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Bierhoffnung, haha

Wie ein zufälliger Kopfball die Stimmung in Fußball-Deutschland kippen lässt: Durch „Bierhoffs Auferstehung“ beim 3:2 über Tschechien geht das DFB-Team vor der EM in die Optimismus-Offensive

aus NürnbergBERND MÜLLENDER

Eigentlich waren es zwei Spiele. Das eine bestand aus knapp 90 unterhaltsamen Minuten zweier offensivfreudiger Mannschaften und endete 2:2. Das andere aus der einen Sekunde in der 90. Minute: Aus einer krummen Flanke von Ziege, einem gewohnheitsmäßig steif, aber hoch springenden Bierhoff und dem anschließenden Kopfball, der zum 3:2 ins Tor segelte.

Schon das erste Spiel hatte deutsche Stereotype satt geboten: den gewohnt sicheren Torwart Kahn. Die gellenden Pfiffe bei der Namensnennung des Ersatzhüters Lehmann. Eine Abwehr, die gegen die starken Stürmer Jan Koller (RSC Anderlecht) und Lazio Roms Pavel Nedved etliche Zweikampf- und Stellungsfehler zeigte. Die aber meist stark genug war, diese frisch und einsatzfreudig wett zu machen. Vor allem durch Abwehrmann Thomas Linke mit dem nationalitätstypischen Drang zum Opfertum: Erst wurde er von einem Tschechen kurzfristig K.o. geschossen, dann von Oliver Kahn zu Boden gerammt, was jeweils minutenlange Behandlung im Vaterlandsdienst bedeutete, nicht aber das Ende seiner Laufleidenschaft.

Und vorne das Glück: der geschenkte Elfmeter. Auch hinten das Glück: beim ausbleibenden Strafstoßpfiff kurz danach. Der halbhohe Häßler war groß genug, um neben lichten Momenten viel Schatten aufs Mittelfeld zu werfen. Und wieder ein unberechenbarer Carsten Jancker, der in, wenn man das sagen darf, bester Gerd-Müller-Manier das 1:0 erzielt hatte. Ungewöhnlich war höchstens das 2:2 durch einen pechhaft abgefälschten Distanz-Freistoß. Dass der Unglücksrabe Ballack hieß, passte schon wieder ins Bild.

Der Rest war Oliver Bierhoff. Worte von Bierhoff. Worte über Bierhoff. Und Spekulationen, vor allem psychologische, was das glückliche Comeback des Kapitäns und sein erneutes Golden Goal wieder gegen die Tschechen (wie bei der EM 1996) womöglich bedeutet. Die, haha: Bierhoffnung. Im ersten Spiel war er erst in der 57. Minute eingewechselt worden. Nah an der Demütigung für den zuletzt formfreien Volkshelden und Kapitän. Fünf Minuten später gab es den seltsamen Elfmeter. Wer schießen würde, war nicht abgesprochen. Bierhoff ging gleich hin, nahm Rink den Ball weg. Wer 615 Minuten im Nationaldress torlos ist, sucht jede Chance. Und er drosch das Ding mittig und Vollspann hinein. Der Mann auf dem Weg zum fußballerischen Sozialfall war wieder Mitglied der Gesellschaft geworden. Den Rest von Spiel 1 brachte er übrigens, ungelenk und fremdkörperhaft, nichts mehr zustande.

Doch dank Spiel 2 konnte Teamchef Erich Ribbeck zum atmosphärischen Befreiungsschlag ausholen: „Ich war nie so deprimiert, wie das manche dachten oder gewünscht hatten.“ Und er präsentierte, um Understatement bemüht, wieder seine typischen Sätze zwischen Logik und Redundanz, für die er allmählich berühmt ist: „Ich bin froh über den Siegtreffer, weil wir es verdient hatten.“ Oder: „Der Sieg gibt das nötige Selbstvertrauen, um weiter intensiv zu trainieren.“ Oder: „Oliver hat im Training sehr gut mitgehalten. Das Tor war so wichtig, weil wir dadurch das Spiel gewonnen haben, verdient gewonnen.“ Oder über die EM-Gegner: „Alle die dabei sind, sind erstklassig.“

Aha! Deutschland also auch. Und Deutschland hofft jetzt wieder. Optimismus-Offensive ist plötzlich angesagt. DFB-Vize Gerhard Mayer-Vorfelder diktierte seine Erkenntnisse generalstabsmäßig: „Die Spannung baut sich auf. Die Köpfe sind frei. Wir sehen eine stete Aufwärtsentwicklung. Jetzt wollen es die Spieler wissen.“ Horst Hrubesch sekundierte: „Wir liegen im Plan.“ Und der noch verletzte Lodda beisenftete: „Die Mannschaft hat sich gefunden.“ Der Einzige, der die Spiele 1 und 2 logisch verband, war der nüchterne tschechische Trainer: „Der Elfmeter, der keiner war, hat Herrn Bierhoff für das weitere Spiel sehr geholfen.“ Bierhoff selbst holte erst mal zur konjunktivistischen Medienschelte aus: Was wohl wieder „Schlechtes geschrieben“ worden wäre ohne sein Tor. Für welche „Unruhe das gesorgt“ hätte. „Wenn ich den Elfmeter verschossen hätte, was wäre da wieder interpretiert worden: übermotiviert und so.“ Man merkte, wie das Bankdrückerdasein an ihm genagt hatte: „Ich musste das zähneknirschend akzeptieren.“ Ganz locker war das nicht gegangen, der Trainer, sagte Bierhoff, habe ihn schon „beruhigen müssen“. Aber er ist eben Profi: „Wie ich die Ruhe bewahrt habe, ist nicht selbstverständlich.“ Bild am Sonntag schrieb gestern biblisch von des Stürmers „Erlösung“ und der nachfolgenden „Auferstehung des Oliver Bierhoff“ durch seine „Tor-Explosion“. Und beschwor mit Rückblick auf das Trainingslager in Mallorca den „Geist vom Ballermann“, der „den EM-Rausch“ erwarten lasse.

Allerdings: Jetzt ist Oliver Bierhoff schon wieder fast drei Minuten ohne Tor. Gegen Liechtenstein am Mittwoch bestehen gute Chancen, diese schwarze Serie zu beenden. Es geht wohl voran.

Deutschland: Kahn - Linke, Ramelow, Nowotny (78. Rehmer) - Babbel (46. Deisler), Häßler (56. Wosz), Hamann (52. Ballack), Scholl (46. Bode), Ziege - Jancker (56. Bierhoff), Rink Tschechien: Srnicek - Repka, Rada, Gabriel - Poborsky (58. Latal), Fukal, Nedved (66. Rosicky), Nemec (79. Berger) - Bejbl (Horvath) - Smicer (50. Kuka), Koller (73. Lokvenc) Tore: 1:0 Jancker (38.), 1:1 Kuka (54.), 2:1 Bierhoff (62./Foulelfmeter), 2:2 Berger (80.), 3:2 Bierhoff (90.)

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