Bildung: Rhetorik des Unterrichtsausfalls
Der Unterricht fiel an Bremer Schulen 2013/2014 etwas häufiger aus als in den Vorjahren. Sachliche Diskussionen dazu wären möglich, wenn man sie denn wollte.
BREMEN taz | Mit einem neuen und präziseren Erfassungssystem will die Bildungsbehörde das Problem des Unterrichtsausfalls an allgemeinbildenden Schulen besser bekämpfen. „Wir sind uns darüber einig, dass möglichst wenig Unterricht ausfallen soll“, sagte Eva Quante-Brandt (SPD) gestern im Vorfeld der Bildungsdeputationssitzung. Auf der trat am Nachmittag auch Irene Bejenke-Walsh aus Schwachhausen auf. Die Mutter einer 13-jährigen Gymnasiastin fordert per Online-Petition 100 neue Lehrer für Bremen: „Die Unterrichtsausfälle und Fehlstunden an Bremer Schulen haben Krisenausmaße erreicht“, schließt sie aus den Erfahrungen ihrer Tochter.
Sie wolle „verhindern, dass unsere Kinder Opfer einer Bildungsreform werden, die Inklusion im Alleingang durchzusetzen versucht, alle Ressourcen dorthin pumpt“ hatte die Kommunikationstrainerin zunächst geschrieben. In der revidierten Fassung hat sie den Besitzstandswahrerjargon allerdings beseitigt – und rügt nun nur die strukturelle Unterfinanzierung. „Wir wollen den Bremer Senat dazu bewegen, den Krisenstatus der Unterrichtsversorgung offiziell anzuerkennen“, so ihre Zielbestimmung. Zugleich bezichtigte sie die Behörde via Weser-Kurier, sie rechne sich die Statistik „sowieso schön“.
Als Prokatalepse oder Praemunitio bezeichnet der olle Kommunikationstrainer Cicero diesen Trick, erwartete Argumente der Gegenseite vorweg durch Angriffe aufs Ethos auszuhebeln. Er dient dazu, unangenehme sachliche Diskussionen zu vermeiden. Die wären sinnvoll möglich, auch wenn die Statistik keine krisenhafte, sondern eine leicht verschlechterte absolut durchschnittliche Gesamtlage ausweist: Zwar wird fast jede zehnte Unterrichtsstunde nicht wie vorgesehen erteilt. Doch von diesen werden längst nicht alle mit oder gar ohne fachgemäße Aufgabenstellung eher maßvoll sinnhaft, aber beaufsichtigt in den Klassenzimmern verdämmert. Mit erfasst sind in der Kategorie aber auch kompetenter Vertretungsunterricht und pädagogisch wichtige Sonderveranstaltungen wie Theaterbesuche, Projektwochen- und Wettbewerbs-Stunden, Ausflüge und Übernachtungen. Sowie die ersatzlosen Ausfälle.
Ersatzlos ausgefallen sind an den Schulen der Stadt Bremen laut Behörde von Februar 2014 bis Januar 2015 nur 2,8 Prozent Stunden – zum Vergleich: In Bayern waren es 1,6 Prozent, in Sachsen als Land mit der transparentesten Erfassung 4,4 Prozent. Der Vorjahresvergleich ist wegen des Methodenwechsels schwierig, Quante-Brandt spricht von einem Anstieg um 0,2 Prozent. Den wiederum führt sie auf einen erhöhten Krankenstand zurück. Allein der Vertretungsbedarf für – unschön als Krankheit rubrizierte – Mutterschutzfälle sei um 20 Stellen gestiegen. Das mache sich „in der Vertretungs- und Unterrichtsausfallstatistik bemerkbar“. Allerdings habe man „selbstverständlich auf den höheren Bedarf reagiert“, so Quante-Brandt: Die in den Haushalten 2014/15 vorgesehenen Reserven seien um von 3,75 Millionen zunächst im Haushalt in zwei Tranchen um 2,7 auf 6,45 Millionen Euro erhöht worden. Sie gehe davon aus, „dass diese Maßnahmen schnell greifen“, so die Senatorin. Optimierungsbedarf gebe es auch bei der inhaltlichen Gestaltung der Vertretungsstunden. Quante-Brandt versprach, sich dafür einzusetzen, dass sich in den kommenden Jahren die personellen Voraussetzungen dafür „weiter verbessern“.
In Bremens Schulen standen vom 2. Halbjahr 12/13 bis Ende erstes Halbjahr 14/15 insgesamt 3.622.155 Unterrichtsstunden auf dem Plan.
Davon wurden 9,1 Prozent anderweitig erteilt.
Komplett fielen 2,8 Prozent der Unterrichtsstunden aus: In den Grundschulen lag der Wert bei 0,8, an Förderzentren bei 0,7 Prozent.
Bei den weiterführenden Schulen ist die Situation an den Oberschulen mit 4,1 Prozent Ausfall leicht entspannter als an Gymnasien mit 4,4 Prozent. Der Bereich Erwachsenenbildung musste mit 6,4 Prozent den meisten Unterrichtsausfall verkraften.
Im Vergleich der Länder liegt Bremen im Mittel - zwischen Bayern mit 1,6 und Baden-Württemberg mit 4,8 Prozent Ausfall.
Weiter verbessern – das könnte wie eine Polemik wirken, entspricht aber dem Trend: Die SPD-CDU Koalition unter Führung von Henning Scherf hatte auf den Pisa-Schock reagiert, indem sie die Ausgaben für allgemeinbildende und berufsbildende Schulen absenkte – entgegen dem damaligen Bundestrend, bis er noch unter dem Wert von 1995 lag. „Seit 2007 sind zunächst geringe Veränderungen wahrnehmbar“, heißt es im fürs Ressort 2012 erstellten „Bildungsmonitor“, und erst seither sind die Ausgaben in Bremen kontinuierlich wieder gestiegen, „mittlerweile hat Bremen das Land Berlin überholt und nähert sich Hamburg an“.
(Mitarbeit Christoph Reis)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!