: Big Brother is watching
Die Olympischen Spiele werden die größte Polizeiaktion, die Norwegen je initiiert hat / Bombenhunde aus Nordirland, ferngesteuerte Roboter und ein vermeintlich perfektes Datasystem ■ Von Reinhard Wolff
Lillehammer (taz) – Seit gestern sind in den Kitchen ganz viele Zimmer frei. Alle Zellen in den Polizeiarresten und Gefängnissen von Lillehammer und Umgebung wurden geräumt. Alle bisherigen InsassInnen wurden in andere Haftanstalten verlegt. Nur die Bediensteten halten noch Wacht. Das Personal muß in den leeren Gefängnissen nicht nur Dienst schieben, sondern es besteht auch eine Urlaubssperre: Man wartet auf Olympiagäste.
Jeden Tag der Lillehammer- Olympiade werden mindestens 100.000 Zugereiste erwartet. Und nicht alle haben nur den Wintersport im Sinn. Deshalb haben auch die RichterInnen von Lillehammer, Hammar und Gjövik alle Termine für die beiden Olympiawochen abgesagt, um Luft für Schnellverfahren zu haben.
Doch nicht erst jetzt wirft die Winterolympiade ihre Schatten in puncto Sicherheit voraus. Seit Dezember sind die Grenzkontrollen nach Norwegen deutlich verschärft worden. Auch wenn man es in Oslo nicht so laut sagt: Angst herrscht vor einer Terroraktion aufgrund des Nahost-Konfliktes. Nicht nur wegen der Vermittlerrolle Norwegens beim Friedensprozeß zwischen Israel und Palästina, der innerhalb der palästinensischen Fraktionen stark umstritten ist, sondern weil gerade Lillehammer Schauplatz einer in Palästinenserkreisen nach wie vor nicht vergessenen Terroraktion des israelischen Geheimdienstes war.
1973 wurde in der Olympiastadt ein Palästinenser auf offener Straße erschossen, den Israel – ganz offensichtlich zu Unrecht – der Teilhaberschaft am Attentat auf die israelische Olympiamannschaft bei der Olympiade von München 1972 verdächtigte. Ein pensonierter Mossad-General hat im letzten Jahr diese Geheimdienstaktion im israelischen Fernsehen offen zugegeben, und es gibt Hinweise darauf, daß auch norwegische Sicherheitsorgane informiert waren. Aus verschiedenen palästinensischen Organisationen war damals der Ruf nach Rache vernehmlich zu hören.
Ungesetzliche Aktionen der weniger schwerwiegenden, aber für Norwegens Image extrem peinlichen Art werden aus den Reihen verschiedener, teils militanter Umweltschutzorganisationen erwartet. Norwegen hat im letzten Jahr trotz weltweiter Proteste den kommerziellen Walfang wieder aufgenommen und will auch in diesem Jahr nicht davon lassen.
Walschützer liebäugeln mit Olympia-TV-Kameras
Nicht nur Greenpeace soll einige publikumswirksame Aktionen vor dem Forum der Winterolympiade planen, der militante US-Walschützer Paul Watson und seine Leute stehen ebenfalls im Verdacht, die TV-Kameras von Lillehammer für ihre Botschaft gebrauchen zu wollen.
Im polizeilichen Datensystem ist jedes denkbare Szenario eines Attentats oder einer Protestaktion, aber auch einer umfassenden Lebensmittelvergiftung, dem Ausbruch von Bränden und den täglich erwarteten Verkehrsstaus durchgespielt und die Reaktion der Sicherheitskräfte hierauf abrufbereit gespeichert. Je nach den einfließenden Daten über etwaige Aktionsverläufe werden die Einsatzpläne und Reaktionsoptionen ständig angepaßt, überprüft und erneuert. Und Olympia-Polizeichef Arne Huuse glaubt, mit Hilfe dieses avancierten Datasystems auch das Manko seiner relativ kleinen Polizeigruppe ausgleichen zu können. Waren bei der Olympiade von Albertville 8.000 PolizistInnen im Einsatz und anläßlich der Sommer-Olympiade von Barcelona gar über 30.000, so will man in Lillehammer mit knapp 3.000 auskommen. Zur Irritation einiger ausländischer Polizeibehörden, die sich in den letzten Wochen bei Huuse die Klinke in die Hand gegeben haben, um sich über die Sicherheit für die einheimischen Mannschaften zu erkundigen.
Arne Huuse, dessen Umgang mit der Datenverarbeitung sich nach eigenen Angaben in der Fähigkeit erschöpft, den Stecker in die Steckdose stecken zu können, vertraut auf die Elektronik und Datentechnik, in die der größte Teil der 70 Millionen Mark geflossen sind, mit denen Norwegens Polizei olympisch aufgerüstet wurde. Berücksichtigt man, daß ein großer Teil des Bewachungssystems geheim ist, scheinen Ohren und Augen des Großen Bruders tatsächlich von bisher kaum gekanntem Umfang.
Ferngesteuerte TV-Kameras überwachen nicht nur alle Wettkampfstätten, sondern faktisch ganz Lillehammer. Angaben über alle BewohnerInnen der Stadt und ihrer Umgebung sind gespeichert. Das gesamte norwegische Strafregister, alle gestohlenen Autos, die AusländerInnenkartei, das Fahndungsregister hat der Große Bruder ebenfalls vollständig im Kopf. Annehmen darf man, daß neben Oslos kleiner, aber feiner AnarchistInnenszene und international bekannten UmweltschutzaktivistInnen auch manch BesucherIn lange vor der Ankunft bereits Platz auf den Mikrochips gefunden hat.
Ein neues abgeschirmtes und angeblich völlig abhörsicheres Kommunikationssystem bindet die Überwachungsstationen vom norwegisch-schwedischen Grenzübergang bis zum Flughafen von Oslo, von jedem Fährhafen bis zu den Straßenverbindungen nach Lillehammer zusammen. Die Luxus-Karossen der IOC-Herren und der VIP-Gäste sind mit Sendern ausgestattet, die ihre Position jede zehnte Sekunde in die Zentrale melden. Von oben wacht eine Flotte neuer Helikopter mit wärmesuchenden Kameras, im Gelände lauern wendige, mit Ketten ausgerüstete Schneemobile. Und weil es hierfür noch keinen elektronischen Ersatz gibt, hat man auch gute, alte Vierbeiner im Reservoir: 100 Narkotika- und Bombenhunde, zum Teil aus Nordirland ausgeliehen.
Das, was für zwei Olympiawochen für Norwegens Polizei angeschafft worden ist, wird – wie Arne Huuse mit einigem Stolz prophezeit – diese zu einer der modernst ausgerüsteten Polizeistärken der Welt machen. Das Olympia-Überwachungssystem wird also keinesfalls nach den Spielen eingemottet, sondern soll offenbar als landesweit wachsender Großer Bruder ausgebaut werden. Wogegen sich langsam Protest formiert, der auch viel mit der Person des Olympia- Polizeichefs zu tun hat.
Dieser ist in außerolympischen Zeiten Oslos oberster Kriminaler und als solcher bei den Leuten unter der schwarzen Fahne geradezu als Abbild des „häßlichen“ Polizisten verschrien. Einige ungewöhnlich harte und unverhältnismäßige Aktionen gegen das antirassistische und das Hausbesetzermilieu haben auch liberale Zeitungen fragen lassen, ob der einst als Soldat im Bürgerkrieg in Belgisch-Kongo aktive Huuse nicht die dortige Zeit mit dem Kleinstadtdschungel Oslos verwechsle.
Angesichts dessen könnte es sich allerdings auch als Segen erweisen, daß der Hitzkopf Huuse bei seinen olympischen Sicherheitsaktivitäten vom Großen Bruder und seinen Mikrochips an die Leine genommen wird. Er hat dadurch auch viel mehr Zeit, sich mit seiner eigens angefertigten 2.000 Mark teuren, mit Gold und Eichenlaub dekorierten Galauniform in den Prominenten-Logen bewundern zu lassen.
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