Bilder einer Revolte: „Diese Revolution ist nicht zu Ende“
Die junge ägyptische Filmemacherin Mariam Mekiwi spricht beim Gang durch eine Ausstellung ägyptischer Revolutionsfotos über ihre Empfindungen.
HAMBURG taz | Eine Revolution wird umzingelt. So könnte man die Ausstellung beschreiben, die derzeit in Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe Dokumente und Fotos der ägyptischen Revolution zeigt. Ein buntes Gewebe aus Profi-Fotos, Amateuraufnahmen der – in Ägypten unter eben diesem Begriff firmierenden – „Bürgerjournalisten“, Zeitungsseiten, Flickr-Fotos sowie Videostills ist da zu sehen.
Insgesamt 62 Künstler haben die deutschen und ägyptischen Kuratoren für die Schau ausgewählt, und es werden stetig mehr. Denn diese Ausstellung, die in Essen begann, wächst von Station zu Station, und ihr fotografisches Konglomerat ist so lebendig wie die Revolution und diejenigen, die sie tragen.
Dabei sind die Grenzen zwischen Bild und Betrachter beweglich – manchmal auch im Wortsinn: Mariam Mekiwis Video, das zum Tahrir-Platz laufende Füße zeigt, steht auf dem Museums-Fußboden und zieht einen direkt ins Geschehen hinein. Ein geschicktes Interaktions-Angebot, hiesige Füße neben gefilmten Kairoer Füßen, da ist man sofort mittendrin, Zeit und Raum verlieren an Relevanz.
26, Regisseurin, ist in Alexandria aufgewachsen und wohnte bis 2013 in Kairo in Sichtweite des Tahrir-Platzes. Seit einem Jahr studiert sie als Stipendiatin der Hamburger Hochschule für bildende Künste und arbeitet an einem Film mit dem Arbeitstitel "Revolutionäre Hormone", der von Sex und Liebe während der Revolution handelt.
Seit Ende August ist sie - erstmals seit sechs Monaten - in Kairo, um ihre Eltern und Freunde zu besuchen. Sie sagt, um ihr Leben habe sie keine Angst. Wohl aber, die Hoffnung auf eine echte, befreiende Revolution zu verlieren, die ihren eigenen Rhythmus hat.
Auch die Grenze zwischen Politik und Ästhetik verschwimmt – etwa, wenn westliche Profi-Fotografen ästhetische Fotos grausamer Szenen machen und eine Distanz erzeugen, die aus Sicht der Opfer unerträglich wirken muss. Nicht weit davon Abbildungen des eins zu eins fotografierten Leidens, die Bürgerjournalisten machten. Welche Perspektive wird der Revolution eher gerecht, welche hat ihren Verlauf und ihre Außenwirkung stärker geprägt? Die Hamburger Schau lässt die Fragen offen und schafft es zudem, die gegensätzlichsten Regungen gleichzeitig zu transportieren, die denkbar sind: Mitgefühl und Provokation.
Kim Badawi: Zuschauer bei Projektionen
"Das ist eine sehr ästhetische Momentaufnahme einer spannungsgeladenen Situation: Menschen auf dem Tahrir schauen auf eine Projektion, vielleicht auf Facebook. Es bricht mir das Herz, wenn ich so etwas sehe, denn diese jungen Leute haben elementare Hoffnungen und Nöte. Sie sind auf diesem Foto für die Ewigkeit mumifiziert, aber vielleicht leben sie schon nicht mehr, während ich hier im Museum stehe und mit Ihnen spreche. Ich meine - natürlich darf sich die Kunst mit der Revolution befassen. Trotzdem kann es nicht richtig sein, dass für teure Revolutions-Filme etwa in Cannes Tausende Dollars fließen, währen die Menschen in Ägypten dringend Hilfe brauchen."
Khan/Mekiwi: I Will Speak of the Revolution
"Das ist ein Video, das ich mit Nadine Khan gemeinsam gedreht habe. Es zeigt Menschen in Bewegung, und gemeint sind diejenigen, die zum Tahrir-Platz marschieren. Was wir damit sagen wollen: Diese Revolution ist ja nicht zu Ende, nur weil es jetzt eine Ausstellung gibt. Diese Revolution läuft noch, und ich bin so durcheinander, dass ich gar nichts Gültiges dazu sagen kann. Und die Kunst kann es eigentlich auch nicht. Sie ist immer ein subjektives Statement und in jedem Fall weiter weg vom Geschehen als zum Beispiel die Fotos der Bürgerjournalisten, die diese Ausstellung ja auch zeigt. Die Kunst hat, finde ich, einfach kein Recht, die Revolution als abgeschlossenen Prozess zu betrachten. Das wollen zwar viele gern: Es gibt ja viele Experten, die Lösungen in petto haben. Und selbstverständlich bin auch ich gegen die Muslimbrüder - ich bin gegen jede Vereinigung, die auf Religion und Testosteron basiert. Ich wünsche mir dringend die Demokratie. Aber man kann die nicht ad hoc in einem Land einführen, das quasi seit den Pharaonen versklavt war. Die Ägypter müssen ihre eigene Form finden. Deshalb ist unser Video, das die anonyme Masse zeigt, für uns der einzig mögliche Kommentar."
Osama Dawod: Maspero
"Hier sieht man die Zentrale der Manipulation: die Fernsehstation. Die ägyptischen Medien spielen die übelste Rolle, die ich mir vorstellen kann. Sie haben uns jahrzehntelang belogen, und auch jetzt hetzen sie. Diesmal gegen die Muslim-Brüder. CNN und andere US-Medien hetzen derweil die andere Seite auf. Wissen Sie, ich habe nie an Verschwörungstheorien geglaubt, aber jetzt, aus der Distanz, begreife ich, dass da Dinge parallel laufen, die nichts miteinander zu tun haben: einerseits die Revolution des ägyptischen Volkes. Andererseits das interessengeleitete Hätscheln wechselnder Staatschefs durch die USA: Anfangs wollte Obama Mubarak halten, denn der ist sein Mann im Mittleren Osten. Dann plötzlich rief Obama: ,Mursi is my man'. Dann wurde auch er abgesetzt ... das ist alles kein Zufall und hat mit der eigentlichen Revolution nichts zu tun."
Jonathan Rash: The Dragged Woman
"Hier sieht man ganz konkret die Gewalt, die vom Regime ausging. Mubarak hat eine Spur der Gewalt durch das Land gezogen, und jetzt tut es das Militär. Ich habe ja in Kairo zwei Minuten vom Tahrir-Platz entfernt gewohnt und die Brutalität hautnah miterlebt. Sehr oft kamen Freunde, die bei den Auseinandersetzungen verletzt worden waren, in meine Wohnung, um sich verarzten zu lassen. Das war emotional sehr belastend für mich. Trotzdem empfinde ich keinen Hass, wenn ich diese brutalen Fotos ansehe - nicht einmal auf diesen Typ hier, der einmal auf mich schießen wollte. Denn das alles kam ja nicht plötzlich, das ägyptische Volk hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Wir alle sind letztlich Opfer der jahrzehntelangen Unterdrückung."
Videokollektiv Mosireen: Gasbombs in Tahrir
"Das ist ein sehr trauriges Foto des Gasangriffs auf dem Tahrir-Platz im Jahr 2011. Ein stilles Bild, der Nachklang der Gewalt. Und ein Bild, das das "Symbol" der ägyptischen Revolution, den Tahrir-Platz in Kairo, einmal anders transportiert. Denn das ist er durch die Medien wirklich geworden: ein Sinnbild der ägyptischen Revolution. Dabei ist der winzige Tahrir-Platz gar nicht deren Keimzelle. Begonnen hat sie in allen Bezirken von Kairo - durch die Menschen auf der Straße, deren Parole war: Brot, soziale Gerechtigkeit, Freiheit. Mit diesen Worten sind wir zum Tahrir gelaufen, weil er der sicherste Ort war. Und da dort zufällig die westlichen Kameras standen, wurde er zum Symbol. Und diese Öffentlichkeit war wichtig, um die Brutalität des Regimes bekannt zu machen. Mubarak hat das Land 30 Jahre lang ruiniert, hat Enklaven für Geschäftsleute und Elend für die anderen geschaffen. Er schuf ein Land voller Hass, Krankheit und sexueller Frustration."
Die läuft bis zum 17. November 2013, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe
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