Bierzeltband Münchner Zwietracht: Und jetzt singt ihr alle
Ein Abend im Oktoberfestzelt ist eine minutiös geplante Inszenierung. Die Band Münchner Zwietracht spielt schon seit 1995 auf der Wiesn.
„Das hier ist unser Jägerstand“, sagt Wolfgang Köbele und erklimmt links neben der Bühne die schmale Treppe. „Da sieht man alles.“ Köbele und seine Band Münchner Zwietracht haben die Menschen unten im Bierzelt im Blick. Und sie sind auch diejenigen, die die Masse durch diesen Abend auf dem Oktoberfest steuert.
Nach der Pause, gegen 20.45 Uhr besteigt die Band die Holzbühne für diesen Abend zum letzten Mal. „Endspurt“, sagen sie. „Dann geben wir Gas“. Die kommenden knapp zwei Stunden wird durchgespielt. „Weine nicht, wenn der Regen fällt“, lautet der Text des folgenden Liedes von Drafi Deutscher, „dam dam, dam dam“. 52 Jahre ist das alt. Schon beim ersten „Dam dam“ stimmt das Festzelt im Chor mit ein.
Für die Besucher der Wiesn mag ein Abend im Bierzelt Überraschungen bringen. Die Betreiber und die Band aber spulen eine bis ins Detail geplante Inszenierung ab. Die „Münchner Zwietracht“ spielt schon seit 1995 auf dem Oktoberfest. 19 Jahre lang im als Promizelt titulierten „Hippodrom“ des Wirtes Sepp Krätz. Nach dessen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung verlor er seine Konzession, die Zwietracht blieb dem Nachfolgerzelt erhalten, dem „Marstall“.
Ein von der Band gut konstruierter Bierzeltabend – das ist eine ganz kalkuliert hervorgerufene Raserei mit abklingendem Ende. Das unverwüstliche „I will hoam nach Fürstenfeld“ wird angestimmt, jeder kennt den Refrain. Die Band spielt schnell und mit treibendem Bass, im Zelt wird es lauter, stickiger, verschwitzter. Die Menschen reißen die Hände in die Luft, wiegen sich auf den Bierbänken hin und her, singen.
Pulsieren im gleichen Takt
Dann „Viva Colonia“: „Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust.“ Es ist ein Pulsieren im gleichen Takt. Wolfgang Köbele, 59 Jahre, kahler Kopf, ruft oben vom Jägerstand aus ins Mikrofon: „Wer singt, der trinkt, die Kehle wird es euch danken.“ Angestimmt wird: „Ein Prosit der Gemütlichkeit“. Das ist wie eine kleine Pausenschalte, die gläsernen Maßkrüge mit Spaten-Bier klacken und klirren aneinander.
Das Geheimnis eines guten Bierzeltabends bestehe darin, „Synergie mit dem Publikum zu schaffen“, erläutert Köbele ein paar Tage vor der Wiesn beim Gespräch. Es müsse „ein Hin und Her“ entstehen zwischen den Leuten unten und der Band. Ganz bewusst fördert er das immer wieder mit Ansagen wie: „Und jetzt singt ihr alle.“
Der Bassist sagt: „Ich finde es schön, wenn die Menschen singen. Ich höre das sehr gerne. Wir sind dann in einem Boot, auf einer Welle.“ Ohne Publikum könne man nicht spielen: „Das sind nicht meine Feinde, sondern meine Freunde.“ Und: „Wer bekommt in seinem Job schon jeden Abend Applaus?“
Unter den 14 großen Wiesnzelten, die treffender auch als Festhallen bezeichnet werden, ist das Marstall ein kleines. 3.500 Leute passen rein, und nochmal 700 in den Biergarten draußen. Es ist etwas edler und teurer als die anderen Zelte. Ein Wiesnbesuch für eine Gruppe schlägt mit einigen Hunderten, oft auch Tausenden Euro zu Buche.
Die Menüs, vom Bauern- bis zum Gourmetpfandl, kosten zwischen 55 und 89 Euro pro Person. Der Bierpreis liegt bei 10,90 Euro für die Maß. Der Promifaktor im Marstall gilt als hoch. An diesem Abend hat die Münchner Zwietracht von oben den gelben Haarschopf von Boris Becker im Blick.
Volksmusik ist out
„Früher hat man im Bierzelt ja vor allem geschunkelt“, erinnert sich Wolfgang Köbele. Herkömmliche Volksmusik wurde aufgespielt, die heute als völlig veraltet gilt. Seit, grob gesprochen, 20 Jahren geht es viel wilder, körperlicher zu. „Die Besucher werden jünger“, sagt Köbele. Und die Tracht wurde neu geschaffen. Mädels und Frauen tragen Dirndl, Jungs und Männer Lederhose und kariertes Hemd.
Das ist ein Phänomen nicht nur auf der Wiesn, sondern in ganz Deutschland und auf der gesamten Welt. Die Zwietracht spielt regelmäßig auf dem großen Oktoberfest in Oberhausen im Ruhrgebiet. „Alle tragen dort bayerische Tracht“, berichtet Köbele. Nicht anders ist es in den USA, in Mexiko oder in Asien, wo die Band Tourneen absolviert hat.
Den Sinn der Tracht interpretiert der Musiker so: „Die Menschen verkleiden sich gerne, sie schlüpfen in eine andere Rolle.“ Verdeckt durch die Verkleidung, könnten sie ungehemmter ihren „Urinstinkten“ nachgeben: „Feiern, flirten, singen, trinken.“ Mit bayerischer Brauchtumspflege habe das nichts zu tun.
Etwas wortkarg sitzt die Münchner Zwietracht in der Pause in ihrem kleinen Holzraum unter der Bühne. Was ist auf dem Münchner Oktoberfest besser als anderswo? Trompeter Heinzi Fuhrmann sagt: „Der Anfahrtsweg ist kürzer.“ Sänger Gerry Grass meint zur Frage, wie oft sich die Band verspielt: „Eher sind wir tot, als dass wir falsch spielen.“
Rosi hat ein Telefon
Pro Wiesnabend stehen 80 Lieder auf der immer gleichen Setlist, viele davon nur kurz im Medley. „Da gibt es die Essenz“, sagt Wolfgang Köbele, „wir verzichten auf die unnötigen weiteren Strophen.“ Im Zickezacke-Tempo dröhnen von der Bühne Textzeilen wie: „She’s a super girl“, „Bitte Baby, mach dir nie mehr Sorgen um Geld“, „Ich wünsch’ dir noch ein geiles Leben“ und sogar das alte „Tausend Mal berührt“.
Zwei südkoreanische Besucher dürfen rauf, sie tanzen zur Spider Murphy Gang: „Und Rosi hat ein Telefon, auch ich hab ihre Nummer schon.“ Auf den Bänken schreien sich völlig Unbekannte an: „Ich will zurück nach Westerland!“ Junge Dirndl-Schönheiten trinken den Champagner direkt aus der Magnumflasche, 1,5 Liter Moet & Chandon für 230 Euro. Zwei Männer legen sich mit ihren Bier-Maßn auf den Boden und spielen betrunken, lassen sich fotografieren.
Bis auf die Minute genau ist der Abend geplant, geprobt, einstudiert. Die Münchner Zwietracht sind Handwerker, die harte Arbeit leisten. Rund vier Stunden lang spielen sie, 18 Wiesntage durchgehend. „Nach vier oder fünf Auftritten ist es immer das Gleiche“, sagt Köbele. Bis 20.30 Uhr wird im Zelt gegessen, die Musik ist dezent. Dann wird das Licht gedimmt, die Party auf den Bänken beginnt. Wird es zu turbulent, legt die Combo „Ein Prosit“ ein – „das nimmt Luft raus“, sagt Jöbele.
Was bedeutet ihm die Band? Der Musiker erzählt, dass er kürzlich beim Konzert der Rolling Stones im Münchner Olympiastadion war. „Wer will Mick Jagger oder Keith Richards allein hören?“ Keiner. „Die Leute wollen die Stones hören.“ Köbele sagt: „Wir machen es zusammen, es geht nur so.“ Teile der Gruppe kennen sich schon ewig. Eine Band halte nicht lange, „wenn ein Arschloch dabei ist“.
Bayernhymne
Eigentlich, sagt Wolfgang Köbele, komme er aus der traditionellen Volksmusik. Zum Beginn ihrer Karriere hat Karl Moik die Zwietracht im „Musikantenstadel“ auftreten lassen. Es gab Tourneen mit Maria Hellwig, Patrick Lindner oder auch Rex Gildo. An verschiedenen Grand-Prix-Entscheidungen nahmen sie teil, etwas beim Wettbewerb für Volksmusik und dem für „gute Laune“. Im ZDF „Fernsehgarten“ haben sie „Sierra Madre“ gespielt – ein Lied, das es auch von Heino und Tony Marschall gibt. Aber Volksmusik stirbt im überregionalen Fernsehen langsam aus.
Die letzte halbe Stunde wird im Marstall durchgerockt, ein Klassiker nach dem anderen, die Bierzelt-Hits für die Ewigkeit. „Smoke on the Water“, „Don’t stop believing“, „Summer of 69“. Dann „Highway to Hell“, aber das ist kurz vor 22.30 Uhr noch nicht ganz das Ende. Zuletzt stimmt die Münchner Zwietracht die Bayernhymne an, wie immer. „Das ist ein wunderschöner Abschluss“, sagt Wolfgang Köbele. Wie auf einem CSU-Parteitag wird nun gesungen: „Gott mit dir, du Land der Bayern.“
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