Bilanz der Saison des Bremer Theaters: Spielen mit der Seuche
Gute Zahlen, künstlerisch eher mittel hinter Hamburg und Hannover und seit Monaten im Lockdown: Die Spielzeit des Bremer Theaters ist vorbei.
Im Banne von Covid-19 seien dort nur ein Fünftel der geplanten Einnahmen zu erzielen. Aufgrund der Abstandsregeln dürfen nur 193 Sitze der 890 im Theater am Goetheplatz sowie 52 der 200 im Kleinen Haus verkauft werden, der Brauhauskeller als Spielort entfällt. Ob die wenigen Plätze chronisch „ausverkauft“ sein werden, da ist Börgerding skeptisch. Man habe ja bei der Wiedereröffnung der Restaurants gesehen, dass die Lokale nicht gerade gestürmt wurden.
Und auch bei weiteren Lockerungen der Distanzgebote müsse erst mal abgewartet werden, „ob die Menschen schon wieder Lust haben, nah beieinander im Theater zu sitzen.“ Gespart werden müsse auf alle Fälle. So sollen möglichst wenig Gäste engagiert und Produktionen einige Tage en suite gespielt werden, damit weniger Umbauten notwendig sind.
Künstlerisch war die abgelaufen Spielzeit durchwachsen. Die Oper glänzte mit seriös modernem Repertoirefutter – mit zwei Ausreißern: grandios gelungen Marco Štormans Inszenierung der Wolfgang-Rihm-Oper „Jakob Lenz“, klischeesatter Tiefpunkt die Gala „Pariser Leben“. Im Vergleich zu anderen norddeutschen Musiktheatern toppen nur die Kollegen in Lübeck und Hannover mit ihren politisch und ästhetisch avancierteren Premieren die Bremer Oper.
Premiere:
Mani:Fest der Jugend, digital und analog, Goetheplatz, Sa, 11. 7., 12 Uhr, Anmeldung:ja@theaterbremen.de
Dernieren:
„Aus dem Hof“, Fr–Sa, 17 und 19 Uhr, So, 12 Uhr
„Komm!“, Sa, ab 14 Uhr, So, ab 10.30 Uhr
Das Schauspiel lieferte eine zerfasernde Saison. Im gemein zugespitzten Schnelldurchlauf: Auf den Top-Flop, Mehdi Moradpours „Attentat“, folgten ein üblich fader Textaufsageabend von Felix Rothenhäusler und zum Ausgleich Alize Zandwijks darstellerisch mitreißende „Vögel“-Regie.
Konzeptionell verirrt kam Ibsens „Rosmersholm“ daher, der Madonna-Abend scheiterte als Auseinandersetzung mit der Pop-Phänomenin, Horváths „Jugend ohne Gott“ wurde in schönster Klarheit erzählt. Beeindruckend die Jungbürgerbühnen-Inszenierung „Frühlings Erwachen“, vertändelt die feministische Sicht auf Émile Zolas „Nana“. Schließlich langweilte eine unambitionierte „Dreigroschenoper“.
Trotzdem reicht es im Nord-Vergleich zu Platz vier der Sprechtheater: Nur das Hamburger Thalia-Theater und das Deutsche Schauspielhaus spielten eine deutlich bessere Saison, das Schauspiel Hannover zeigte sich mutiger als Bremen. Wo die Tanzsparte künstlerisch ins Abseits rutscht, sucht sie doch weiter nach ihrer Identität zwischen kühler Abstraktion und szenischer Exaltation. Erfreulich fürs Moks: Klassenausflüge ins Theater sind ab Herbst wieder erlaubt.
Was die neue Saison verspricht? Maximal wenige Menschen auf der Bühne bei absolutem Berührungsverbot und Abstandsgebot sind die freudlosen Maßgaben. Viele Regiehandschriften werden daher aus dem Programm verschwinden, monologisches Frontaltheater scheint das Format der Pandemie. Erst wenn die Abstandsregeln fallen, sei wieder Oper möglich, so Börgerding. Der erst mal nur bis Ende 2020 aufgestellte Spielplan besteht aus uminszenierten Wiederaufnahmen und mit Blick auf Seuchenschutzregeln konzipierten Projekten.
Wie so viele andere Häuser auch kündigt das Theater Bremen nun eine Mono-Oper für Sopranistin und Klavier an: Nadine Lehner singt Francis Poulenecs „La voix humaine“. Da das Ensemble aber keine Lust hat, nur noch allein Arien über die Rampe zu schmettern, wird eine Revue mit Duetten, Terzetten und Ensembles erarbeitet: „Mit Abstand das Schönste“.
Rossinis „L’Italiana in Algeri“ ist „halbszenisch“, also vor allem konzertant zu erleben, mit John-Lennon-Liedern soll ein weiterer Abend gestaltet werden und Mozarts „Zauberflöte“ in einer Fassung für zwölf Musiker und Erzähler auf die Bühne kommen. Die Verluste gegenüber einem herkömmlichen Opernspielplan sind gravierend, die Gewinne nicht abzuschätzen, da alles nur klein, nicht innovativ ins Offene gedacht wirkt.
Perspektivisch eine große Veränderung kündigt sich im Schauspiel an. Weiterentwickeln will es der neue Spartenleiter Stefan Bläske. Bereits 2012 hatte er sich bei Börgerding als Dramaturg beworben, vergeblich. Warum jetzt erneut? Ist er doch etabliert als Chefdramaturg des Niederländischen Theaters Gent in Belgien und hat fünf Jahre intensiv mit Intendant Milo Rau gearbeitet, der weltweit dafür gerühmt wird, Dokumentartheater als konkrete politische Aktion aufzusprengen. Künstlerisch begeistert Raus Kunst den Dramaturgen bis heute, der dabei gepflegte menschliche Umgang allerdings nicht. Bläske ersehnt sich Theater als arschlochfreie Zone. „Ich habe recherchiert, an welchem Haus fair miteinander umgegangen wird und das Betriebsklima eher familiär ist. Immer wieder wurde Bremen erwähnt.“
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