. Inzwischen sind es viel mehr, das hat ein Ausmaß angenommen, das wir als Veränderung wahrnehmen.

taz: Wie steht es um die Förderung von Antisemitismuskritik, auch angesichts solcher Beobachtungen?

Saadi: Es ist bundesweit schwerer geworden, für Projekte Förderungen zu bekommen, die ernsthaft rassismussensibel gegen Antisemitismus arbeiten. Das Programm „Demokratie leben“ soll komplett umgekrempelt werden, und die bisherigen Aussagen dazu aus dem Ministerium erfüllen uns mit Sorge. Außerdem ist es jetzt schon so, dass in der strukturellen Förderung von Bildungsträgern in Demokratie leben! nicht zwei Themen gleichzeitig beziehungsweise gleichwertig beinhaltet sein dürfen.

taz: Ach so?

Saadi: Die Förderlogiken legen eine Trennung von Antirassismus und Antisemitismuskritik nah, dabei sind beide miteinander verflochten. Intersektionale Ansätze fallen dann raus. Das geht an den Realitäten komplett vorbei. Solche Förderungen erschweren es, gesellschaftliche Spaltungen zu unterlaufen. Dazu kommt, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland meist sowohl von Rassismus als auch von Antisemitismus betroffen sind, auch das greifen die Wissenschaft und auch die Bildungsarbeit bisher kaum auf.

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