Bildband Der Ausstellungsmacher Myles Little versucht ein Bild von den „1 % Privilege in a Time of Global Inequality“ herzustellen: Draußen vor dem Tor
von Brigitte Werneburg
Der Bildband „1 % Privilege in a Time of Global Inequality“ will uns endlich die fehlende, sinnlich visuelle Vorstellung des Reichtums jenes einen Prozents der Menschheit geben, das − wie der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz im Vorwort schreibt – genau die Hälfte des weltweiten Wohlstands besitzt. So jedenfalls muss man den Titel des Bildbands verstehen, der die weltweit tourende Ausstellung begleitet, die der leitende Bildredakteur des New Yorker Time Magazine, Myles Little, zusammengestellt hat.
Mit seinem Vorhaben kommt er nicht weit. Symptomatisch dafür steht die Fotografie „Kamiah, Idaho, 2008“ des US-amerikanischen Fotografen Alec Soth. Sie zeigt eine Auffahrt im Nirgendwo. Die Szenerie ist vage, eindeutig ist nur das stürmische Wetter, wie die umstehenden Bäume und die dichten Wolken anzeigen. Vielleicht gerade deswegen riecht die Aufnahme nach Geld und vermittelt den Eindruck, der Weg führe auf ein beachtliches Anwesen.
Nur kommen der Fotograf und wir mit ihm nie dort an. So anschaulich die Fotografie alles Elend der Welt, ob Kriegsgräuel, Hungersnöte, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Gewalt und Kriminalität dokumentiert – den Reichtum des einen Prozents, der zweifellos einen kardinalen Anteil am Elend dieser Welt hat, ihn verfehlt sie regelmäßig zu packen. Ihn bekommt sie immer nur symbolisch zu fassen. Kein Fotograf schafft es, näher heranzukommen, als es Paolo Woods und Gabriele Galimberti 2013 gelang, Christian Pauli dabei zu fotografieren, wie er im Freihafen von Singapur die sieben Tonnen schwere Tür zu einem Tresorraum öffnet. Die Anlage arbeitet, wie die Bildunterschrift besagt, mit biometrischer Erkennungssoftware, Hunderten von Kameras, Vibrationserkennung und einem Stickstofffeuerlöschsystem.
Im selben Jahr nahmen Woods und Galimberti auch den Mann auf, der im 57. Stock des Marina Bay Sands Hotel vor der Skyline Singapurs den Swimmingpool genießt. Ein Bild, das den Zusammenhang von Geld und Herrschaft immerhin ein wenig greifbar macht.
Denn es ist doch so: Wenn Zed Nelson 2011 die operative Nasenkorrektur eines 25 Jahre alten britischen Geschäftsmannes fotografiert, dann würde man diesen Typ gerne mal ein paar Tage durch sein Leben begleiten. Das wäre neues Wissen. Wo und wie bewegt sich ein Hedgefundmanager durchs Leben, der, wie etwa Kenneth Griffin, 1,3 Milliarden Dollar im Jahr verdient? Lässt sich das recherchieren? Ergäben nicht dann erst Shane Lavalettes’ Detailstudie von Stühlen in der Harvard University tieferen Sinn? Und was sollen ausgerechnet in diesem Band die Bilder der Lumpensammler in Südafrika, des ölverseuchten Nigerdeltas oder der Kirchgänger von Pastor Eddie Long in Atlanta, dessen Baptist Church den wahren Gläubigen Reichtum verspricht?
Einmal mehr müssen die Opfer politischer und sozialer Ungerechtigkeit herhalten, um auf diejenigen zu zeigen, welche die 99 Prozent Normalsterblichen nicht zu fassen bekommen. Es ist schändlich.
Myles Little (Hg.): „1 % Privilege in a Time of Global Inequality.“ Texte von Geoff Dyer, Myles Little, Joseph Stiglitz. Hatje Cantz Verlag, Ostfieldern 2016, 80 S., 35 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen